Weitere EU-Taxonomie-Ziele in Kraft: Und viele Fragen offen
Bei der Taxonomieverordnung der Europäischen Union (EU) gelten seit Anfang 2022 die Ziele eins (Klimaschutz) und zwei (Anpassung an den Klimawandel). Ab 1.1.2023 traten vier weitere Ziele in Kraft – der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Kontrolle von Umweltverschmutzung, der Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.
Mit der sogenannten Taxonomie will die Europäische Union die Klimawende voranbringen, indem sie unter anderem bestimmte Geldanlagen, auch Immobilieninvestments, als nachhaltig einstuft. Dazu zählt die EU-Kommission einerseits erneuerbare Energien, andererseits aber auch Gas und Atomkraft.
"Bei den neuen Teilen der Taxonomie, ..., tappen wir leider noch ziemlich im Dunkeln", sagte Hannah Dellemann, ESG-Beauftragte der Service-Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) Intreal. Der Gesetzgeber habe die technischen Kriterien für die Ziele drei bis sechs bislang noch nicht vorgelegt: "Folglich können wir nicht beurteilen, ob Immobilienfonds die Umweltziele im Sinne der Taxonomie tatsächlich fördern."
EU-Taxonomie gilt bereits seit dem 1.1.2022 in Teilen
Mehr als drei Jahre wurde an ihr gefeilt: Mit Veröffentlichung des delegierten Rechtsakts am 8.12.2021 ist die EU-Taxonomieverordnung als Baustein des "European Green Deals" am 29.12.2021 in Kraft getreten und konnte ab dem 1.1.2022 – in Teilen – angewendet werden. In der Verordnung wird definiert, ob ein Unternehmen "nachhaltig ökologisch" wirtschaftet und unter welchen Voraussetzungen Kapitalanlagen mit den Klimazielen der Europäischen Union kompatibel sind.
Eine verstärkte qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten hätte den Vorschlag für den entscheidenden Rechtsakt im Ministerrat noch ablehnen können. Doch sie ließen die Frist verstreichen. Damit wurden die Kriterien "stillschweigend" angenommen und die EU-Taxonomie ist verpflichtend, wenn Unternehmen über Nachhaltigkeit berichten oder "grüne" Finanzprodukte auflegen.
ESG-Offenlegungspflicht: Wie transparent soll es sein?
Vor den ersten Taxonomie-Zielen Anfang 2022 trat am 10.3.2021 die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – auch "Offenlegungsverordnung" – in wesentlichen Teilen (Level 1) im Rahmen der ESG-Regulierung – "Environmental" (Umwelt), "Social" (Soziales), "Governance" (Unternehmensführung) – in Kraft.
Das Reporting von ESG-Nachhaltigkeitskriterien wurde mit diesem Tag verpflichtend; auch für Player der Immobilienbranche. Umgesetzt werden muss die Verordnung auch von KVG. Damit wird das ESG-Reporting etwa für Immobilienfondsmanager verpflichtend. Sie müssen offenlegen, inwiefern sie ESG-Merkmale oder ESG-Ziele erfüllen oder nachhaltige Risiken berücksichtigen.
Die Finanzmarktteilnehmer müssen die Vorgaben selbst erfüllen. Bei Immobilienfonds zum Beispiel sind grundsätzlich an drei Stellen Angaben zur Nachhaltigkeit zu machen: In Verkaufsprospekten, in Jahresberichten und auf der Homepage der KVG. Anleger sollen sich so schon vor der Anlageentscheidung ein Bild machen können, welche Folgen die Investition für Klima, Soziales und Unternehmensführung hat.
Am 1.1.2023 kam die sogenannte Level-2-Verordnung hinzu, die die ursprüngliche Verordnung weiter konkretisiert. Es sind laut Intreal-Expertin Dellemann im Wesentlichen drei Kennzahlen, die jede KVG für Fondsimmobilien ermitteln muss: Die Energieeffizienz und die Lagerung fossiler Brennstoffe, dazu kommt ein dritter, frei wählbarer Indikator, in der Regel die Energieverbrauchsintensität.
Delegierter Rechtsakt: Wann ist ein Investment nachhaltig?
Eigentlich sollte die gesamte EU-Verordnung über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken schon ab dem 10.3.2021 gelten – doch es hakte bei den technischen Evaluierungskriterien (Level 2) für die Klimaschutzziele der Taxonomieverordnung. Weil es viel Kritik von Wissenschaftlern aus mehreren EU-Ländern gab, musste die Version vom 20.11.2020 nachgebessert werden.
Verbesserungsbedarf gab es etwa im Bereich der Kriterien für Bestandsgebäude. Künftig kommen als Alternative zu einem ausgewiesenen Energy Performance Rating (EPC) der Klasse A auch Gebäude in Frage, die im Hinblick auf ihren Primärenergiebedarf zu den "Top 15 Prozent" des nationalen oder regionalen Gebäudebestands zählen. Die Kriterien für den Neubau wurden entschärft: Der Primärenergiebedarf von 20 Prozent unterhalb der nationalen Vorgaben für Niedrigenergiegebäude wurde auf zehn Prozent abgesenkt.
Der Ende Dezember 2021 "stillschweigend" angenommene delegierte Rechtsakt war am 21.4.2021 vorgelegt worden. Jetzt erst können weitreichende Anforderungen der EU-Taxonomie umgesetzt werden. Die Taxonomie selbst trat bereits am 12.7.2020 in Kraft. Kern ist ein 600-Seiten-Bericht der technischen Expertengruppe (TEG), der für diverse Branchen – unter anderem für die Bau- und Immobilienbranche – strenge Vorgaben macht.
Streit um Einstufung von Atomkraft und Gas in Taxonomie
Das EU-Parlament hat am 6.7.2022 für den umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission gestimmt, Gas- und Atomkraft in die Taxonomie aufzunehmen. Damit gelten Investitionen in die Technologien unter bestimmten Bedingungen als "grün". Die Pläne wurden erstmals am 1.1.2022 öffentlich, nachdem ein entsprechender Entwurf an die EU-Mitgliedstaaten verschickt worden war.
Gas aus fossilen Brennstoffen darf aber nur ein Übergang sein, bis durch grünen Wasserstoff ersetzt werden kann – auch Atomkraft wurde nur als "Übergangstätigkeit" in die Taxonomie aufgenommen.
Österreich hat im Oktober 2022 beim Gericht der Europäischen Union eine Klage gegen die mögliche Einstufung von Atomkraft und Gas als klimafreundlich eingereicht. Die Klage stützt sich auf inhaltliche und rechtliche Argumente: Laut der EU-Taxonomie dürfe eine nachhaltige Energieform zu keinen schweren Umweltproblemen führen, das sei bei Atomkraft aber der Fall, hieß es aus dem Klimschutzministerium, und das Verbrennen von Erdgas setze Unmengen an CO2 frei. Die Regierung in Luxemburg kündigte an, Österreich bei der Klage mit einem Antrag auf Streithilfe unterstützen.
Auch der SPD-Europaabgeordnete René Repasi klagt vor dem EU-Gericht gegen den Taxonomie-Rechtsakt. Er argumentierte, die EU-Kommission habe ihre Kompetenzen überschritten. Eine so politische Frage dürfe nicht "über den Umweg technischer Rechtssetzung" getroffen werden.
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