Bei Verwalterwahl ist über alle Kandidaten abzustimmen
Hintergrund: Verwalterwahl vorzeitig beendet
Wohnungseigentümer wenden sich gegen einen Beschluss über die Verwalterbestellung.
Laut Teilungserklärung bestimmt sich das Stimmrecht nach den Miteigentumsanteilen. Weiter ist geregelt, dass Stimmenthaltungen als nicht abgegebene Stimmen gelten und ebenso wie die Stimmen nicht anwesender oder nicht vertretener Wohnungseigentümer bei der Feststellung der Stimmenmehrheit nicht mitgerechnet werden.
In einer Eigentümerversammlung im November 2016 waren Wohnungseigentümer mit insgesamt 935,35/1.000 Miteigentumsanteilen anwesend oder vertreten. Als TOP 1 stand die Bestellung eines Verwalters auf der Tagesordnung. Neben der bisherigen Verwalterin (Beschlussvorschlag 1) gab es drei weitere Bewerber um das Amt (Beschlussvorschläge zu 2 bis 4).
Bei der Abstimmung über den Beschlussvorschlag 1 entfielen auf die Ja-Stimmen 463,40/1.000 Miteigentumsanteile und auf die Nein-Stimmen 382,25/1.000 Miteigentumsanteile sowie 89,70/1.000 Miteigentumsanteile auf Enthaltungen. Der Versammlungsleiter stellte daraufhin fest, dass die bisherige Verwalterin wiedergewählt sei und es daher keiner weiteren Abstimmungen bedürfe. Zu TOP 2 wurde der Abschluss eines Verwaltervertrages mit der wiederbestellten Verwalterin beschlossen.
Gegen die zu TOP 1 und 2 gefassten Beschlüsse haben mehrere Wohnungseigentümer Anfechtungsklage erhoben.
Entscheidung: Abstimmung über alle Kandidaten erforderlich
Die Anfechtungsklage hat Erfolg. Der Beschluss über die Verwalterbestellung ist nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, denn der Versammlungsleiter hätte die Abstimmung nicht nach dem ersten Wahlgang abbrechen dürfen.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 WEG beschließen die Wohnungseigentümer über die Bestellung und Abberufung des Verwalters mit Stimmenmehrheit. Die Stimmenmehrheit bestimmt sich hier nach Miteigentumsanteilen.
Ob die erforderliche Mehrheit erreicht worden ist, muss in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt werden. Die Festlegung der Verfahrensweise bei Abstimmungen obliegt dem Versammlungsleiter, sofern durch die Gemeinschaftsordnung oder einen Geschäftsordnungsbeschluss keine Festlegung erfolgt ist. Der Versammlungsleiter kann nach pflichtgemäßem Ermessen den Abstimmungsmodus, insbesondere die Reihenfolge der Abstimmungsfragen, festlegen. Innerhalb dieses Ermessens kann er auch darüber bestimmen, welches Wahlverfahren durchgeführt werden soll, wenn es mehrere Bewerber gibt. Dabei ist die Abstimmung über jeden einzelnen Bewerber nur ein Teilakt eines als eine Einheit zu betrachtenden Verfahrens. In der Regel kann erst nach allen Wahlgängen festgestellt werden, ob ein und welcher Bewerber die erforderliche Mehrheit erhalten hat. Die relative Mehrheit reicht nicht aus, wenn mehr als zwei Kandidaten zur Wahl stehen.
Variante 1: Unabhängiges Stimmrecht je Wahlgang
In Betracht kommt zum einen, dass die Wohnungseigentümer von ihrem Stimmrecht in jedem Wahlgang unabhängig von ihrem vorangegangenen Stimmverhalten Gebrauch machen können. Bei einem solchen Wahlverfahren können auch die nachfolgenden Kandidaten in den einzelnen Wahlgängen mehr Ja- als Nein-Stimmen auf sich vereinigen. Dabei ist es sogar möglich, dass zwei oder mehr Bewerber die Stimmen aller Wohnungseigentümer erhalten. Das Wahlverfahren, bei dem den Wohnungseigentümern mehrere Stimmen zustehen, eröffnet nämlich gerade die Möglichkeit, dass ein Wohnungseigentümer nach einer persönlichen Präferenzordnung abstimmt, etwa einen Bewerber bevorzugt, aber auch andere für annehmbar hält. Wird über den von ihm bevorzugten Bewerber erst später abgestimmt, muss gewährleistet sein, dass er auch insoweit sein Stimmrecht ausüben und seine Stimme für den Erstpräferierten abgeben kann. Bei diesem Verfahren ist der Willensbildungsprozess der Wohnungseigentümer bei der Auswahl der Bewerber um das Amt des Verwalters nach dem ersten Wahlgang noch nicht abgeschlossen, weil die Stimmrechtsausübung bei dem weiteren Fortgang des Wahlverfahrens Auswirkungen auf das Endergebnis haben kann. Dies erfordert es, ausnahmslos über alle zur Wahl stehenden Bewerber abzustimmen.
Variante 2: Nur eine Ja-Stimme je Eigentümer
Möglich ist auch, dass jeder Wohnungseigentümer bei einer nacheinander erfolgenden Abstimmung über die einzelnen Bewerber insgesamt nur eine Ja-Stimme vergeben kann. Dann müssen grundsätzlich ebenfalls alle Bewerber zur Abstimmung gestellt werden. Hier tritt die Einheitlichkeit des Wahlvorgangs bei dem Aufruf der einzelnen Bewerber und der jeweiligen Stimmabgabe noch stärker hervor. Zwar können diejenigen Wohnungseigentümer, die dem ersten Bewerber ihre Ja-Stimme gegeben haben, nicht nochmals für einen Bewerber stimmen. Den Eigentümern, die demgegenüber entweder mit „Nein“ gestimmt oder sich enthalten haben, verbleibt aber noch die Möglichkeit, ihre Ja-Stimme für einen anderen Bewerber abzugeben. Dies erfordert die Durchführung der Abstimmung auch über die anderen Bewerber. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Bewerber in einem Wahlgang bereits die absolute Mehrheit erzielt hat und weitere Wahlgänge folglich an dem Ergebnis nichts mehr ändern können.
Stimmenthaltungen zählen nicht mit
Enthaltungen sind bei der Bestimmung der Mehrheit nicht mitzuzählen. Wer sich der Stimme enthält, will weder ein zustimmendes noch ein ablehnendes Votum, sondern seine Unentschiedenheit bekunden. Er will auf die Beschlussfassung nicht anders einwirken, als wenn er der Versammlung ferngeblieben wäre oder sich vor der Abstimmung entfernt hätte.
Mehrheit stand nach erster Abstimmung nicht fest
Nach diesen Maßstäben steht hier nach der Abstimmung über den ersten Beschlussantrag nicht fest, dass die bisherige Verwalterin mit der erforderlichen Stimmenmehrheit wiederbestellt worden ist. Dabei kann offenbleiben, ob der Versammlungsleiter ein Wahlverfahren festgelegt hat, bei dem jedem Wohnungseigentümer nur eine Ja-Stimme zustand. Die bisherige Verwalterin hatte nicht die absolute Mehrheit der Miteigentumsanteile der Wohnungseigentümer auf sich vereinigt, sodass der Abbruch der Abstimmung über die weiteren Bewerber in jedem Fall unzulässig war. Damit ist der Beschluss über die Wiederbestellung der bisherigen Verwalterin nicht ordnungsgemäß zustandegekommen.
Da der Beschluss über die Verwalterbestellung für ungültig zu erklären ist, gilt dies auch für den Beschluss über den Abschluss des Verwaltervertrages. Dieser Beschluss setzt voraus, dass der Beschluss über die Verwalterbestellung gültig ist.
(BGH, Urteil v. 18.1.2019, V ZR 324/17)
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