Zuschlag auf Mietspiegelwerte kann zulässig sein
Hintergrund: Ortsübliche Vergleichsmiete steigt nach Stichtag deutlich
Die Vermieter einer Wohnung in Reutlingen verlangen die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Ihr Mieterhöhungsverlangen, das den Mietern im November 2013 zugegangen ist, begründeten die Vermieter mit dem Reutlinger Mietspiegel 2013 (Stand Mai 2013).
Die Mieter stimmten der verlangten Mieterhöhung nur zum Teil zu. Die Vermieter erhoben daraufhin Klage auf weitergehende Zustimmung zur Mieterhöhung.
Der Mietspiegel 2013 weist als ortsübliche Vergleichsmiete für die Wohnung einen Mittelwert von 6,275 Euro/Quadratmeter aus. Der Mietspiegel 2015 (Stand Dezember 2014) weist eine ortsübliche Vergleichsmiete von 7,05 Euro/Quadratmeter aus. Dies entspricht einer Steigerung von 12,35 Prozent innerhalb von 19 Monaten beziehungsweise einer monatlichen Steigerung von 0,65 Prozent.
Das Landgericht sah eine Mieterhöhung über den von den Mietern akzeptierten Betrag hinaus als gerechtfertigt an. Bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ging das Gericht von den Werten aus dem Mietspiegel 2013 aus und nahm hierauf einen Zuschlag vor. Der zwischenzeitlich erschienene Mietspiegel 2015 zeige gegenüber dem Mietspiegel 2013 eine deutliche Mietsteigerung, die nicht ignoriert werden könne. Daher sei bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete auf die Werte aus dem Mietspiegel 2013 noch ein auf den Zeitpunkt des Mieterhöhungsverlangens bezogener Stichtagszuschlag zu berücksichtigen. Diesen ermittelte das Landgericht, indem es die Werte aus dem Mietspiegel 2013 für jeden Monat zwischen Stand des Mietspiegels 2013 und Zugang des Mieterhöhungsverlangens um 0,65 Prozent erhöht hat (lineare Interpolation zwischen den Werten der Mietspiegel 2013 und 2015).
Entscheidung: Zuschlag auf Mietspiegelwerte ist zulässig
Das Gericht durfte bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete auf die Werte aus dem Mietspiegel 2013 einen Zuschlag vornehmen.
Für die Beurteilung, ob ein Mieterhöhungsverlangen berechtigt ist, kommt es auf den Zeitpunkt von dessen Zugang an. Dieser legt den Zeitpunkt für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete fest, bis zu der der Vermieter die Mieterhöhung verlangen kann.
Im vorliegenden Fall liegen zwischen dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens im November 2013 und dem Zeitpunkt, an dem der Mietspiegel 2013 aktualisiert worden war, etwa sieben Monate. Der Steigerung des Mietpreisniveaus innerhalb dieses Zeitraums durfte das Gericht durch einen Zuschlag auf die Werte aus dem Mietspiegel Rechnung tragen.
Bei der Prüfung, ob die vom Vermieter verlangte Mieterhöhung nach § 558 BGB tatsächlich berechtigt ist, darf die ortsübliche Vergleichsmiete zwar nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in hinreichender Weise ermittelt haben. Das Gericht ist aber nicht auf das Begründungsmittel beschränkt, das der Vermieter verwendet hat. Wenn ein Mietspiegel existiert, darf das Gericht diesen berücksichtigen; handelt es sich um einen qualifizierten Mietspiegel, wird vermutet, dass die darin genannten Werte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben. Einem - wie hier - einfachen Mietspiegel kommt lediglich Indizwirkung zu.
Eine darüber hinausgehende Bindung des Gerichts besteht nicht. Der Umstand, dass ein einfacher Mietspiegel nach § 558c Abs. 3 BGB alle zwei Jahre aktualisiert werden soll, bedeutet nicht, dass das Gericht, das seine Erkenntnisse zur Miethöhe (auch) auf einen Mietspiegel stützt, unter keinen Umständen aktuellere Werte zugrunde legen darf. Der Mietspiegel kann nur die Marktverhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt wiedergeben. Er veraltet um so schneller, je höher die Mietpreise am Wohnungsmarkt steigen. Zudem soll ein Mietspiegel die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete vereinfachen, diese aber nicht auf den letzten Aktualisierungszeitpunkt „einfrieren“. Hiervon ausgehend obliegt es dem Gericht, im Einzelfall zu beurteilen, ob ein Zuschlag zu den Werten aus dem Mietspiegel angezeigt ist.
Hier hat das Gericht anhand des folgenden Mietspiegels 2015 festgestellt, dass zwischen den Erhebungszeitpunkten der Mietspiegel 2013 und 2015 eine ungewöhnliche Mietpreisentwicklung stattgefunden hatte, die der Mietspiegel 2013 nicht mehr hinreichend abbilden konnte. Es durfte daher einen Stichtagszuschlag vornehmen. Der vom Gericht gewählte Weg der linearen Interpolation zwischen den Werten der Mietspiegel 2013 und 2015 war nicht zu beanstanden, zumal sich die maßgebliche Vergleichsmiete im Einzelfall ohnehin nicht mit mathematischer Genauigkeit punktgenau ermitteln lässt.
(BGH, Urteil v. 15.3.2017, VIII ZR 295/15)
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