Marktakzeptanz und ERP-Standards: One-size-fits-all?


Wir lassen uns jedenfalls nicht dazu verleiten, jeden aufkommenden Kundenwunsch zu erfüllen, bloß um Marktakzeptanz zu erreichen. Das ist nämlich auch für den Kunden selbst nicht der nachhaltige Weg." Susanne Vieker, Haufe Real Estate

Welche Rolle spielt Marktakzeptanz bei Technologieführerschaft?

Vieker: Sie spielt eine große Rolle. Nicht gemeint ist damit allerdings die vorzeitige Erfüllung aller erdenklichen Kundenwünsche. Dann nämlich kann man aus individuellen Wünschen gewachsene Systeme nicht mehr kontrollieren. Deshalb bieten wir ein Standard-ERP-System an, welches die Bedarfe der Kunden in verschiedenen Prozessen abbildet. Wo individuelle Funktionen notwendig sind, da binden wir entweder Partner an oder helfen dem Kunden mit einem Beratungsangebot. Wir zeigen ihm auch, wie er seine Prozesse optimieren oder wie er Teile seines Unternehmens neu organisieren kann. Wir lassen uns jedenfalls nicht dazu verleiten, jeden aufkommenden Kundenwunsch zu erfüllen, bloß um Marktakzeptanz zu erreichen. Das ist nämlich auch für den Kunden selbst nicht der nachhaltige Weg.

Müller: Das ist eine neue Denkweise, die sich bei Ihren Kunden auch mehr und mehr durchsetzt mit der Folge von Kosteneinsparungen durch die Nutzung von Standards. Für den Umgang miteinander ist das eine deutlich bessere Diskussionsgrundlage. Wir etwa haben uns im letzten Jahr sehr intensiv damit beschäftigt, wie wir unser ERP-System von 2005 ablösen können. Auch wir waren natürlich überzeugt von unseren Prozessen und haben diese systemisch unterstützt. Im Ergebnis erhielten wir eine sehr hohe Komplexität und benötigten viele kostenintensiven Anpassungen. Jetzt fragen auch wir nach Systemen von der Stange.

Vieker: Dann passiert es auch nicht mehr, dass ein ERP-Hersteller ein Produkt abkündigt. Das ist ja die größte Kundenangst. Denn wenn ich ein ERP-System neu einführe, betrifft dies mein gesamtes Tagesgeschäft. Zudem habe ich einen großen Invest und es dauert ein bis zu anderthalb Jahre, bis so ein Systemwechsel komplett greift. Deswegen muss ich mir ja Gedanken machen: Wie sorgt mein ERP-Hersteller dafür, dass ich auch in zehn oder 20 Jahren eine moderne Lösung habe, die meine Bedarfe abdeckt?

Herr Schwan, teilen Sie den hier vertretenen Konsens?

Schwan: Ich sehe ihn sogar auch an vielen Stellen im eigenen Unternehmen. Aber es gibt auch Bedenkenträger, die zu neuen Standards sagen: Dann müssen wir auch an jenem System etwas ändern. Oft ist es dann bis zum Chaos nicht mehr weit. Ich würde gerne langsam auf Standards hinarbeiten.

Dafür bietet die Digitalisierung ja viele moderne Mittel.

Schwan: Im Bereich Standards und auch Schnittstellen stelle ich mir nur allzu gerne eine Allianz vor. Denn mich interessiert das Ergebnis, nicht der Prozess! An einen ERP-Prozess will ich ja gar nicht ran. Macht das, wie ihr wollt.

Das klappt allerdings kaum.

Schwan: Wir haben auf diesem Feld leider nach wie vor ein großes Defizit. In unserem Hause nehmen wir uns jeweils drei bis vier Monate Zeit im Transitionsprozess, um unseren Kunden richtig abzuholen. Denn jeder Inhaber, jeder Manager und jeder Mieter tickt anders.

Liegt ein Standard in weiter Ferne?

Schwan: Es geht meines Erachtens derzeit darum, eine Plattform auf einer Ebene darüber zu entwickeln. Diese sollte sowohl für den Mieter und Verwalter wie auch für Fonds- und Facility Manager eine Einheit bilden, auf die alle hinarbeiten. Solche Digitalisierung braucht ein Team. Dieses muss die Prozesse klar ziehen. Dann brauchen wir die digitalen Mittel, um die End-to-End-Prozesse zu gestalten. Wenn das dann objektorientiert gelänge, wären wir total an der Sonne.

Derzeit herrscht wohl eher Schatten!

Schwan: Ja. Denn das müssen wir nachhaltig mit den Dienstleistern zusammen einführen. Es kann nicht sein, dass man das lediglich auf ein bis drei Jahre anlegt und dann wieder was Neues anfängt. Denn ein funktionierender Prozess wird zumeist beim Wechsel eines Dienstleisters zerstört.

Gibt es, Herr Müller, denn ansatzweise eine solche Plattform?

Müller: Die gibt es noch nicht. Aber daran arbeiten wir ja! Ich verstehe Ihren Punkt, Herr Schwan. Klar brauchen wir auch an bestimmten Stellen Anpassungen innerhalb unserer Software. Doch wir wollen keineswegs, dass ein Hersteller für uns ein individuelles System entwickelt.

Dann läuft es doch auf ein übergeordnetes hinaus?!

Müller: Nein, ich plädiere stattdessen für kompatible Schnittstellen. Es wird kein "One-size-fits-all-system" geben, über das alle Prozesse laufen und das alle Anwender zufrieden stellt. Davon müssen wir uns verabschieden.

Dann wird es weitergehen wie bisher.

Müller: Wir haben ja am Markt immer mehr fragmentierte Systeme, die Teillösungen bieten. Nun brauchen wir an den jeweiligen Schnittstellen Kompatibilität. Wir müssen einfach mehr zueinanderfinden. Dafür benötigen wir verstärkte Offenheit an allen wichtigen Systemschnittstellen.

Der Traum von superfunktionalen Schnittstellen

Das klingt auch nach einer Forderung an einen ERP-Hersteller, Frau Vieker.

Vieker: Wir arbeiten genau an der Antwort darauf. Die zu findende Lösung besitzt eine ganz besondere Attraktivität. Es geht um moderne Schnittstellen – so genannte APIs. Die Kunden wollen natürlich die Teillösungen der PropTechs in ihr ERP-System einbinden. Es gibt auf der einen Seite der API-Schicht die Möglichkeit, sich mit ausgewählten PropTechs zu verbinden. Auf der anderen Seite der API ist ein ERP System angebunden. Da wir bei Haufe mehrere ERP-Systeme anbieten, ist unsere API also auch auf der ERP-Seite flexibel. Zugleich könnte das technisch und technologisch betrachtet bereits die Basis für eine Standard-Schnittstelle werden. Das könnte perspektivisch mit einschließen, was bei der gif, beim ZIA oder beim VDIV derzeit gerade in der Erarbeitung ist. Denn jeder nähert sich zurzeit dieser Thematik von verschiedenen Seiten an.    

Ein ERP-Daten-Migrations-Problem bei Zukäufen hat jeder Anwender …!

Müller: Aber wohin wir eigentlich wollen, ist ein Best-of-Breed-Ansatz. Wir wollen für jeden Prozessteil – wie Fondsplanung, Asset Management, Fondsteuerung oder die Anteilsscheinberechnung – eigentlich immer das jeweils beste am Markt verfügbare System nehmen. Aber dafür brauchen wir superfunktionale Schnittstellen. Und wenn es in drei Jahren ein besseres System für eine Teillösung gibt, dann sollte ein Austausch einfach möglich sein.        

Da freut sich schon der ERP-Hersteller …

Müller: Klar, davon sind wir weit entfernt. Doch da müsste aus unserer Sicht die Reise hingehen.

Vieker: Es wäre doch viel schöner, etwa ein ERP-System zu haben, das sich immer mit erneuert und weiterentwickelt, anstatt alle drei Jahre wechseln zu müssen. Was für einen Aufwand das mit sich bringt, unglaublich! Sie müssen sich doch nur für den Hersteller entscheiden, der die Zukunft im Blick hat.

Müller: Den allerdings habe ich noch nicht getroffen …!

Schwan: Ich weiß leider auch nicht, was das beste ERP-System ist. Doch das ERP-System wird nicht diese übergeordnete Plattform sein, wo alles zusammenläuft. 

Wo kann es dann zusammenlaufen?

Schwan: Wir müssen noch eine Schicht darüber hinaus denken. Wir brauchen etwa zwischen Kunden und Herstellern noch einmal ganz andere Standards. Diese schaffen wir derzeit selbst mit unserer eigenen Plattform "Engie direkt". Eine moderne API hebt die Daten über diese Schranken hinweg und liefert sie den Kunden so, wie diese sie brauchen. Und ich hätte so gerne, dass wir alle uns auf eine einigen könnten!

Wie beheben Sie diesen Mangel?

Schwan: Aus eigener Kraft. Doch derzeit habe ich sehr viel Pein damit. Denn ich habe mehr als 40 Entwickler auf dieser Plattform sitzen. Das kostet eine Stange Geld. Wir bringen 4.000 Objekte auf diese Plattform mit mehr als 20.000 Usern. Das bedeutet hohe Skalierung. Wir als FM-Unternehmen sind nun bereit, eigene Ressourcen dafür einzusetzen. Mich ärgert das allerdings: Warum gibt es dafür noch nicht bereits fix und fertige webgestützte Plattformen mit modernen APIs?! So eine wünsche ich mir von Ihnen, Frau Vieker, die Sie das jeden Tag machen.

Warum, Frau Vieker, gibt es eine solche Plattform nicht?

Vieker: Weil diese Plattform zu viel gleichzeitig abdecken muss. Das führt zu einer Komplexität, die keiner bezahlen kann. Denn wer sich so etwas wünscht, muss wissen, dass dafür schnell mal zehn Millionen Euro weg sind.

Schwan: Das reicht lange nicht!

Vieker: Und wo ist eigentlich das Geschäftsmodell dabei? Ich brauche doch eine Riesenmaschinerie, um das sauber aufzusetzen und aktuell zu halten. Solange das in der Startphase schon eine so große Komplexität besitzt, werde ich dafür keine Kunden gewinnen, die solch ein Projekt refinanzieren. Ich halte ein solches Wunschgebilde nicht für möglich.

Müller: Der Property Manager baut seine Plattform, der Asset Manager baut die seine, der Facility Manager ebenso – schnell hat man drei. Und welche nutzt der Mieter jetzt? Der Kunde hat von solchen Fragmentierungen schnell die Nase voll. Deswegen verstehe ich Ihren Wunsch nach einer großen Plattform. Die Adressierung der Kunden allerdings muss von einer Stelle aus erfolgen.

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