Streit über Äußerungen auf Eigentümerversammlung ist WEG-Sache

Gerichtliche Streitigkeiten unter Wohnungseigentümern über den Widerruf oder die Unterlassung von Äußerungen auf einer Eigentümerversammlung sind WEG-Sachen, es sei denn, es besteht offenbar kein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer.

Hintergrund: Umstrittene Äußerungen auf Eigentümerversammlung

Ein Wohnungseigentümer verlangt von einem anderen Eigentümer aus derselben Gemeinschaft die Unterlassung und den Widerruf von Äußerungen, die dieser auf einer Eigentümerversammlung getätigt hat. Das AG Buxtehude, das im Bezirk des OLG Celle liegt, hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat der unterlegene Eigentümer Berufung beim LG Stade eingelegt. Das LG Stade hat die Berufung als unzulässig verworfen. Es handle sich um eine WEG-Streitigkeit gemäß § 43 Nr. 1 WEG. Für Berufungen in WEG-Sachen im Bezirk des OLG Celle sei das LG Lüneburg als zentrales WEG-Berufungsgericht zuständig.

Entscheidung: Streit ist WEG-Sache

Bei dem Streit der Wohnungseigentümer über Äußerungen auf einer Eigentümerversammlung handelt es sich um eine WEG-Sache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG.

Zu den Wohnungseigentumssachen gehören gemäß § 43 Nr. 1 WEG unter anderem Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander; diese Bestimmung ist weit auszulegen. Ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist.

Ob Streitigkeiten wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen oder ehrverletzender Meinungsäußerungen Wohnungseigentumssachen sind, wird unterschiedlich beurteilt.

Dem BGH zufolge liegt eine WEG-Streitigkeit vor, wenn ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung beziehungsweise auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen wird, die er in einer Eigentümerversammlung getätigt hat, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben.

Äußerungen eines Wohnungseigentümers in der Eigentümerversammlung stehen in aller Regel in einem Zusammenhang mit den sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und den sich aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechten und Pflichten der Wohnungseigentümer. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass die Eigentümerversammlung das Willensbildungsorgan der Gemeinschaft ist. Sie dient der Erörterung und Beschlussfassung. Äußerungen in der Eigentümerversammlung tragen zur Meinungsbildung innerhalb der Gemeinschaft bei.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass eine Äußerung eines Wohnungseigentümers in keinem Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis steht. Davon kann aber nur ausnahmsweise dann ausgegangen werden, wenn die Äußerung nur gelegentlich der Eigentümerversammlung getätigt wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Nachtrag 22.11.2023: Der BGH hält an der Ausnahme, dass bei einem Streit über eine in einer Eigentümerversammlung getätigte Aussage dann keine WEG-Sache vorliegt, wenn die Aussage offensichtlich keinen Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer hat, nicht mehr fest (BGH, Urteil v. 22.9.2023, V ZR 254/22). Hierzu: Beleidigungen unter Eigentümern nicht automatisch WEG-Sache

Verweisung an zuständiges Gericht ausnahmsweise möglich

Da es sich bei der vorliegenden Streitigkeit um eine WEG-Sache handelt, ist für die Entscheidung über die Berufung das LG Lüneburg als zentrales WEG-Berufungsgericht zuständig. Gleichwohl hätte das unzuständige LG Stade die Berufung nicht ohne Weiteres verwerfen dürfen, sondern die Sache an das LG Lüneburg verweisen müssen. Zwar kann eine beim falschen Gericht eingelegte Berufung grundsätzlich nicht an das richtige Gericht verwiesen werden. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Ist - wie im vorliegenden Fall - für eine Fallgruppe noch nicht geklärt, ob es sich um eine WEG-Sache handelt oder nicht und kann man hierüber mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein, kommt ausnahmsweise eine Verweisung an das zuständige Gericht in Betracht.

(BGH, Beschluss v. 17.11.2016, V ZB 73/16)

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