Branchenrettung im Ehrenamt
Das Who is who der Facility Manager trifft sich in der Berliner Freiheit. Unter denen, die die Anreise trotz Streiks bei der Deutschen Bahn schaffen, herrscht eine spürbare Aufbruchstimmung. Insbesondere EU-Taxonomie und ESG-Reporting scheinen der Branche eine neue Sinnhaftigkeit einzuhauchen. Alteingesessene Marktplayer und Newcomer wirken beflügelt – und es brummt schon vor den ersten bahnbedingt verspätet startenden Programmpunkten wie in einem Bienenschwarm.
Facility Manager sind Problemlöser
Ja, bereits zu Veranstaltungsbeginn muss improvisiert werden. Doch das sei kein Problem für die Problemlöser aus dem Facility Management (FM), wie Wolf-Dieter Adlhoch der Gefma- und Dussmann-Vorstandsvorsitzende in seiner Begrüßung betont. Die ehrenamtliche Verbandsarbeit mit einer kleinen hauptamtlichen Geschäftsstelle unter der Leitung von Jürgen Schneider und Annelie Casper schöpft auch aus den Problemlösungskompetenzen der FM-Anbieter. Die Sponsoren Apleona, Engie Strabag PFS und Vebego setzen auf diese Art von Sichtbarkeit.
Eigentlich sollte die grüne Berühmtheit Dr. Eckart von Hirschhausen eröffnen. Doch auch er verspätet sich auf der Hinfahrt. In seine Vortragslücke springt mutig Dr. Christian Schlicht von BYND Tech mit belebenden Thesen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) und FM. Er ist einer der neuen Stakeholder, die mit dem Konferenzformat noch stärker angesprochen werden sollen.
Data Thinking statt Design Thinking
"KI? oder KA?" legt er dann provokant den Finger in die Wunde der eigentlich eher bewahrenden Branche. "Künstliche Intelligenz oder Keine Ahnung?" dechiffriert er seine Kürzel und berichtet, dass acht von zehn KI-Projekten scheitern in der Branche. Es klemme bei der Umsetzung. Dann kommen seine Lösungsvorschläge: Design Thinking soll durch Data Thinking ergänzt werden. Der Data Lake endlich angezapft, eine Datenwertschöpfungskette geschmiedet werden – aus den richtigen Daten natürlich. Diese wiederum müssen erst in einem Prozess von Big Data zu Smartdata raffiniert werden und so weiter und so fort.
Das Publikum ist ganz Ohr, als Dr. Schlicht der Branche kein Ideenproblem sondern eine Umsetzungsschwierigkeit bescheinigt. Dass in der Immobilienwirtschaft nicht die Intelligenz an der Grundstückgrenze aufhören muss, zeigt er mit eine Live-Demo seiner eigenen Firmenlösung, die beliebig viele Datentöpfe in Layern etwa zur Findung von Nachverdichtungs- oder Sanierungspotentialen auswerten kann. Und das Schönste sei, so sagt er, dass die allgegenwärtige Ausrede "Wir haben ja keine Daten" nun nicht mehr gelte. Quod erat demonstrandum. KA kann auch heißen "Keine Angst" … vor der KI!
Parforce-Panel
Danach hat er sein interaktives Wunschpanel auf der Bühne: Es reitet parforce durch die Thematik. Prof. Dr. Joachim Hohmann, TU Kaiserslautern berichtet aus seiner neuen Studie "KI im FM".
Die Ausgaben für KI im FM lägen leider bei den meisten der 150 befragten Unternehmern unter 5.000 Euro pro Jahr. Und das, wo doch McKinsey reporte, dass allein generative KI in drei Jahren 150 Milliarden Doller Mehrwert schaffen könne. Christine Damke, BeyondBuild, sieht denn auch die PropTechs als die Risikokapitalgeber für eine Branche, die sich lieber selbst verwalte als selbst ins Risiko zu gehen. Eigentlich müsse das Produktmanagement der FM-Anbieter in diese Richtung verändert werden.
Die Nahtoderfahrung der Startups
Die mehr 800 Startups im deutschsprachigen Raum leben intensiv. Fast täglich erleben sie eine Nahtoderfahrung. Sarah Maria Schlesinger von Blackprint setzt deshalb fast zu einer Handke‘schen Publikumsbeschimpfung an. All diese Faktoren müssten eigentlich im Facility Management regelrecht Scham auslösen. Sie vermisse die Neuentwicklungen, dafür zuständige Abteilungen – ganz zu schweigen vom Wagniskapital! Legt endlich euer renditeschwaches Rollenverständnis ab", fordert Schlesinger. Die Wertschöpfung in der Immobilienbranche drehe sich gerade um: Daten im Facility Management seien die letzte Goldgrube. Die Stunde des FM sei nun gekommen!
Dirk Brandt von Strabag PFS und vom Arbeitskreis Digitalisierung innerhalb der Gefma versucht zu beschwichtigen. Er verweist auf die bereits existierenden Whitepaper mit den Themen KI, Cybersecurity, Data Lakes & mehr. Er sieht die FM’ler bereits heute als Partner und Dienstleister etwa in Sachen Wärmewende ganz gut aufgestellt. Und die zehn bis fünfzehn FM-Unternehmen mit entsprechender Finanzkraft würden sich auch engagieren – etwa bei Beteiligungen an PropTechs und beim Aufnehmen von Data Scientists auf ihre Payroll.
Wo sind die Daten? Und wem gehören sie?
Wasser in diesen Wein gießt wieder Prof. Hohmann, der auf die Idee zu einer bundesweiten Datengenossenschaft lapidar einwirft, dass die Branche besonders in Deutschland einen eigentümlichen Geheimhaltungsdrang habe. Immobilien könnten eben lange ausreichend wirtschaftlich betrieben werden, ohne allzu viele Daten zu benötigen.
Das wiederum bringt Schlesinger auf die Palme: "Daten gehören zur Immobilie. Wird das Ding verkauft, müssen die Daten eben mitverkauft werden." Brandt pflichtet bei: Es mache überhaupt keinen Spaß bei jedem neuen Auftrag wieder durch die Gebäude zu gehen und datentechnisch von vorne anzufangen! Er will jedenfalls Vollgas geben, um solche Missstände zu beseitigen: Dabei setze er auf die noch zunehmende Systemrelevanz der Branche.
Für die Transition von Bestandsimmobilien sei FM jedenfalls der Schlüssel, schließt Christian Schlicht das muntere Podium, das beim – trotz Bahnstreik – bereits anwesenden Teil des Fachpublikums sehr starkes Interesse fand. "Think big. Start small. Move quickly", amerikanisiert ganz zum Schluss Professor Hohmann. Na denn!
Von Hirschhausens Millionen und Milliarden
Inzwischen trifft auch Dr. Eckart von Hirschhausen ein. Mit ihm erreicht sofort etwas Pop-Star-Flair die Veranstaltung. "Sonst spreche ich im Fernsehen zu Millionen", sagt der ehemalige TV-Komiker, "hier zu Milliarden". Gleich die erste Pointe sitzt! Seine Stiftung "Gesunde Erde – gesunde Menschen" ist ihm Herzensanliegen. Auch der Verband kriegt gleich sein Fett weg: Es sei schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, die wir hauptberuflich zerstören. Bäm! Seine Komikerfähigkeiten kommen ihm bei seinem aktuellen Hauptanliegen – eben der Rettung der Welt - sehr zugute.
Gute Ideen seinen ansteckend, sagt der in seiner Erstausbildung gelernte Mediziner. Und er bringt immer – das ist sehr schön – auch Beispiele aus der Branche. Er lobt etwa die Berliner GSW für ihre Pilotgebäude mit wegweisender Kühlung ohne Energiezufuhr. Denn Klimaanlagen schöben die Wärme und das CO2 nur nach außen und damit in die Atmosphäre. "Was sie privat in ihrem Keller machen ist ihre Sache, was sie aus dem Schornstein blasen geht alle an", bringt er rhetorisch geschickt die Sachlage in punkto Freiheit auf den Punkt.
"Handys weg. Augen auf. Herz auf", ermahnt er die immer sehr Beschäftigten im Plenum. Bevor er fragt: "Wir haben bloß diese Erde. Warum zerstören wir unser eigenes Zuhause? Wer von Ihnen sch...t regelmäßig in sein Wohnzimmer", nutzt er drastische Bilder. Wirkungstreffer! Nachhaltigkeit sei kein Luxus. Sie sei die Grundlage für alles, was uns wichtig ist. Kein Mensch könne sich seine eigene Außentemperatur kaufen – auch kein Privatversicherter … ! Punch folgt auf Punch!
Und dann noch schnell die Welt retten
"Ein hartes Ei hat – einmal auf über 42 Grad Celsius erhitzt – irreversibel kein Leben mehr!" Es bestehe aus Wasser, Fett & Eiweiß - alles Bestandteile auch des Menschen … Verschmitzt lässt er seine Sympathie für Verbote durchblicken. Die seien "kreativitätsfördernd".
Und Hirschhausen zeigt Lustiges als Transparent: "Klima ist wie Bier – warm ist Sch.... ." Er zieht viele Register. Fragt schließlich noch nach werdenden Eltern im Raum. Verschenkt diese Strampler, die noch aus seiner Komikerkarriere stammen könnten. Aufschrift: "Zum Lachen geboren". Abschließend ruft er alle zu einem enkeltauglichen Leben auf. Alles gut gesetzt. Puh! Mal sehen, wer von den Tagungsteilnehmern seine nächste Dienstreise noch mit dem Flugzeug macht.
Es war fulminant: Es gab keine Pause und die Teilnehmenden saßen mehr als drei Stunden am Stück wie angewurzelt. Gebannt schauten und hörten sie den Podiumsfeuerwerken zu. Auch die weiteren Tagungsthemen waren sehr gut gewählt, präsentiert und besucht: Moderne Verträge, attraktive Arbeitsplätze, intelligentes Beschaffungswesen, ESG und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel – die ganzen Hot-Topics der Zeit. Und klar: Zweifelsohne ist es schwierig, als Verbandskollateralnutzen noch schnell die Welt zu retten. Doch vielleicht gelingt ja im Gefma-Ehrenamt wenigstens die Rettung des Facility Managements?!
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