"Diversität hilft Unternehmen, sich weiterzuentwickeln"
Anne Tischer ist Gründerin und Vorsitzende der Brancheninitiative Frauen in Führung (F!F), die sich für mehr Frauen in Führungspositionen der deutschen Immobilienwirtschaft einsetzt. Mit ihrer Kommunikationsberatung "Karma she said GmbH" berät sie zudem Unternehmen und Organisationen rund um Diversität, Inklusion und werteorientiertes Management.
Frau Tischer, wie divers ist die deutsche Wohnungswirtschaft?
Anne Tischer: In der Immobilienwirtschaft nimmt die Diversität mit steigender Hierarchieebene im Unternehmen ab. Es gibt aussagekräftige Zahlen zur Gender-Diversität durch eine Erhebung von F!F sowie eine weitere des Vereins Frauen in der Immobilienwirtschaft, letztere basierend auf 67.000 Unternehmen. Sie zeigt, dass nur jede zehnte Position an der Unternehmensspitze mit einer Frau besetzt ist. Zum Vergleich: In den Vorständen deutscher Börsenunternehmen sind aktuell 17,4 Prozent Frauen.
Der Blick auf die Wohnungswirtschaft fällt etwas positiver als im Rest der Branche aus: In den Geschäftsführungen und Vorständen gibt es 17 Prozent Frauen, der Anteil weiblicher Führungskräfte in den Fach- und Bereichsleitungen liegt bei gut einem Drittel (36 Prozent). Das reicht aber nicht aus, gerade in Wohnungsunternehmen sind oft mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden Frauen. Und auch hier gilt: Je höher die Führungsebene, umso stärker werden Frauen ausgesiebt.
Was genau meinen Sie mit ausgesiebt?
Strukturelle und kulturelle Hürden, aber auch unbewusste Vorurteile bremsen Frauenkarrieren systematisch aus. Führungspositionen werden meist nur in Vollzeit und mit einer Person besetzt. Knapp die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit, bei berufstätigen Müttern sind es sogar 66 Prozent. Mutter zu werden, bedeutet für die meisten Frauen, dass ihre Karriere stagniert. Eine andere Hürde: Die meisten Personalentscheidungen für Führungsstellen werden von Männern getroffen, oft mit Kandidaten aus dem eigenen Netzwerk und nach dem Prinzip "gleich und gleich gesellt sich gerne", mit Personen, die dem Entscheider ähneln.
Warum sollten sich Wohnungsunternehmen mit Diversität beschäftigen?
Weil Diversität kein "nice to have", sondern der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist. Das gilt auch und besonders für die Wohnungswirtschaft. Es ist wichtig zu verstehen: Perspektivenvielfalt in den Diskussionen und Führungsetagen führt zu deutlich ausgewogeneren Entscheidungen. Gerade weil mehr Kompetenzen, Erfahrungen und Blickwinkel einfließen. Diversität hilft den Wohnungsunternehmen, frühzeitig Veränderungen im Marktumfeld zu erkennen, darauf zu reagieren und die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen.
Unsere F!F-Studie hat ergeben, dass der Drang, Dinge verändern zu wollen, Frauen in der Branche am meisten motiviert, eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Heißt: Diversität hilft Unternehmen, sich aus eigener Kraft heraus weiterzuentwickeln und besser zu werden. Stark intrinsisch motivierte Führungskräfte helfen den Wohnungsunternehmen beim Erreichen der Klimaneutralität ihres Bestands und ihrer Nachhaltigkeitsziele.
Kann man die Erfolge von Diversität messen?
Ja, zum Beispiel zeigt die Untersuchung "Diversity Wins – How Inclusion Matters" von McKinsey aus dem Jahr 2020, dass Unternehmen mit einer hohen Gender-Diversität im Topmanagement eine 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Betrachtet man den Faktor der ethnischen Diversität, liegt dieser Wert sogar bei 36 Prozent. Diversität bedeutet auch die Vielfalt der unterschiedlichen sozialen Schichten.
Auch im Wettbewerb um Talente punkten Unternehmen, die auf Diversität und Inklusion setzen: Vielfalt in der Unternehmensführung ist für 65 Prozent der Millennials das wichtigste Kriterium bei der Wahl der Arbeitgeberin, so der Leadership Diversity Survey einer großen Personalberatung. Junge Talente in der Immobilienbranche entscheiden bei der Wahl der Arbeitgeberin am stärksten nach kulturellen Faktoren, ihnen sind Wertschätzung und eine offene Kommunikation im zukünftigen Unternehmen am wichtigsten. Das ergab eine Befragung Studierender an der TH Aschaffenburg im Auftrag von F!F.
Inwiefern kann die Herkunft von Mitarbeitenden ein Erfolgsfaktor sein?
Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, müssen härter um ihre Chancen kämpfen, das gilt für Schule, Ausbildung und später im Job. Ohne finanzielle Unterstützung oder Vitamin B durch berufliche Kontakte der Eltern haben sie gelernt, Ziele mit hohem persönlichem Einsatz zu verfolgen. Das macht sie oft auch zu starken, authentischen Führungspersönlichkeiten.
Seit dem 1.1.2024 gilt das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Wie viel Einfluss wird das haben?
Gesetzliche Regelungen wie diese sind gut und richtig. Aber sie kratzen in der Wirkung oft eher an der Oberfläche. Viel effektiver ist es, wenn Unternehmen selbst den Mehrwert von Diversität in all ihren Dimensionen erkennen und dann anfangen, an ihrer Unternehmenskultur zu arbeiten, die Mitarbeitenden und Führungskräfte einzubeziehen, klare Ziele zu formulieren. Diese Veränderung einzuleiten und vorzuleben, ist Aufgabe des Topmanagements.
Es ist ein kultureller Transformationsprozess, der weitaus mehr Impact erzielt als Regelungen von außen. Ohne Diversität in Entscheidungen entsteht ein Tunnelblick, der zu Fehlentscheidungen führt. Die wiederum schüren Frust und Misstrauen. Diversität und Gleichberechtigung sind deshalb auch ein wichtiger "Kitt" für uns als Gesellschaft.
Bis zu welcher Ebenen kann ein Unternehmen inklusiv sein?
Als Unternehmen inklusiv zu sein, bedeutet, nicht jedes noch so kleine Team nach Diversitäts-Kriterien zu besetzen. Sondern ein Umfeld zu bieten, in dem sich Mitarbeitende sicher und akzeptiert fühlen und auch die gleichen Rechte erhalten. Damit so eine wertschätzende und offene Kultur entstehen kann, braucht es jedoch eine kritische Menge an Diversität in den Führungsetagen.
Das Interview ist aus der Ausgabe 12/2023 des Fachmagazins "DW Die Wohnungswirtschaft". Das gesamte Heft gibt es auch in der DW-App.
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