DW-Zukunftspreis: Neues Berlin – vom Verwalter zum Gestalter

Früher wurde die Wohnungsbaugenossenschaft Neues Berlin eG autoritär geführt. Sie hat sich neu erfunden und zu einem kooperativen Gestalter modernen Wohnens entwickelt – und wurde dafür mit dem DW-Zukunftspreis ausgezeichnet.

Wenn man sich die Arbeitgeberin Wohnungsbaugenossenschaft Neues Berlin eG heute anschaut, können sich die Fakten sehen lassen: 80 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zufrieden oder sehr zufrieden.

Wie außerdem aus einer internen Umfrage vom Sommer 2023 hervorgeht, beurteilen 87 Prozent die Weiterbildungsangebote als (sehr) zufriedenstellend, und sogar 91 Prozent zeigen sich mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zufrieden oder sehr zufrieden. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels ist es der Genossenschaft zudem gelungen, innerhalb von nur 18 Monaten 15 neue Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen – und dies, obwohl die Genossenschaft ihren Sitz im Stadtteil Hohenschönhausen und damit weit außerhalb des pulsierenden Berliner Stadtzentrums hat.

Gewinner_Neues_Berlin_DW-Zukunftspreis_2024

Diese Erfolge sind das Ergebnis eines "radikalen Kulturwandels durch Investitionen in die fachliche und persönliche Weiterentwicklung unserer Belegschaft", wie die Genossenschaft in ihrer Bewerbung für den DW-Zukunftspreis schreibt. Das hebt auch die Jury des DW-Zukunftspreises der Immobilienwirtschaft in ihrer Laudatio hervor: Die Genossenschaft habe sich "mit ihrem Change-Prozess aus sich selbst heraus neu erfunden".

Tatsächlich war die Genossenschaft vor zehn Jahren noch eine ganz andere. Sie habe zwar auch damals schon mit Innovationskraft und wirtschaftlichem Erfolg überzeugt, sei aber "von einer hierarchischen und autoritären Führung geprägt" gewesen, blickt Thomas Fleck zurück. Fleck kam 2005 für das Bestandsmanagement zur Genossenschaft, heute ist er einer der beiden Vorstände. 2016 begann der Kulturwandel, den er und sein Vorstandskollege Stefan Krause maßgeblich mitgestaltet haben.

Keine Top-Down-Veränderungen

"Unser Ziel als Vorstandsteam war es, den demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu begegnen und die Genossenschaft zukunfts- und transformationsfähig aufzustellen", sagt Fleck. Dabei habe man darauf geachtet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an in den Change-Prozess einzubeziehen "Wir haben ein großes Vertrauen in die Belegschaft", betont Fleck. "Wir setzen hier keine Top-Down-Veränderungen durch, sondern begleiten einen Prozess, in dem wir unsere Unternehmenskultur gemeinsam gestalten und leben."

Dieser Ansatz zeigt sich in der Entwicklung des neuen Leitbilds. Gestartet wurde dabei mit einer Auftaktveranstaltung im Format eines World Cafés, an dem die gesamte Belegschaft teilnahm und ihre Ideen einbrachte. Darauf aufbauend trieb ein Kernteam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Abteilungen den Prozess weiter. Das Ergebnis war die Formulierung eines Leitbildes, das die Beschäftigten zu einem starken Miteinander und einem lösungsorientierten, respektvollen Austausch verpflichtet. Dabei wurde großer Wert auf die persönliche Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegt.

Neues Berlin_Workshop2

Coaching und Mediation: Wichtige Bestandteils des Prozesses

Eine Besonderheit der Berliner Genossenschaft ist, dass Methoden des Coachings und der Mediation breiten Raum einnehmen. Die Genossenschaft investiert jährlich rund 250.000 Euro in die entsprechende Weiterbildung – das ist nicht weniger als ein Prozent der jährlichen Nettokaltmieteinnahmen. Für Führungskräfte ist diese Weiterbildung, die bei der Signet Mediationsakademie erfolgt, verpflichtend, für alle anderen freiwillig. Etwa die Hälfte der Belegschaft hat das Angebot bisher in Anspruch genommen.

"Coaching und Mediation sind für uns deshalb so wichtig, weil wir davon überzeugt sind, dass sich der Mensch nur dann in seinem vollen Potenzial entfalten kann, wenn er über entsprechende Methoden verfügt", erklärt Thomas Fleck. Um dies zu fördern, kommen sowohl in den Workshops als auch im Arbeitsalltag agile Methoden wie "Design Thinking" und "Kanban" (eine Methode zur Steuerung des Workflows) zum Einsatz. Zudem gibt es in den Geschäftsräumen einen Kreativraum, der ohne festes Mobiliar auskommt und in dem Laptop, Tablet und Mobiltelefon nichts verloren haben. Das trägt ebenfalls dazu bei, dass in Meetings auch unkonventionelle Ideen entwickelt werden.

Neues Berlin_Kreativraum

Nicht völlig partizipativ, aber immer reflektiert

Gearbeitet wird bei der Neues Berlin eG zum Teil in selbstorganisierten Teams – so kommt die dreiköpfige Unternehmenskommunikation beispielsweise ohne Vorgesetzte aus.

Darüber hinaus bilden sich crossfunktionale Teams, die abteilungsübergreifend ein Projekt bearbeiten. Ein Beispiel für ein solches Projekt ist der Smartinfo-Screen, der die früheren Hausaushänge ersetzt. "Eingeführt wurde er von Mitarbeitenden aus verschiedenen Abteilungen, so unter anderem Unternehmenskommunikation, Digitalisierung & IT, Bestandsmanagement und Technik", berichtet Vorstand Fleck. "Sie arbeiteten als crossfunktionales Team an dem Pilotprojekt, das in vier Hausaufgängen getestet wurde." Die gesammelten Erfahrungen wurden intern reflektiert und die Rückmeldungen der Mieter mithilfe von Fragebögen ausgewertet. "Erst danach", so Fleck, "rollten wir das Projekt in allen Hauseingängen erfolgreich aus."

Apropos Reflexion: Dieser Begriff ist für die Unternehmenskultur der Genossenschaft von zentraler Bedeutung. Durch "permanente Reflexion" müsse der Prozess des Wandels stetig an neue Herausforderungen angepasst werden, betont Thomas Fleck und nennt ein Ergebnis: "Wir haben im Lauf des Prozesses gelernt, dass es nicht immer vollständig partizipativ geht." In einem neu gegründeten Unternehmen sei es vielleicht möglich, eine sich komplett selbst steuernde Organisation zu realisieren, nicht aber in einem bestehenden System wie der 1957 gegründeten Genossenschaft. "Vorstand und Mitarbeitende haben deshalb partizipativ entschieden, nicht immer zu 100 Prozent partizipativ zu arbeiten", bringt es der Vorstand auf den Punkt.

Veränderung: Nicht nur darüber reden, sondern sie auch wagen

Dabei gilt immer eine Devise: „Business funktioniert nur mit Menschen, die mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden sind und spüren, dass sie gemeinsam und auf Augenhöhe Lösungen finden können.“ Zur Zufriedenheit tragen Maßnahmen wie Teamtage, ein jährliches Sommerfest und ein regelmäßig stattfindender Gesundheitstag bei. Außerdem gab es schon vor der Corona-Pandemie die Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Dabei definieren die Teams selbständig, an welchen Tagen die Anwesenheit der Kolleginnen und Kollegen erforderlich ist. Die Zufriedenheit strahlt offenbar auch auf die Kunden aus: Laut einer Umfrage würden 87,6 Prozent der Mitglieder die Genossenschaft weiterempfehlen.

Mit Blick auf einen möglichen Veränderungsprozess in anderen Genossenschaften empfiehlt Vorstand Thomas Fleck, die Erfahrungen seiner Genossenschaft nicht kopieren zu wollen. "Jede Organisation ist auf ihre Art besonders, und jedes Unternehmen ist individuell", begründet er das. Einige Empfehlungen hat er trotzdem: "Redet nicht nur über Veränderung, sondern wagt sie! Dabei ist es wichtig, immer wieder zu reflektieren, wo man gerade steht, was bereits erreicht wurde und wo noch Potenzial besteht." Außerdem sei es sinnvoll, externe Partner mit an Bord zu nehmen, da sich die Komplexität der Zukunft nur dann gestalten lasse, wenn unterschiedliche Perspektiven einbezogen würden. "Und auch die Beschäftigten müssen mitmachen", ergänzt Thomas Fleck. "Es braucht Multiplikatoren im Unternehmen."

Dass nicht alle sofort von allen Veränderungen begeistert waren, verschweigen die Verantwortlichen der Genossenschaft nicht. „Wir respektieren verschiedene Arbeitsweisen und haben gerade zu Beginn des Prozesses viele Gespräche geführt“, formuliert es Fleck diplomatisch. Annehmen darf man, dass diese Gespräche nicht immer einvernehmlich verliefen – denn "mit einigen Mitarbeitenden hat der gemeinsame Weg dann geendet". Bei alledem aber gilt für den Vorstand: "Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg solcher Prozesse ist ein positives Menschenbild, das von Vertrauen in die Mitarbeitenden geprägt ist."

Video zum Siegerprojekt der Genossenschaft Neues Berlin eG

Neues Berlin eG

Die Genossenschaft Neues Berlin eG wurde 1957 gegründet und verwaltet heute 5.101 Wohneinheiten sowie 16 Gewerbeeinheiten in den Berliner Stadtteilen Hohenschönhausen und Weißensee. Sie zählt rund 7.000 Mitglieder und beschäftigt 84 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vorstände sind Thomas Fleck und Stefan Krause.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 08/2024 der DW Die Wohnungswirtschaft.