"Wenn Mieten steigen, stößt norddeutsche Gelassenheit an Grenzen"
Herr Reutershan, die Gründung der Kieler Wohnungsgesellschaft (Kiwog) wurde im September 2019 beschlossen – was ist seitdem passiert?
Markus Reutershan: Die Kiwog hat im Mai 2020 den Geschäftsbetrieb aufgenommen. Eine unserer ersten Handlungen war der erste Spatenstich zu einem innerstädtischen Wohnungsbauprojekt mit rund 100 geförderten Wohnungen. Dieses Projekt "Marthas Insel" schreitet seitdem voran, Ende 2022 sollen dort die ersten Mieter einziehen.
Für zwei weitere Neubauvorhaben laufen derzeit die Planungen, noch in diesem Jahr soll der Bau beginnen. Geplant ist auch ein zweites Frauenhaus, Baubeginn wird ebenfalls 2021 sein. Darüber hinaus erweitern wir das Portfolio bei Bedarf mit Bestandsimmobilien, um diese dauerhaft dem Markt als bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Hier regulierend mitzuwirken ist auch besonders vor dem Hintergrund sinkender Belegungsrechte an Sozialwohnungen ein wichtiger Aspekt.
Last but not least nehmen viele Dinge einen großen Raum ein, die nicht nach außen wirken. Dazu gehört zum Beispiel die Zusammenstellung eines motivierten Teams, das für die Umsetzung der Aufgaben unabdingbar ist. Eine vielfältige und spannende Agenda also, aber so soll es ja auch sein!
Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Wie viele bezahlbare Wohnungen fehlen denn auf dem Kieler Wohnungsmarkt?
Für Kiel ist bis 2030 ein Bevölkerungswachstum von drei bis fünf Prozent prognostiziert, das sind etwa 12.000 neue Einwohner. Dafür werden rund 9.000 Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment benötigt. Hier werden und wollen wir einen wesentlichen Beitrag leisten.
Darüber hinaus wollen wir aktiv zur Stadtentwicklung beitragen und, wenn erforderlich, bestimmte Quartiere sozial stabilisieren. Dafür arbeiten wir mit der Landeshauptstadt eng zusammen, um gemeinsam dem kommunalen Wohnraumversorgungsauftrag und der Daseinsfürsorge auch in Zukunft gerecht werden zu können.
Wie viele der 9.000 benötigten Einheiten wird die Kiwog bauen?
Unser Auftrag der Ratsversammlung lautet, dass wir in den nächsten zehn Jahren 1.000 Wohnungen bauen oder aus dem Bestand rekrutieren sollen. Ich gehe aber davon aus, dass wir unser Ziel deutlich früher erreichen werden. Zahlen sind dabei sicherlich eine wichtige Messlatte. Eine Wohnungsgesellschaft aber ausschließlich darauf zu reduzieren, wäre fatal. Gerade die Quartiersentwicklung ist ein ganz wesentlicher Aspekt unserer Arbeit. In sozial gefährdeten Stadtteilen so einzugreifen, dass sie aufgewertet und gleichzeitig die Bewohner nicht verdrängt werden, ist eine Aufgabe, die sich nicht mit Zahlen messen lässt, aber genauso wichtig ist.
"Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um mehr Gemeinsamkeit"
Einen Vorwurf musste sich die Kiwog häufig anhören: Es gebe schon ausreichend sozial orientierte Akteure auf dem Kieler Wohnungsmarkt.
Kiel hat ein sehr begrenztes Flächenpotenzial. Da unterscheidet sich die Stadt kaum von anderen großen Städten und Ballungsräumen. Bauland ist rar und die Konkurrenz zu anderen öffentlichen Nutzungen, wie beispielsweise für Schulen, Sportflächen und Gewerbeflächen, ist groß.
Mit der Kiwog hat die Stadt die Möglichkeit, städtische Flächen sozial verträglich zu nutzen. Dabei geht es uns vor allem darum, Impulsgeber für vernachlässigte Preissegmente zu sein. Ziel ist es, einen stabilen Wohnungsmarkt in Kiel zu schaffen und das wollen wir im Schulterschluss mit allen Akteuren erreichen, die sich mit diesem Ziel identifizieren können. Es geht also nicht um Konkurrenz, sondern um mehr Gemeinsamkeit für bezahlbaren Wohnraum in Kiel.
Dem Bund der Steuerzahler war die Kiwog sogar einen Eintrag im Schwarzbuch des vergangenen Jahres wert. Wie haben die Kieler darauf reagiert?
Die positiven Rückmeldung und die damit oft verbundene Bekräftigung, dass dies die richtige Entscheidung für Kiel war, haben überwogen. Auch wenn das in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal die etwas leiseren Stimmen sind.
Grundsätzlich sind Wohnungsgesellschaften bundesweit ein wirkungsvolles Instrument gegen Mietenexplosionen. Das, was hier an Steuergeldern investiert wird, kommt Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen zu Gute – jenen also, denen der Mangel an bezahlbaren Wohnungen besonders Sorgen bereitet.
Wobei es eben nicht nur an bezahlbaren Wohnungen mangelt...
Wie schon gesagt, es fehlen in Kiel geeignete Flächen für den Wohnungsbau. Aber diese Flächenarmut ist kein Kieler Problem. Bundesweit treibt der Mangel an geeigneten Grundstücken die Preise in die Höhe. Immobilienwirtschaft fungiert dann nach dem Höchstbieterprinzip mit den entsprechenden fatalen Auswirkungen für die Mieter. Wohnungsgesellschaften sind hier weitaus mehr als nur "ein weiterer Interessent für die raren Grundstücke", wie es im Schwarzbuch heißt.
Die Wirtschaftlichkeit der Kiwog wird sich dabei nicht nur an der betriebswirtschaftlichen Rendite messen lassen, sondern vor allem auch daran, ob es gelingt, ein bezahlbares Mietniveau für alle Kieler zu erreichen.
Das klingt erst mal nach norddeutscher Gelassenheit. Die würden sich wohl auch die großen Wohnungskonzerne wünschen, die bei den zahlreichen aktuellen Debatten zu Wohnungsmangel und Enteignung regelmäßig im Zielkreuz der Kritiker stehen.
Wenn die Mieten enorm steigen, stößt auch norddeutsche Gelassenheit an Grenzen. Wohnen ist schließlich ein Grundbedürfnis und das hohe Gut "Wohnen" hat in dem von Corona überschatteten Jahr noch einmal eine ganz besondere Bedeutung erfahren. Die Menschen sind mehr denn je auf ihre Wohnung als Rückzugsort angewiesen und möchten sich diesen auch in Zukunft leisten können. Viele Mieter haben dabei bundesweit und auch in Norddeutschland die Erfahrung machen können, dass städtische Wohnungsgesellschaften in der Regel für bezahlbare Mieten stehen. Genau das ist auch das Bestreben der Kiwog.
Kommen städtische Wohnungsunternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung möglicherweise besser weg?
Wir profitieren hier mit Sicherheit von der guten Arbeit auch anderer kommunaler Wohnungsgesellschaften. Vielleicht haben wir dadurch einen Sympathie-Vorsprung. Für uns ist er auf jeden Fall Ansporn, bezahlbares Wohnen in angenehmen Wohnquartieren auch in Zukunft zu ermöglichen.
"Die Kiwog schließt die Lücke auf dem Kieler Wohnungsmarkt"
Man behebe damit einen historischen Fehler, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer nach dem Gründungsbeschluss der Kiwog. Gemeint hat er den Verkauf der damaligen kommunalen Wohnungsgesellschaft mit rund 10.000 Wohnungen. Was hat man in Kiel daraus gelernt?
Kiel hat vor rund 20 Jahren seine Vorgängergesellschaft KWG verkauft, weil ein massiver Bevölkerungsrückgang vorausgesagt wurde und weil unter anderem der Verkauf städtischer Wohnungen als sinnvolles Instrument der Haushaltssanierung galt.
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass dies ein Fehler war. Die Bevölkerung ist gewachsen, die Mieten steigen, Menschen mit unterem und mittlerem Einkommen können sich das sprichwörtliche Dach über dem Kopf nicht mehr leisten. Um dieser Spirale zu begegnen, wurde die Kiwog gegründet. Sie schließt sozusagen die Lücke, die der Verkauf der KWG auf dem Kieler Wohnungsmarkt hinterlassen hat.
Sie sind Partner des Wohnungsbau-Bündnisses der Stadt Kiel, dem Masterplan Wohnen. Wie sieht der Masterplan für die Kiwog aus?
Der im Jahr 2015 erstmals aufgesetzte Masterplan wurde gerade im Herbst letzten Jahres mit dem Masterplan Wohnen 2.0 fortgeschrieben. Ihren Schwerpunkt sieht die Kiwog danach im Wohnungsbau des unteren bis mittleren Preissegments, dort wollen wir Impulse setzen. Damit sollen auch die Menschen versorgt werden, die in normalen Mietverhältnissen keine Chance haben.
Ich habe die Gelegenheit im Rahmen der Vorstellung des neuen Masterplans genutzt, nochmal zu betonen, dass die Kiwog sich nicht als Konkurrenz oder Wettbewerberin sieht, sondern das als gemeinschaftliche Aufgabe sieht. Sie wird nicht die Lösung aller Probleme sein können, aber wir wollen auf lange Sicht zumindest Teil der Lösung sein.
Sportlich gesehen ist diese Gründung also kein Sprint, sondern eher die Langstrecke!
Dann gutes Durchhaltevermögen und vielen Dank für das Gespräch!
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