Reportage: Ist die serielle Sanierung serienreif?

Die serielle Sanierung gilt als Schlüsseltechnologie, um den Gebäudebestand schnell und effizient klimaneutral zu transformieren. Ein Meilenstein dafür wurde in Frankfurt/Oder erreicht, wo B&O ein Werk für vorgefertigte Holzelemente eröffnet hat. Ein Blick hinter die Kulissen.

Es ist ein Donnerstag im Mai 2024: Die Sonne strahlt, weiße Tischdecken flattern im Wind, Getränke werden gereicht. Eine Live-Band spielt Saxofon. Die Gastgeber kümmern sich um die letzten Handgriffe. Reden werden gehalten, man spricht vom Heiraten. Wo bin ich gelandet?

Im Wonnemonat Mai liegt der Verdacht nahe, dass ich Gast auf einer Hochzeit bin – doch warum sollte ich darüber in der "Immobilienwirtschaft" schreiben? Nein, ich bin in Frankfurt/Oder, wo an diesem Tag feierlich das neue Werk für vorgefertigte Holzelemente der B&O Bau eröffnet wird.

Brandenburg und vorgefertigte Bauelemente – die Kombination hat man doch schon einmal gehört. Und auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) geht in ihren Grußworten auf diese Assoziation ein. Während manche aber Vorurteile gegenüber dem Plattenbau entwickelt haben, sieht Geywitz die Erfahrung damit als Technologie, die für die Zukunft weiterentwickelt werden kann: "Die gute alte Platte wird mit dem Holzbau verheiratet." Ob es sich dabei um eine Liebesheirat oder um eine Zweckehe handelt?

Know-how auch am Münchner Olympiastadion

Die obligatorische Schleife wird feierlich durchschnitten – dann öffnet sich das Rolltor zu den heiligen Hallen. Durch die hohen Decken und den Hall hat es etwas von einer Kathedrale – nur die Orgel fehlt. Es duftet nach Holz. Noch ist es relativ ruhig. Doch das soll sich im Laufe der Werksführung ändern, wenn auf den einzelnen Produktionsstrecken die Holzelemente verarbeitet werden. Geschäftige Werkstattgeräusche passen auch viel besser zu einem Produktionsstandort als andächtige Stille.

Handwerkliche Bodenständigkeit ohne viel Lärm zu machen, die Ergebnisse für sich sprechen zu lassen – das ist jedoch ein wesentliches Merkmal von B&O. 1958 wurde das Unternehmen von Edith Bihler, Max Oberneder, Gustav Dick und Udo Lindauer als Dachdeckerbetrieb Bihler und Oberneder gegründet und mauserte sich schnell zu einem führenden Unternehmen im Bereich Dach- und Fassadenbau. 1989 wurde die Firma an Private-Equity-Investoren verkauft.

Zehn Jahre später sollte B&O bei der Dachsanierung des Münchner Olympiastadions helfen. Ein so wichtiger Auftrag, dass das Dach sogar bis vor Kurzem das Logo von B&O zierte. Nach einem Management-Buy-out 2004 wurde die Unternehmensstruktur verändert und unter der B&O Gruppe zusammengefasst. Seitdem erinnern nur noch die Buchstaben B&O an die Historie des Betriebs, auch auf der Website sucht man vergeblich nach den Informationen.

Holz als beständiger Rohstoff

Auch wenn der Neubau seit jeher zum Kerngeschäft des Unternehmens gehört, engagiert es sich seit der Jahrtausendwende auch in der Sanierung. Eine Spezialität des Unternehmens mit Hauptsitz in Bad Aibling ist der Holzbau. Aktuell liegt der Holzbau aus Gründen der Nachhaltigkeit wieder voll im Trend, doch das war nicht immer so. Dass die Firma auf den eigenen Instinkt gehört hat und ihrer Linie treu geblieben ist, wird auch bei der Werkseröffnung nicht ohne Stolz erwähnt. Maren Kern, Vorständin BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., fasst in ihrer Rede zusammen: "B&O hat auf Holz gesetzt, als viele beim Stichwort Holz nur an die Feuerwehr gedacht und den nächsten Löschteich gesucht haben."

In Frankfurt/Oder wird auf die Verarbeitung der Märkischen Kiefer aus der Umgebung gesetzt. Laut Kern sei das dreifach klimafreundlich: Der Rohstoff ist nachwachsend und regional zu finden, Holz bindet CO2 und Holz ist kreislauffähig. Auch Prof. Dr. Philipp Misselwitz, Geschäftsführer Bauhaus Erde, Architekt und Experte für Stadtplanung, betont in seinem Vortrag die Bedeutung von Holz als Baustoff: Die CO2-Werte müssten entlang der gesamten Produktwertschöpfungskette betrachtet werden. Die Hälfte der CO2-Emissionen beim Bauen entstünden durch das Material und nicht durch den Gebäudebetrieb.

Neues Hochleistunsgwerk im Herzen Europas

Der Service der B&O Bau GmbH besteht darin, als Generalunternehmerin schlüsselfertige Lösungen für den Wohnungsbau zu liefern. Das Unternehmen setzt auf vorgefertigte Elemente, die es hier im Werk selbst produziert. Dabei kommen hochgradig automatisierte Fertigungsprozesse zum Einsatz. Verarbeitet wird vor allem das erwähnte regionale Kiefernholz, das als Ausgangsmaterial für Holzfassaden und Holzmassiv- sowie Holzrahmenwände verwendet wird.

Die vorgefertigten Bauelemente werden dann in unterschiedlicher Weise im Wohnungsbau genutzt: von der seriellen Fassadensanierung über dreigeschossige Dachaufstockungen bis hin zu mehrgeschossigem Wohnungsneubau in Holzhybrid-Bauweise. "Es handelt sich um eine der flexibelsten und leistungsstärksten Produktionsanlagen Europas. Wir können dank des neuen automatisierten Verfahrens mit sehr effizientem Ressourceneinsatz über diese Anlage hochtragfähige Wandelemente erzeugen. So können innerhalb kürzester Zeit Gebäude mit bis zu acht Geschossen realisiert werden", erklärt Michael Schäpers, Leitung Forschung und Entwicklung bei B&O Bau, die Anlage. Für Schäpers basiert die Strategie des Herstellers auf einem Dreiklang: digitale Planung mit BIM, ein nachhaltiges Produkt und innovative Technologie.

Die Anlage in Frankfurt/Oder könnte theoretisch rund um die Uhr laufen, jedoch wird sie aktuell in nur einer Schicht betrieben. Sie bietet die Möglichkeit, sowohl Elemente für den Neubau als  auch für die serielle Sanierung herzustellen. Das Verhältnis liegt laut Schäpers aktuell bei 70 Prozent für den Neubau und 30 Prozent für die Sanierung. Die Auslastung basiert auf der Auftragslage, denn grundsätzlich hat die Sparte der Sanierung für das Unternehmen eine große Bedeutung: "Fast ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland entstehen durch die Bau- und Gebäudewirtschaft. Neben nachhaltigem Neubau ist auch eine energetische Sanierung des Gebäudebestands unerlässlich. Wir sehen in der seriellen Sanierung großes Potenzial. Bestandsgebäude können heute nach der seriellen Sanierung Net-Zero-Standard im Betrieb erreichen", sagt Dr. Friederike Münn, Prokuristin B&O Bau.

So läuft die Produktion ab

Die Rahmenbedingungen für die serielle Sanierung sind klar. Aber wie funktioniert nun die Produktion? Im Gegensatz zu den Holzganzwandelementen im Neubau enthält das Fassadenelement für die serielle Sanierung keinen Tragkern aus Stielen, da die Lasten aus dem Gebäude weiterhin über dessen bestehende Außenwände abgeleitet werden.

Die vorgefertigten Fassadenelemente werden fertig an die Baustelle geliefert und an der Gebäudehülle des Bestandsgebäudes befestigt. Der Abstand beträgt in der Regel zirka 60 Zentimeter, um gegebenenfalls Unebenheiten der bestehenden Fassade auszugleichen. Außerdem kann der Spalt genutzt werden, um die technische Gebäudeausrüstung (TGA) unterzubringen. Der restliche Abstand kann gegebenenfalls mit einer zusätzlichen Dämmung ausgeblasen werden.

Um die Fassadenelemente passgenau und maßgeschneidert herstellen zu können, ist bei der seriellen Sanierung ein 3D-Aufmaß des Bestandsgebäudes erforderlich. Meist wird dieses aus einer Kombination von einem Laserscan-Aufmaß und einer Drohnenbildauswertung (Photogrammetrie) erstellt. Aus der erzeugten Punktwolke lässt sich dann ein maßstabsgetreues 3D-Modell erstellen, das einen digitalen Zwilling des Gebäudes darstellt und in ein BIM-Modell übertragen werden kann. Auf Basis des Modells wird dann die Werkplanung der Fassadenmodule erstellt. Die hohe Flexibilität des Systems lässt dabei verschiedenste Fassadengestaltungen zu.

Serielle Sanierung Produktion Stielemagazin B&O

Wenn die Planung abgeschlossen ist, werden die nach 3D-Modell individuell geplanten Fassa-denelemente automatisiert im Werk gefertigt: Die Abbundanlage, also die Maschine zur Holzverarbeitung, fertigt Verschnitt-optimiert aus einem Stiele-Magazin (dort werden die Holzbalken gelagert) vollautomatisch alle erforderlichen Einzelteile. Über die Riegelwerksstation werden diese Einzelteile dann im Durchlauf mit einem Roboter zum Riegelwerk, einem zusammenhängenden Element, zusammengesetzt. Die jeweiligen individuell für das Bauvorhaben gefertigten Riegelwerke werden im Werk mit höchstmöglichen Vorfertigungsgrad komplettiert und im Anschluss ausgeliefert.

Bedeutung der seriellen Sanierung für die Immobilienwirtschaft

Bundesbauministerin Klara Geywitz rief die Anwesenden bei der Werkseröffnung dazu auf, kräftig die Werbetrommel für die serielle Sanierung zu rühren. Das ist auch dringend notwendig, denn obwohl die Quote der Bestandssanierung in Deutschland derzeit bei drei Prozent liegen sollte, um die Klimaneutralität zu erreichen, liegen wir knapp unter einem. Für Geywitz ist die serielle Sanierung ein großer Hebel für die Klimaneutralität im Bestand.

Dies sei einerseits eine Frage der Bezahlbarkeit, denn eine Serienproduktion kann dazu führen, dass es preiswerter werde. Auf der anderen Seite sei da das Ablaufmanagement: Wenn man ganz viele unterschiedliche Gewerke koordinieren müsse, um ein Haus oder eine Fassade zu sanieren, sei das bei der hohen Auslastung der Handwerksbetriebe in Deutschland sehr anstrengend.

Wenn alle Bauteile fertig auf die Baustelle kämen und die Fassade nur noch montiert werden müsse, sei das für Wohnungsbestandshalter – auch bei limitierter Verwaltung – eher machbar.

Serielle-Sanierung Geywitz B&O

Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft, GdW, geht davon aus, dass 20 Prozent der Mehrfamilienhäuser in Deutschland für die serielle Sanierung geeignet sind. Für eine erfolgreiche seriell Sanierung sollten Bestandsgebäude im besten Fall folgende Kriterien erfüllen:

  • mehr als 1.000 Quadratmeter Wohnfläche,
  • zwei bis acht Etagen,
  • kein Denkmal- oder Ensembleschutz,
  • einfache Kubatur und einfache Fassadenstruktur,
  • einfache Anfahrbarkeit,
  • wenig Baumbestand,
  • Standmöglichkeit für Kran, Gerüst usw.,
  • kein bisheriges Contracting.

Die Vorteile liegen dann klar auf der Hand: Die serielle Sanierung verläuft deutlich schneller und kann in bewohntem Zustand erfolgen. Dank des hohen Grads der Vorfertigung wird weniger Personal auf der Baustelle benötigt. Die Kosten sind bereits im Vorfeld kalkuliert und der Aufwand für den Immobilieneigentümer wird weniger. Mit digitaler Planung ist die Umsetzung präzise.

Doch laut GdW braucht es dringend eine Anschubförderung, um der seriellen Sanierung zum Durchbruch zu verhelfen. Auch die Hersteller Betonen die Wichtigkeit der Förderung: Das aktuelle Modell in Kombination mit dem Bonus für die serielle Sanierung in Höhe von 15 Prozent stärke den Quartiersgedanken und könne für Skalierungseffekte genutzt werden.

Abgerechnet wird zum Schluss

Wie bei einer Hochzeit so üblich, folgt nach dem rauschenden Fest der Alltag. Hier zeigt sich dann, ob das glückliche Ehepaar auch wirklich bis zum Ende aller Tage glücklich zusammenbleibt. B&O hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie die richtigen Partner für das Beständige sind, ohne aber den Funken Innovation zu verlieren. Ob es bei der seriellen Sanierung und der Immobilienwirtschaft die ganz große Liebe ist, muss sich erst noch erweisen.

Der Anfang ist definitiv gemacht. Doch eine Ehe stellt auch eine finanzielle Verbindung zweier Parteien dar – so wird die Finanzierbarkeit am Ende ein wichtiger Faktor dafür sein, ob sich die serielle Sanierung durchsetzt. Um die Klimaneutralität im Gebäudebestand zu erreichen, wird allerdings kein Weg daran vorbeiführen, Lösungen zu finden. Die serielle Sanierung könnte ein Schlüssel dazu sein.

Die vollständige Reportage erschien im Fachmagazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 03/2024.


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