Fachkräftemangel trotz Stellenabbau in der Wirtschaft

Für den öffentlichen Dienst waren Wirtschaftskrisen immer schon der Zeitpunkt, Personal einzustellen. Ist das diesmal auch so? Braucht es die teure Employer Branding Kampagne nicht mehr? Erste Stimmen werden in diesem Sinne laut. Eine Analyse.

Beinahe täglich liest, hört oder sieht man es in den Nachrichten: Der Wirtschaft geht es schlecht. Die Anzahl der Stellenausschreibungen sinkt, Kurzarbeit ist Realität, Personalabbau wird angekündigt, der Anstieg der Arbeitslosenzahlen droht.

Die Wellen kommen schneller

Das Recruiting im öffentlichen Dienst hat immer schon eine Wellenbewegung erlebt. Ging es der Wirtschaft schlecht, hat der öffentliche Dienst Stellen besetzen können. Ging es der Wirtschaft gut, wurde eine Ausbildung im öffentlichen Sektor von den Mitschülern mitleidig belächelt. Diese Wellenbewegung hat sich erheblich beschleunigt und die Wellen wurden höher: Die Krisen kommen häufiger, der Bedarf des öffentlichen Dienstes steigt. Daher ist anzunehmen, dass Deutschland nicht in eine jahrelange Rezession verfällt, sondern die Unternehmen bald wieder einstellen werden.

Das Problem wird größer

Ich glaube daher nicht daran, dass der immense Personalbedarf des öffentlichen Dienstes durch das aktuell frei gestellte Personal langfristig gedeckt werden kann. Auch, weil die Lücke dank Überalterung des Personals im öffentlichen Dienst noch deutlich größer werden wird. Es ist die schiere Anzahl, die meine Prognose negativ ausfallen lässt. Die Arbeitsplätze werden zudem im Schwerpunkt in der Industrie abgebaut. Automobilbau ist dabei ganz vorn. Daraus mag die ein oder andere Fachlichkeit auch im öffentlichen Dienst gefragt sein, die Masse der offenen Positionen verlangt aber eine ganz andere Qualifikation. Der Match zwischen Arbeitskräften und Stellenprofil wird so nicht gelingen. Pflegekraft, Erzieher, Arzt oder Polizist sind hier nur naheliegende Beispiele.

Das Erwerbspersonenpotential sinkt

Hinzu kommt, dass viele Arbeitgeber mit großzügigen Abfindungen und Altersteilzeitmodellen Menschen mit einem Lebensalter von deutlich unter 60 die vorzeitige Verrentung versüßen. Subventioniert durch den Staat verschärft der aktuelle Stellenabbau den zukünftigen Mangel an Erwerbspersonen daher noch. Wir sind eine stark alternde Gesellschaft, die sich zudem mit qualifizierter Migration sehr schwertut. Auch wenn wir jetzt eine Krise am Arbeitsmarkt haben, zeigen die Zahlen, dass in Kürze jeder der arbeiten will, auch arbeiten kann. Der öffentliche Dienst wird dabei einer von vielen Arbeitgebern sein, der mit der Wirtschaft konkurrieren wird.

Jetzt das Recruiting ausrichten

Dennoch sind Wirtschaftskrisen auch immer eine Chance für das Recruiting im öffentlichen Dienst. Wird ein Stellenabbau in der Region angekündigt, empfehle ich jedem Personalleiter, entsprechende Kontakte zu suchen und sich als Arbeitgeber zu präsentieren. Es ist eine Win-Win-Win-Situation: Für den öffentlichen Dienst, für das entlassende Unternehmen und für die Menschen, die schnell eine Perspektive finden. Neben diesen Ad-hoc-Maßnahmen gilt es, die Zielgruppen im Recruiting zu schärfen. Warum nicht auch über 40-jährige für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst begeistern, statt nur Schüler? Die aktuell freigestellten Menschen sind gezielt anzusprechen, ihre Situation in den Botschaften aufzugreifen und attraktive Alternativen anzubieten. Auch hier gilt wie immer: Wer schneller ist, stellt besser ein!

Quereinstieg ermöglichen

Wichtig ist zudem, ernsthaft den Quereinstieg in den öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Dafür müssen Anforderungen in Stellenanzeigen abgespeckt oder Alternativen geschaffen werden. Muss der neue Kämmerer immer schon ein Kämmerer gewesen sein? Oder genügt auch ein Bilanzbuchhalter, den man „on the Job“ weiterbildet? Wichtig ist zudem, den Kulturwandel aktiv zu begleiten. Es ist für Bestandspersonal, das sich durch AL 1- und AL 2-Lehrgänge gekämpft und jahrelang auf E 11 hingearbeitet hat, schwer zu verkraften, wenn plötzlich ein Quereinsteiger direkt in gleicher Einwertung aus der Wirtschaft übernommen wird. Dies gilt es anzusprechen und zu diskutieren. Durch gute Organisation, Traineeprogramme und Entwicklungsprozesse können Ausgleiche geschaffen werden.

Ein Fazit

Die aktuelle Wirtschaftskrise kann dem öffentlichen Dienst helfen, die Lücke im Fachkräftemangel zu verkleinern. Das ist aber kein Selbstläufer. Es bedarf des gezielten Recruitings, entsprechender Qualifikation und eines guten Onboardings, um den Kulturschock zu minimieren. Die Behörden, die sich flexibel genug zeigen, werden hier punkten können. Dennoch wird das Problem in der Branche bestehen bleiben. Daher empfehle ich dringend, auf die Employer Branding Kampagne nicht zu verzichten. Im Gegenteil.


Schlagworte zum Thema:  Fachkräftemangel, Recruiting, Employer Branding