Fachkräftemangel öffentlicher Dienst Wege aus der Krise

Die Gesellschaft altert und das Erwerbspersonenpotential sinkt dramatisch. In den Behörden wird gleichzeitig in 15 Jahren knapp die Hälfte der aktuell Beschäftigten fehlen. Employer Branding allein wird da keine Rettung sein. Was dann? Vier Strategien, wie der öffentliche Dienst bestehen kann.

Sehenden Auges in den Mangel

Der Fachkräftemangel verschlimmert sich zusehends. Die Personalgewinnung ist bereits heute schwierig. Aufgrund fehlenden Nachwuchses steigt gleichzeitig die Konkurrenz – im öffentlichen Dienst und mit der Wirtschaft, die trotz etwas jüngerer Belegschaften ansonsten vor den gleichen Herausforderungen steht. Noch ist es nicht so weit, aber es ist absehbar, dass selbst Pflichtaufgaben in Zukunft nicht mehr erfüllt werden können. Insofern ist es erstaunlich, dass viele Behörden gar kein Problembewusstsein haben.

Umso erfreulicher, dass einige Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ihre Strategien zur Personalgewinnung anpassen, neue Zielgruppen in den Fokus nehmen und beginnen, die Recruitingprozesse zu optimieren. Auch Employer Branding ist inzwischen kein Fremdwort mehr. Alleinstellungsmerkmale werden herausgearbeitet und Arbeitgebermarken definiert. Das Personalmarketing wird kreativer und umfangreicher. Langsam reift sogar die Erkenntnis, dass die Bedeutung des Personalerhalts dem Recruiting den Rang abgelaufen hat. Aber wird uns das retten?

Bewerber lassen sich nicht backen

Auch wenn die Unterschiede noch groß sind, ist absehbar, dass zukünftig so etwas wie "Waffengleichheit" herrschen wird: Die Behörden haben alle eine mehr oder minder ansprechende Arbeitgebermarke, nutzen endlich zielführende Karriereseiten und Stellenanzeigen, sind durch geschicktes Marketing als Arbeitgeber sichtbar und rekrutieren auf Augenhöhe. Der Vorsprung der First Mover wird schwinden. Was dann?

Fachkräfte lassen sich nicht schnitzen und Bewerber nicht backen. Der flächendeckende Mangel bleibt also und wird sich verschärfen. Der Branche des öffentlichen Dienstes hilft am Ende des Tages kein Employer Branding. Wir müssen uns bereits heute darauf einstellen, öffentliche Verwaltung mit weniger Menschen zu gestalten. Es braucht eine grundsätzliche Neuausrichtung auf vier Ebenen: bundespolitisch, tarifvertraglich, durch fokussierte Digitalisierung und durch ein neues Verständnis von Verwaltung:

1. Mehr Menschen in Arbeit bringen

Arbeiten in Deutschland muss attraktiv sein – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Die Politik ist aufgerufen, das Arbeiten im öffentlichen Dienst über das Rentenalter hinaus attraktiv zu gestalten. Die Menschen arbeiten dann weiter, wenn es Spaß macht und sich finanziell lohnt. Unser Land muss darüber hinaus von der durch fehlende Kinderbetreuung erzwungenen Teilzeitquote der Eltern runter. Wegen der ausgeprägten und politisch abzustellenden "Gender Pay Gap" handelt es sich meist um Frauen, die gerne mehr oder Vollzeit arbeiten würden – wenn sie könnten. Dafür braucht es Ganztagesschulen mit pädagogischem Anspruch und nicht nur eine „Aufbewahrung“ für Schulkinder. Ebenso Kinderkrippen, Kindergärten und Horte, die nicht bereits um 13:00 Uhr schließen, sondern die es den Eltern erlauben, darüber hinaus zu arbeiten.

Zudem sind die jahrzehntealten Arbeitszeitschutzgesetze zunehmend ein Hemmnis. Der 8-Stunden-Tag ist 30, die 5-Tage-Woche 70 Jahre alt. Damals gab es noch keine Digitalisierung. Die Welt hat sich seither massiv verändert. Es braucht neue Freiheiten – für Arbeitgeber und die Menschen. Starre Pausenregelungen oder Zeiterfassungspflichten scheinen aus der Zeit gefallen. Mehr Flexibilität ermöglicht, Leben und Arbeiten optimal zu gestalten. Und genau das reduziert Teilzeitquoten und motiviert zur Arbeit.

Der Bedarf an Erwerbspersonen ist so hoch, dass es dringend angezeigt ist, die Weichen für mehr qualifizierte Migration zu stellen. Gleichzeitig sind wir davon weit weg: Deutschland ist schon lange kein Wunsch-Zuwanderungsland mehr. Dringend benötigte hoch qualifizierte Arbeitskräfte winken angesichts maximal komplizierter, bürokratischer und langwieriger Prozesse ab. Die Willkommenskultur ist auch nicht optimal. Gut integrierte und ausgebildete Migranten werden bis heute sogar abgeschoben.

Bei all diesen Punkten muss bundespolitisch schnellstens gehandelt werden. Dabei darf die Angst vor der Reaktion der politisch Extremen kein Hindernis, sondern muss Antrieb für die Schaffung eines tragfähigen Konzepts sein: Mehr qualifizierte Zuwanderung ermöglichen, Migranten für den Arbeitsmarkt fit machen und Integration fördern. Auch berufliche Anerkennung muss beschleunigt und Quereinstieg ermöglicht werden. Ich bin überzeugt, dass mit der richtigen Kommunikation die Menschen sehr wohl die Notwendigkeit verstehen und man Ängsten begegnen kann.

2. TVöD disruptiv erneuern

Behörden beklagen sich vehement, dass ihnen TVöD, TV-L und Co. im Weg stehen. Fachkräfte mit den Möglichkeiten der Entgelttabellen zu gewinnen und zu halten, erscheint zunehmend aussichtslos. Auch eine Personalentwicklung ist nur in engen Grenzen möglich. Die Berufe des öffentlichen Dienstes für den dringend notwendigen Quereinstieg zu öffnen, ist im Tarifvertrag nicht wirklich vorgesehen. Auch leistungsorientierte Prämien haben sich in der Praxis als nur wenig motivierend herausgestellt.

In Zeiten des Mangels wird die Wirtschaft zukünftig noch stärker über die Faktoren Geld und Zeit scharenweise Fachkräfte aus der Branche ziehen. Denn neben den engen finanziellen Spielräumen der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gibt es auch kaum Möglichkeiten, die Arbeitszeiten flexibel anzupassen. Sabbaticals oder die Vier-Tage-Woche mit Verkürzung der Arbeitszeit – alles Dinge, die mit dem TVöD gar nicht oder nur kompliziert, über Umwege und mit Ausnahmen möglich sind.

Der TVöD ist nicht zu retten. Seine Struktur und Grundannahmen sind veraltet, ein Herumdoktern bringt da nichts mehr. Ich lade die Tarifvertragsparteien ein, diesen nicht zu überarbeiten, sondern von Grund auf neu zu gestalten und die Branche so in die Zukunft zu führen.

3. Den Outcome der Digitalisierung in den Fokus stellen

Die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung wird bisher outputorientiert betrieben: Wir zählen, wie viele Online-Services es gibt. Das funktioniert nicht gut. Zum Beispiel stellen wir fest, dass das reine Vorhandensein von Online-Diensten nicht deren Nutzung bedingt. Durch den Gang ins Amt wird sofort das Ziel erreicht, während man im digitalen Prozess erst nach Tagen analoge Post bekommt. Das Versprechen, durch Digitalisierung effizienter zu werden, wird nicht gehalten.

Was bringt´s? Der Outcome im Sinne eines Mehrwertes der digitalen Verwaltungsprozesse für Bürger und Unternehmen muss zukünftig der Digitalisierung vorangestellt werden. Dann werden die Online-Services auch tatsächlich genutzt und reduzieren gleichzeitig den analogen Aufwand in den Behörden. Nutzerorientierung führt zur Effizienzsteigerung, Bürokratie wird abgebaut, Prozesse werden verschlankt und automatisiert. Nur mit einem Umdenken hin zu outputorientierter Digitalisierung ist die Arbeit mit weniger Personal zu stemmen.

4. Verwaltung neu denken!

Wozu braucht es Anträge auf Kindergeld, wenn es ohnehin nahezu jeder bezieht? Man könnte das Kindergeld doch auch ab Geburt pauschal anweisen. Wozu Anträge zur Schulanmeldung, wenn es Schulpflicht und Schulsprengel gibt? Zukünftig könnten die Eltern über Schule, Ort und Zeit informiert werden. Wer es anders, früher oder später will, kann immer noch tätig werden.

Die Rede ist von Push Government, dem proaktiven Handeln der öffentlichen Verwaltung - ganz ohne Anträge, Unterlagen und individuelle Einzelfallprüfungen. Im Grunde muss der Antrag oder der Gang zum Amt die Ausnahme werden und die Masse der Verwaltungsleistungen proaktiv und pauschal erledigt werden. Flankiert von Bürokratieabbau und radikaler Aufgabenkritik gelingt es so, mit geringeren personellen Kapazitäten auch in Zukunft eine professionelle Verwaltung zu bieten.