Neues Lernen: Lernst du schon oder machst du noch Fortbildung?

Der Mensch lernt immer und überall. Wenn er etwas sieht, liest, hört, ausprobiert. Durch Anwendung dieses neuen Wissens, durch Wiederholung oder gezieltes Training wird er immer besser. Besonders gut lernt er, wenn er Interesse daran hat. Man sollte meinen, dass dies auch im beruflichen Umfeld gilt. Tut es aber nicht. Um im digitalen Wandel Schritt halten zu können, müssen Organisationen ihr Verständnis zum Lernen neu definieren.

Fortbildung ist keine Personalentwicklung

In meinen Employer Brandig Projekten begegnet mir als Arbeitgeberleistung oft der umfangreiche Fortbildungskatalog. Das Ganze wird als Personalentwicklung beworben. Im Mitarbeitergespräch werden den Kollegen dann alle möglichen Schulungen angediehen. Nicht selten entsteht Zwang. Und die Kollegen sollen dann doch bitte froh darüber sein. Denn schließlich kümmert man sich um deren Personalentwicklung.

Ist das wirklich so? Ich halte dagegen: Eine Fortbildung angeboten zu bekommen, die man nicht will, nicht braucht oder nicht mag, ist keine Personalentwicklung, sondern rausgeworfenes Geld. Dass Menschen ohne intrinsische Motivation eher schlecht lernen, ist jetzt auch keine neue Erkenntnis. Und was ist zu tun, wenn das Fortbildungsprogramm nichts hergibt, was dem Interesse des Mitarbeiters entspricht? Dann gibt es kein Lernen – zumindest nicht das organisatorisch gewünschte.

Freie Budgets statt Fortbildungsprogramme

Es mutet heutzutage seltsam an, dass man erwachsenen Menschen ein Fortbildungsprogramm aufzwingt, das von Personalern definiert wird. Wissen die Kollegen der Fachabteilung nicht viel besser, was sie zum Lernen brauchen und welche Lern-Themen morgen wichtig werden? Die Alternative sind freie Fortbildungsbudgets für Beschäftigte oder Teams. Aus diesen können sich die Menschen das aussuchen, was sie brauchen und wollen. Und das eben auch extern.

Wie aber damit umgehen, wenn der Sachbearbeiter einen Fotografiekurs machen möchte, der so gar nicht zum aktuellen Job passt? Vielleicht braucht er ihn heute nicht, aber morgen auf einer anderen Stelle. Auch dieses Lernen – gerade mit hoher Eigenmotivation - weitet den Horizont, gibt neue Perspektiven und kann als Wertschätzung gewährt werden. Genau das ist doch Personalentwicklung. Der Kollege ist dem Arbeitgeber zudem dankbar und bestenfalls langfristig verbunden. Gut investiertes Geld in Zeiten des Fachkräftemangels.

Agilität macht keine Digitalisierung

Gerade in der Digitalisierung möchte man überall die digitale Kompetenz der Beschäftigten steigern. Dabei setzt man fast ausschließlich auf Methodenkompetenz:  Design Thinking, Remote Führen und agiles Management. Immer wieder dieselben Themen – überall. Es scheint, als sei man der Meinung, Agilität ist ein Garant für erfolgreiche Digitalisierung. Die richtige Methode, dann klappt das schon.

Solche Lern-Angebote sind natürlich grundsätzlich richtig. Aber sie reichen bei weitem nicht aus.

Denn wir können kaum abschätzen, welche Herausforderungen und Chancen die Digitalisierung noch bringt.

Um sich darauf vorzubereiten, braucht es daher Lernangebote, um sich auszuprobieren und Kreativität zu entwickeln. Weiter bedarf es der Stärkung der Bereitschaft, Fehler anzuerkennen und aus ihnen zu lernen. Es muss gelernt werden, Innovationen zu erkennen sowie Entscheidungen in unvorhersehbaren Situationen zu treffen. Wo sind diese Lern-Angebote für die Persönlichkeit?

Gar nicht so neue Formen des Lernens

Fortbildung in Organisationen folgt in der Regel dem System Schule. Vorne ein Dozent, sauber aufgereiht die Lernenden. Das Video kurz vor den Schulferien ist in der Fortbildung die Gruppenarbeit oder das live gemalte Flipchart. Besonders IT-Fortbildungen funktionieren extrem statisch.

Seit vielen Jahrzehnten ist offensichtlich, dass das gar nicht so gut funktioniert. Und Spaß macht das auch keinen. Sehen, Hören, Lesen, Machen - die Lerntypen sind verschieden. Und überhaupt: Sind ganztägige Formate in einem solchen schulischen Stil noch zeitgemäß? Sicher nicht, denn ich erlebe, dass sich viele Kollegen gar nicht erst anmelden, wenn es den ganzen Tag (oder mehrere) dauert.

Probieren Sie daher unbedingt kurze Lernformate aus. Zum Beispiel haben ich sehr gute Erfahrungen mit vielleicht 30minütigen Online-Vorträgen von Experten zu einem Digitalisierungsthema gemacht. Blockchain, KI, AI oder digitale Barrierefreiheit lassen sich so einem breiten Publikum – gut integrierbar in den Arbeitsalltag – näherbringen.

Video Chat
Blended Learning

Das Vermischen verschiedener Lernformen passt gut in unsere digitale Zeit. Blended Learnig ist nicht neu, hat heute aber Hochkonjunktur. Das selbstgesteuerte Lernen mittels Erklärvideo, kombiniert mit dem Video-Chat mit einem Dozenten und einen abschließenden Serious Game als Lernkontrolle. Wussten Sie, dass Youtube Wikipedia den Rang abläuft bei den meist genutzten Kanälen für das Lernen? Die Kombinationen sind schier unbegrenzt und sprechen alle Lerntypen an.

Viel wichtiger erscheint mir aber die zweite Definition von Blended Lerning als integriertes Lernen: Lernen am Arbeitsplatz per Video und Chat, während der Kern-Arbeitszeit mittels Youtube-Videos, auf dem Weg zur Arbeit per Podcast oder beim Lesen eines Blogs zu einem dienstlichen Thema zuhause auf dem Sofa. Die Grenzen von beruflichem und privatem Lernen lösen sich nicht auf, sie waren nie da. Wer stellt seine Wissensaufnahme schon ein, nur weil er nicht im Zeiterfassungssystem eingestempelt ist?

Rahmenbedingungen für lebensintegriertes Lernen schaffen

Ich erinnere mich noch gut an Zeiten um die Jahrtausendwende, da gab es Pappschilder mit Hinweisen, dass der Kollege gerade E-Learning betreibt. Warum? Weil es schlicht nicht Teil der Kultur war, dass da jemand mit Kopfhörern am Arbeitsplatz lernt und dann eben „nicht arbeitet“.

Kultur und nicht Technik sind der Grund, warum sich E-Learning nie richtig durchgesetzt hat.

Wir müssen aufpassen, heute nicht die gleichen Fehler wieder zu machen. Gerade im plötzlich notwendigen Homeoffice in der Pandemie wurde deutlich, wie pflichtbewusst die Kollegen arbeiten und lernen. Nur weil es vielleicht 10 Prozent hier nicht so genau nehmen, werden 90 Prozent mit starren Zeiterfassungssystemen gegängelt. Oft ist es mit der neuen App dahingehend noch schlimmer geworden, als mit der Stempelkarte. Schlimm wäre es, wenn deshalb das Lernen bewusst eingestellt werden würde. Also warum nicht den halben Arbeitsweg mit dem ÖPNV als Lern- und damit Arbeitszeit anerkennen?

Auch sonst braucht es mehr Freiheiten. Schaltet also endlich die Soundkarten an, verteilt kostenlos Kopfhörer und beendet das in Zeiten von Smartphones vollkommen unsinnige Abschalten von Internetseiten. Wer nicht auf YouTube, Reddit, Blogs oder LinkedIn zugreifen kann, kann dort auch nicht lernen!

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Schlagworte zum Thema:  Betriebliche Weiterbildung, E-Learning