Es lebe das selbstgesteuerte Lernen


mmb Learning Delphi: Es lebe das selbstgesteuerte Lernen

Die jüngste Ausgabe des "mmb Learning Delphi" zeigt eine Goldgräberstimmung in der digitalen Bildungsbranche. Auslöser dafür sind unter anderem die rasanten Fortschritte im Bereich generative künstliche Intelligenz und deren Integration in Lernanwendungen. Unsere Kolumnistin Gudrun Porath ordnet die Trends ein - und zeigt Grenzen auf.

Die neueste Umfrage zum "mmb Learning Delphi" zeichnet das Bild einer Branche im Umbruch. Angeheizt durch die rasante Entwicklung und Integration von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT in Lehr- und Lernprozesse, erlebt digitales Lernen einen Boom - mit einem klaren Fokus auf die zunehmende Relevanz von Chatbots. Damit wird auch selbstgesteuertes Lernen einfacher denn je.

Das Trendbarometer des mmb-Instituts in Essen ist eine Befragung, zu der Experten und Branchenteilnehmer eingeladen werden. Jeden Herbst freue ich mich darauf, daran teilzunehmen und die Fragen zu beantworten - natürlich auch, um anschließend zu erfahren, ob ich mit meiner Einschätzung im Vergleich zu den anderen Experten richtig liege. Die aktuelle Trendstudie ist bereits die 18. Das ist auch dem Institut mmb zu verdanken, das sich jedes Jahr die Mühe macht, sie neu aufzulegen.

Blended Learning als Dauerbrenner

Einige der Trends haben eine fast so lange Tradition wie das Delphi. Blended Learning zum Beispiel ist seit einigen Jahren ein verlässlicher Frontrunner, sowohl was die Bedeutung von Anwendungen als Lernform in Unternehmen betrifft, als auch den kommerziellen Erfolg von Anwendungen als Lernform. In beiden Kategorien teilen sich Video-Tutorials und Micro Learning bzw. Learning Nuggets in leicht wechselnder Reihenfolge die nächsten Plätze.

Chatbots und Lernassistenten auf dem Vormarsch

Einen großen Sprung in der Relevanz haben Chatbots bzw. Lernassistenten gemacht. Diese Lernanwendung in Unternehmen kletterte laut Studie in der Bedeutung von 54 auf 79 Prozent und damit auf Platz vier. Den Grund sehen die Autoren in einer Bedeutungserweiterung des Begriffs Chatbot - schließlich kann man auch mit einem LLM wie ChatGPT wunderbar chatten und erhält bei präzisen Eingabeaufforderungen (Prompts) eine Antwort oder Information, die weiterführt oder zumindest dazu anregt, die Information durch weitere Recherche zu verifizieren. Brauche ich dafür ein Lernprogramm? Wer täglich mit digitalen Medien arbeitet, sicher nicht. Er oder sie wird eher von einem Tsunami an Anleitungen zum Prompten überschwemmt, so viele gibt es inzwischen.

Auch für die großen Online-Bildungsplattformen, die ihr Geschäft mit Unternehmen und privat Lernenden machen, spielen Lernassistenten eine große Rolle. Sie nutzen LLMs nicht nur, um ihre Kurse zu übersetzen, sondern auch, um ihren Kunden die Möglichkeit zu geben, sich per Chat die Inhalte erklären zu lassen oder Fragen dazu zu beantworten. Selbstlernen leicht gemacht. Individueller geht es kaum.

Youtube- und Sora-Videos als Lernanwendungen der Zukunft

Im aktuellen Learning Delphi zeigten sich 84 Prozent der Befragten überzeugt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz selbstverständlich Youtube-Videos für berufliche Zwecke nutzen werden. In einigen Unternehmen ist das heute schon der Fall, bestätigte mir ein Interviewpartner aus der IT-Branche. Tenor: Wenn es gute Inhalte auf Youtube kostenlos gibt, warum soll ich dafür bezahlen? Zumal die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das aufgrund ihrer Erfahrung gut beurteilen können. Er schätzt es, wenn Leute zu ihm kommen und berichten, dass sie auf der Videoplattform etwas gefunden haben, was sie ihrer Meinung nach weiterbringt. Wichtig ist in erster Linie, dass sie lernen und sich dafür engagieren.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Vielleicht braucht es dann nicht einmal mehr Youtube, um selbstständig und selbstgesteuert mit Videos zu lernen. Schließlich hat der ChatGPT-Erfinder OpenAI gerade "Sora" vorgestellt. Die Anwendung soll aus ein paar kurzen Textbefehlen bis zu zwei Minuten lange realistische Videos mit Menschen, Tieren oder bewegten Landschaften erstellen können - und das besser als alle ähnlichen Anwendungen, die es bislang gibt. Wer also nicht gerne liest, kann sich von Sora einfach ein Video erstellen lassen. Spätestens wenn OpenAI die Anwendung im ChatGPT-Abo zur Verfügung stellt, ist dies für jeden möglich, der für das Abo bezahlt.

Vielleicht kann diese Art von Videos sogar der Social-Media-Plattform Tiktok als Lernplattform zu neuem Leben verhelfen. Entgegen vielen Erwartungen hat es Tiktok nämlich nicht unter die im Learning Delphi gelisteten Lernanwendungen geschafft.

Selbstlernen ohne Grenzen?

Dem Selbstlernen steht also eigentlich nichts mehr im Wege - außer vielleicht die eigene Motivation. Oder auch die Tatsache, dass man sich eine Kompetenz, einen Skill, nicht so einfach alleine aneignen kann. Denn gerade die wichtigen Future Skills wie Kollaborationskompetenz oder Kommunikationskompetenz, die auch im Learning Delphi ganz oben auf der Liste der Themen und Inhalte des digitalen Lernens stehen, lassen sich vielleicht besser in der Gruppe oder zumindest zu zweit erschließen.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.