Mindestlohn auch bei Krankheit und Urlaubsabgeltung
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter schoben mit ihrem Urteil der Praxis einiger Arbeitgeber einen Riegel vor, den Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden zu zahlen. Sie gaben wie die Vorinstanzen einer Klägerin aus Niedersachsen Recht, die bei der Entgeltfortzahlung bei Krankheit sowie an Feiertagen auf den Branchen-Mindestlohn pochte. Die Höhe der Entgeltfortzahlung berechne sich auch an Feiertagen und im Krankheitsfall des pädagogischen Personals in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach den für diesen Personenkreis erlassenen Mindestlohnvorschriften, urteilte das BAG.
Kein Mindestlohn für Krankheit und Feiertage?
Eine Frau aus Niedersachsen hat sich durch die Instanzen geklagt und von den höchsten deutschen Arbeitsrichtern recht bekommen: Die Ausbilderin wollte nicht akzeptieren, dass ihr Arbeitgeber den für pädagogisches Personal geltenden Mindestlohn von 12,60 Euro pro Stunde ausschließlich für geleistete Arbeitsstunden und Urlaub, nicht aber bei Krankheit, an Feiertagen oder als Urlaubsabgeltung zahlte. Ihr Fall aus einer Aus- und Weiterbildungsfirma könnte zum Präzedenzfall werden, wenn es um Lohnfortzahlung nach dem Mindestlohngesetz geht.
Im konkreten Fall ging es nicht um Mindestlohnzahlungen nach dem Gesetz, sondern nach einem per Verordnung für bundesweit gültig erklärten Tarifvertrag für die Beschäftigten in Aus- und Weiterbildungsfirmen. Diese Firmen bekommen beispielsweise Aufträge von Arbeitsagenturen. Die Klägerin betreute Teilnehmer in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Tarifvertrag zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal (TV-Mindestlohn) – kraft der "Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch" (MindestlohnVO) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
BAG: Bezahlung unter Mindestlohn unzulässig
Die Mindeststundenvergütung von 12,60 Euro brutto war im Tarifvertrag vereinbart. Der Arbeitgeber kam dieser Vorgabe auch nach – allerdings nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs. An Feiertagen, bei Krankheit oder als Urlaubsabgeltung zahlte der Arbeitgeber jedoch nur eine geringere vertragliche Vergütung aus. Daher verlangte die Mitarbeiterin Nachzahlungen von gut 1.000 Euro.
Das BAG bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und sprach der Frau das Geld zu. Nach dem Entgeltausfallprinzip habe der Arbeitgeber nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) an Feiertagen und bei Krankheit das Arbeitsentgelt an einen Arbeitnehmer zu zahlen, das dieser ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte (Entgeltausfallprinzip). Beim Urlaubsentgelt und bei der Urlaubsabgeltung seien nach dem Referenzprinzip gemäß § 11 BUrlG die durchschnittliche Vergütung der letzten dreizehn Wochen maßgeblich, argumentierte das BAG. Diese Regelungen finden auch dann Anwendung, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach einer Mindestlohnregelung richtet, die – wie hier die Mindestlohnverordnung – keine Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung und zum Urlaubsentgelt enthält. Ein Rückgriff des Arbeitsgebers auf eine vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung ist in diesen Fällen deshalb unzulässig.
Auch Mindestlohngesetz birgt Konfliktstoff
Über den Einzelfall hinaus könnte die Entscheidung auch Fragen zum flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn beantworten, der seit Januar gilt. Arbeitsrichter sehen zwar noch keine Klagewelle auf sich zurollen, sie rechnen jedoch mit einem großen Klärungsbedarf. "Das Mindestlohngesetz wird einigen Arbeitsstoff für die Gerichte produzieren", sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, kürzlich. Das betreffe auch Praktikantenverhältnisse, Zulagen oder Zuschläge.
Letztlich bleibt in einigen Fällen noch offen, wie sich der Mindestlohn genau zusammensetzt. Auch die Berliner Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel betont beim Thema Mindestlohngesetz: "Es sind richtig viele Fragen, die im Gesetz nicht geregelt sind." Allein die Frage, ob Urlaubs-, Weihnachts- oder Tagegeld auf den Mindestlohn anrechenbar seien, berge Konfliktstoff. "Da ist ordentlich Musik drin", sagte sie. Das gelte auch für die Bezahlung von Bereitschaftszeiten.
Hinweis: BAG, Urteil vom 13. Mai 2015, Az. 10 AZR 191/14; Vorinstanz: LAG Niedersachsen, Urteil vom 20. November 2013, Az. 2 Sa 667/13.
-
Wann Urlaubsverfall und Urlaubsübertragung möglich sind
8.1204
-
Entgeltfortzahlung: Wenn unterschiedliche Krankheiten aufeinander folgen
7.594
-
Zusatzurlaub bei Schwerbehinderung von Arbeitnehmenden
6.202
-
Wann müssen Arbeitgeber eine Abfindung zahlen?
5.8472
-
Zulässige Differenzierung bei Inflationsausgleichsprämie
5.164
-
Urlaubsanspruch richtig berechnen
3.913
-
Wie Arbeitgeber in der Probezeit kündigen können
3.720
-
Nebenjob: Was arbeitsrechtlich erlaubt ist
3.360
-
Arbeitszeitkonto: Diese rechtlichen Vorgaben gelten für Arbeitgeber
3.010
-
Wann Arbeitnehmende einen Anspruch auf Teilzeit haben
2.9991
-
Entgeltfortzahlung an Feiertagen: Maßgeblich ist der Arbeitsort
30.12.202412
-
"Ethik kann helfen, die Arbeitskultur in Unternehmen zu stärken"
20.12.2024
-
Betriebsrat wegen Drogenkonsums gekündigt
19.12.2024
-
Gibt es ein Recht auf Nichterreichbarkeit im Urlaub?
18.12.20244
-
Die wichtigsten BAG-Urteile des Jahres 2024
17.12.2024
-
Unwirksame Versetzung aus dem Homeoffice
16.12.2024
-
Überstundenregelung diskriminiert Teilzeitbeschäftigte
12.12.2024
-
Keine Inflationsausgleichsprämie für Langzeiterkrankte
11.12.2024
-
Mindestlohn für Azubis erhöht sich 2025
10.12.20247
-
Urlaubsabgeltung bei fortdauernden Beschäftigungsverboten
09.12.2024