eAU: Chaos im Anmarsch
Aufgrund der Coronapandemie wurde sie bereits zwei Mal verschoben, soll nun aber definitiv kommen: die elektronische Krankschreibung. Zum 1. Januar 2023 wird – wie mit dem bereits im September 2019 beschlossenen Bürokratiegesetz III festgelegt – die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) in Papierform abgeschafft und durch eine digitale Lösung (eAU) ersetzt. Die gesetzliche Vorschrift soll die Firmen entlasten. Aller Voraussicht nach wird sie zunächst jedoch das Gegenteil bewirken.
Umstellung auf elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
So sind nicht nur die Unternehmen – nicht zuletzt aufgrund der allgemein dürftigen Informationslage zum Thema – nicht gut auf den Umstellungstermin vorbereitet. Viele wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, wie die Umsetzung in der Praxis erfolgen soll. Hinzu kommen Herausforderungen bei der Erhebung der eAUs durch Ärzte und der Verarbeitung der Datensätze bei den gesetzlichen Krankenkassen. Dies wird zu erheblichen Behinderungen im geplanten Ablauf führen, auf die sich Firmen bereits heute vorbereiten sollten. Denn nur so lässt sich das drohende Chaos rund um die Krankmeldungen in Grenzen halten.
Zunächst jedoch zu den Fakten: Die neue Regelung gilt für gesetzlich versicherte Arbeitnehmende. Privatversicherte sind nicht von der eAU betroffen. Bis auf Weiteres bleibt es hier wie gehabt bei einer Aushändigung des jeweiligen unterschriebenen Durchschlags für die Krankenkasse, den Arbeitnehmenden und den Arbeitgeber. Auch die ärztliche Bescheinigung von Ärzten aus dem Ausland bleibt von der neuen Regelung unberührt. Für gesetzlich versicherte Arbeitnehmende jedoch gilt: Ab Januar 2023 melden sie sich zwar nach wie vor krank. Den Nachweis – der bislang in Form des "gelben Scheins" erfolgte – müssen sie aber nicht mehr selbst vorlegen. Dieser wird vom Arbeitgeber bei der Krankenkasse abgerufen. Im Detail ist der Ablauf wie folgt:
Schritt 1: Arztpraxis meldet an die Krankenkasse
Im ersten Schritt stellen der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmenden fest. Anders als zuvor, übermittelt die behandelnde Arztpraxis oder das behandelnde Krankenhaus nun die notwendigen Daten, die sich bisher auf der AU befunden haben, an die Krankenkasse des Arbeitnehmenden.
Der Arbeitnehmende erhält jedoch immer noch einen Durchschlag in Papierform für seine Unterlagen. Dieser gilt dann als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel, um insbesondere in Störfällen – etwa einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren – das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nachzuweisen. Laut Gesetzgeber soll an dieser Papierbescheinigung festgehalten werden, bis ein für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit geeignetes elektronisches Äquivalent dazu mit ebenso hohem Beweiswert zur Verfügung steht. Die Arztpraxis ist im Störfall dennoch angewiesen, den digitalen Versand innerhalb von 24 Stunden nachzuholen. Besteht das technische Problem weiterhin, erfolgt der Versand der AU postalisch an die Krankenkasse.
Nach dem elektronischen Versand der eAU besteht die Möglichkeit, eine Zustellbestätigung von der Krankenkasse anzufordern. Krankenkassen sind allerdings nicht zur Ausstellung einer Empfangsbestätigung verpflichtet. Sollte 24 Stunden nach der Übermittlung der eAU an die Krankenkasse keine Fehlermeldung von deren Seite eingegangen sein, gilt die eAU als erfolgreich zugestellt. Auch eine Stornierung der eAU ist möglich, solange diese innerhalb von fünf Werktagen nach Ausstellung erfolgt. Für die Stornierung wird eine eigene "KIM-Nachricht" (KIM = Kommunikation im Medizinwesen) erstellt, die ebenfalls signiert und anschließend an die Krankenkasse übermittelt werden muss.
Schritt 2: Arbeitnehmende informieren den Arbeitgeber
Der Arbeitnehmende meldet sich – wie bisher auch – unverzüglich bei seiner Führungskraft arbeitsunfähig - unter Angabe der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit (Meldepflicht). Mit der eAU entfällt jedoch die Pflicht zur Vorlage der AU seitens der Arbeitnehmenden (Vorlagepflicht): Bislang sind Arbeitnehmende grundsätzlich nach dem dritten Tag ihrer Arbeitsunfähigkeit verpflichtet, die AU bei ihrem Arbeitgeber vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EntgFG). Manche Arbeitgeber fordern diese sogar ab dem ersten Tag. Immer wieder kommt es in den Unternehmen bereits heute zu Auseinandersetzungen darüber, ob die AU pünktlich vorgelegt wurde. Die Pflicht des Arbeitnehmenden zur Vorlage entfällt künftig.
Schritt 3: Datenabruf des Arbeitgebers bei der Krankenkasse
Erst nachdem die Krankmeldung des Arbeitnehmenden erfolgt ist, darf der Arbeitgeber eine Abfrage zur Arbeitsunfähigkeit bei der zuständigen Krankenkasse einholen. Ein automatischer Transfer der eAU findet nicht statt. Die zuständige Krankenkasse hält folgende Informationen bereit:
- Name des oder der Beschäftigten,
- Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit,
- Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
- Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
- Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall beruht.
eAU: Vielfältige Probleme zu erwarten
Die Einführung der eAU führt zu erheblichen Unsicherheiten aufseiten der Arbeitnehmenden und der Arbeitgeber. Eine nicht rechtzeitige Krankmeldung – zum Beispiel durch ein falsch angegebenes Datum oder eine verzögerte Meldung vonseiten der Krankenkasse verursacht – kann zu Auswirkungen bei der Entgeltfortzahlung oder sogar zum unentschuldigten Fehlen bei dem Arbeitnehmenden führen. Arbeitsrechtliche Probleme sind hier insbesondere bei belasteten Arbeitsverhältnissen zu erwarten. Hier wird darüber zu diskutieren sein, wer bei Störfällen die vorliegende Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen hat. Denn wer hier in der Pflicht ist, ist rechtlich nicht eindeutig geklärt.
Grundsätzlich wird sich vor allem der Arbeitsaufwand deutlich erhöhen. Denn in vielen Fällen wird bei den verschiedenen Beteiligten nachgefasst, geklärt und korrigiert werden müssen. Brisant wird das schon allein aufgrund der Menge an Krankschreibungen: In einem Pilotprojekt zur eAU, das EY begleitet, kommt das Unternehmen mit 200.000 Mitarbeitenden auf 350.000 Krankschreibungen im Jahr. Deutschlandweit werden etwa 77 Millionen Krankmeldungen pro Jahr erwartet. Zudem stellte sich heraus: 30 Prozent der Ärzte, für die das System bereits ab dem 1. Juli 2022 verpflichtend war, waren noch nicht angeschlossen. Zu erwarten ist, dass dies auch bis Anfang 2023 noch nicht der Fall sein wird.
Insgesamt haben sich folgende Gründe für eine unzureichende Datenqualität bei den unterschiedlichen Beteiligten herauskristallisiert:
Bei den Arztpraxen/Krankenhäusern: Bisher zeigte sich, dass viele Arztpraxen und Krankenhäuser nicht über die technische Ausstattung verfügen, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch zu übermitteln. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Ärzte und Ärztinnen nicht sicher im Umgang mit der eAU sind. Dies führt dazu, dass die geforderte Krankmeldung nicht, beziehungsweise nicht zeitnah zur Verfügung gestellt werden kann.
Bei den Krankenkassen: Generell muss im Hinblick auf die Prozessierung der eAU-Daten in größere und kleinere Krankenkassen unterschieden werden. Größere Krankenkassen haben mit der Prozessierung der eAU-Daten aktuell nur wenige Schwierigkeiten. Kleinere Krankenkassen hingegen prozessieren die eAU-Daten mit einer deutlichen Verzögerung.
Beim Arbeitgeber selbst: Durch den Wegfall des "gelben Scheins" müssen Arbeitgeber ihren bisherigen Prozess neu bewerten. Bislang war es nicht unüblich, dass auf Grundlage der AU entsprechende Fehlzeiten in der Zeiterfassung gespeichert wurden. Künftig müssen auf Grundlage der Krankmeldung des Arbeitnehmenden proaktiv die AU-Daten von der Entgeltabrechnung abgerufen werden. Sobald sich der Arbeitnehmende krankgemeldet hat, müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit diese Information zeitnah – und im Idealfall in elektronischer Form – die Abrechnung erreicht.
Ebenfalls zu beachten: Der Abruf der Daten durch den Arbeitgeber bei der zuständigen Krankenkasse erfolgt ab Januar 2023 auch für Arbeitnehmende, die auf Minijob-Basis beschäftigt sind. In der Regel kennt der Arbeitgeber die Krankenkasse bei diesen Arbeitnehmenden bisher nicht, weil er ausschließlich mit der Minijob-Zentrale als zuständiger Einzugsstelle kommuniziert. Aus diesem Grunde ist es künftig auch erforderlich, dass Minijobber Angaben zu ihrer Krankenkasse machen.
Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Prozesse zeitnah anpassen
Damit das neue Verfahren fehlerfrei umgesetzt werden kann, sollten Firmen frühzeitig ihre Prozesse anpassen. Bestehende Workflows zur Zeiterfassung und Entgeltabrechnung müssen darauf ausgerichtet werden, dass der HR-Bereich bei einer eingegangenen Krankmeldung des Arbeitnehmenden proaktiv tätig wird. Die relevanten Administrationsabteilungen – meist Zeitwirtschaft und Gehaltsabrechnung – sollten durch technische Lösungen in dem vorhandenen ERP-System unterstützt werden, damit kritische Fälle unmittelbar identifiziert und zeitnah geklärt werden können. Sinnvoll ist es, alle Beteiligten auch auf mögliche Störfälle vorzubereiten, damit sich der zu erwartende Mehraufwand bestmöglich eindämmen lässt.
Eine wichtige Erkenntnis, die sich aus den Ergebnissen des Pilotprojekts folgern lässt: Wenn sich die teilnehmenden großen Unternehmen, zum Teil mit einer eigenen HR-IT-Abteilung, bereits mit der Umstellung schwertun, wird es für mittelständische und kleine Unternehmen ungleich schwieriger werden, einen möglichst reibungslosen Prozess aufzusetzen. Da Hilfestellungen von offizieller Seite bislang nicht erfolgen und auch nicht zu erwarten sind, sollten sich die Unternehmen zügig an die Erprobung ihrer Prozesse machen. Sie sollten prüfen, ob ihre Technik und die eigenen Prozesse funktionieren.
Rechtzeitige Kommunikation der neuen Regelungen
Um Störfällen, Unsicherheiten und unzähligen Nachfragen vorzubeugen, ist es zudem wichtig, die neue Regelung rechtzeitig an die Mitarbeitenden zu kommunizieren. In dem Pilotprojekt geschah dies durch umfangreiche Erklärvideos, E-Mails und das Intranet. Ein wichtiger Punkt, der in diesem Informationsmaterial behandelt werden sollte: Reicht der Mitarbeitende bei einer fehlerhaften eAU-Meldung als Nachweis seine Ausführung des "gelben Scheins" beim Arbeitgeber ein, muss er vorher unter anderem die auf seinem Durchschlag stehende Diagnose schwärzen. Anderenfalls gerät das Unternehmen in Konflikt mit dem Datenschutz.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 12/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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