FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) und FÖJ (Freiwilliges Ökologisches Jahr) sind keine Praktika. Das ist gut, denn dadurch sind sie schon mal vom Mindestlohn ausgenommen. § 22 des Mindestlohngesetzes spricht von Arbeitnehmern, Arbeitnehmerinnen, Praktikanten und Praktikantinnen – nicht jedoch von FSJlern oder FÖJlern.
Mindestlohn trotz echter Arbeit? Fehlanzeige bei FSJ und FÖJ
Die Werbung für das FÖJ ist klar: "Du hilfst zum Beispiel beim Anbauen von Gemüse, du arbeitest im Stall mit und hilfst beim Füttern, Misten und bei der Heuernte. Außerdem kann deine Mitarbeit im Hofladen, der Käserei oder in der Backstube gefragt sein." Das klingt doch sehr nach Arbeit. Kein Zuschauen und Einüben wie bei einem Praktikum, keine Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz oder ähnliches – nein. Die Beschreibung klingt eher nach einem Ferienjob für Un- und Angelernte - nur eben nicht für sechs Wochen, sondern für bis zu 18 Monate. Das Internet macht es einfach: Auf der FÖJ-Seite findet man schnell bei einem Arbeitgeber einen Job. Pardon, ich meine natürlich ein FÖJ. Mit einer Vergütung von 460 Euro im Monat plus 40 Euro Essenszulage (Quelle: Freiwilligendienst Baden-Württemberg).
Im freiwilligen sozialen Jahr FSJ sieht es nicht viel anders aus. Sehen wir uns den Einsatzort Krankenhaus an: "Deine Tätigkeiten mit Patienten umfassen zum Beispiel Essen auszuteilen und abzutragen. Bei Bedarf bist du ihnen bei der Nahrungsaufnahme behilflich. Patientinnen und Patienten hilfst du bei der Körperpflege und begleitest sie zu Untersuchungen.", so die Bewerbung auf der FSJ-Seite. Ein déja vue? Genau, denn das sieht ebenfalls nach Arbeit aus! Das geben die Werbenden auch offen zu: "Die Versorgung kranker Menschen läuft rund um die Uhr. Deshalb gehören Früh- und Spätdienste sowie das Arbeiten am Wochenende bei einem freiwilligen Jahr in einer Klink dazu." Ich darf wiederholen: hier ist die Rede vom "Arbeiten". Und auch beim FSJ gilt: maximal 360 Euro Taschengeld im Monat plus 40 Euro Essenszuschuss.
Und dann gibt es ja noch den "Bruder" des FÖJ, den Ökologischen Bundesfreiwilligendienst (ÖBFD) - mit ein paar Unterschieden: auch Erwachsene können diesen Dienst leisten. Aber: Auch hier hapert es an der Vergütung mit monatlich 370 Euro Taschengeld plus Essenszulage.
Ausnahme aus dem Arbeitsrecht ist betriebswirtschaftlich hochinteressant
Ich möchte hier nicht den Eindruck vermitteln, dass FSJ und FÖJ schlecht seien. Tausende junger Menschen engagieren sich hier mit viel Herzblut. Viele soziale Einrichtungen könnten ohne diese Hilfe nicht überleben. Aber gehören Bauernhöfe und Krankenhäuser – nur als Beispiel – tatsächlich dazu? Ist es wirklich richtig, dass ein FSJler im Krankenhaus (ich kenne übrigens kein altruistisch geführtes Haus) neben anderen den gleichen Job macht und dafür ein Almosen erhält?
Und in der Klinik? Eine ausgelernte Pflegefachkraft erhält nach dem TVöD monatlich brutto um die 2.200 Euro. Die Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr schwankt um die 1.000 Euro. Bei 38,5 Stunden Arbeitszeit sind das Stundenentgelte in der Grössenordnung von etwas über 13 Euro beziehungsweise knapp 6 Euro in der Ausbildung. Dazu kommen noch tarifliche Sonderzahlungen etc.. Das ist wenig, vielleicht auch zu wenig für diese aufreibenden Jobs. Aber dem gegenüber stehen nicht einmal 2,40 Euro Stundenlohn für das FSJ.
Da muss es doch Unterschiede geben? Ja. Ausgebildete, fertige Pflegefachkräfte haben umfassendere Aufgaben, mehr Verantwortung, arbeiten routinierter und schneller – keine Frage. Und dennoch: Rechtfertigt das den Faktor 5 bis 6? Und ja, Auszubildende im ersten Jahr machen weniger – sie werden ebenso angelernt, aber sie gehen auch in den Fachunterricht. Im Ergebnis: weniger Produktivität für weniger Arbeit.
Und was wenn das soziale (Pflicht-)Jahr kommt?
Wenn der Bundespräsident den Gedanken eines sozialen (Pflicht-)Jahres kommuniziert, unterstelle ich ihm gerne, dass er dies im positivsten aller Sinne meint. Hätten wir früher noch davon gesprochen, dass solche Einsätze (teurer bezahlte) Arbeitskräfte aus dem Job drängen, ist das heute aufgrund des allgemeinen Arbeitskräftemangels (ja, nicht "nur" Fachkräftemangel) nicht mehr der Fall. Aber es muss doch klar sein: gleiche Leistung für gleiches Geld. Soziales Engagement darf nicht dazu führen, von allgemeinen Rechtsgrundsätzen (und vom Arbeitsrecht) per se ausgenommen zu sein und – man verzeihe mir das Wortspiel – zugleich von diesen Arbeitgebern ausgenommen zu werden.
Stattdessen werden den industriellen Arbeitgebern Fesseln ohne Ende angelegt: Ist etwa ein Vorpraktikum nicht zwingend vorgeschrieben, ist es praktisch immer mindestlohnpflichtig. Und im Vorpraktikum ist die Produktivität in der Regel gleich Null, zudem werden noch Ausbilder und Materialien gestellt (und zumeist ein Mittagessen in der Kantine). Wo ist die Rechtfertigung für diese ungleiche Behandlung? Ich vermag sie aus sachlicher Sicht nicht zu erkennen.
Und sonst noch?
Es gibt viele Beispiele an meines Erachtens ungerechtfertigten Ausnahmen aus dem Arbeitsrecht. Ich werde nie verstehen, weshalb zum Beispiel für Kirchen das Arbeitsrecht nicht vollständig gilt, inklusive Streikrecht (nein, der "Dritte Weg" ist verfassungsrechtlich nicht wirklich geschützt). Weshalb im öffentlichen Dienst die "Personalgestellung" – also die Verlagerung von Tätigkeiten und Beschäftigten auf Dritte – völlig unproblematisch ist, jedoch in der Privatwirtschaft die Arbeitnehmerüberlassung selbst im Konzern nahezu ausgeschlossen wird. Oder weshalb im öffentlichen Dienst nicht auch das Betriebsverfassungsgesetz (mit etlichen deutlichen Abweichungen zum Personalvertretungsrecht) gilt und im öffentlichen Bereich Budgets zu Befristungen rechtfertigen, im Privatbereich jedoch nicht. Und und und.
Mehr Konsistenz wäre da doch richtig. Und damit meine ich nicht noch mehr Regulierung, sondern Deregulierung.
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.