Der Heimarbeiter – Chancen und Risiken einer vernachlässigten Beschäftigungsform
Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung des HAG im Jahr 1911 als Leitbild nicht den Programmierer und Bauingenieur im Sinn, den das BAG in seinen jüngeren Entscheidungen als Heimarbeiter einordnete (Urteil v. 20.08.2019, Az. 9 AZR 41/09; Urteil v. 14.06.2016, Az. 9 AZR 305/15). Der klassische Heimarbeiter aus damaliger Sicht dreht aus vom Auftraggeber gelieferten Einzelteilen Kugelschreiber zusammen und schickt diese an den Auftraggeber zurück, der sie vertreibt.
Heimarbeit heute: Programmieren, Bloggen, Clickworken
Gemäß § 2 Abs. 1 HAG ist Heimarbeiter, wer in selbstgewählter Arbeitsstätte (…) im Auftrag von Gewerbetreibenden (…) erwerbsmäßig arbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überlässt. Der Heimarbeiter von heute programmiert Software, füllt Umfragen aus, testet Produkte, bloggt, textet oder moderiert Chats. Als der Gesetzgeber 1974 die "gewerbsmäßige" Tätigkeit des Heimarbeiters in eine "erwerbsmäßige" änderte, hatte er bereits solche qualifizierten Angestelltentätigkeiten im Auge und wollte diese dem Schutz des HAG unterstellen. Dass Heimarbeit in der Praxis tatsächlich vorkommt – deutschlandweit sogar im fünfstelligen Bereich –, bestätigen die jüngst ergangenen Entscheidungen des BAG.
Abgrenzung des Heimarbeiters zum Arbeitnehmer und zum freien Mitarbeiter
Nicht jeder Clickworker oder Blogger, der von zu Hause aus arbeitet, ist allerdings Heimarbeiter. Ein Arbeitnehmer im Homeoffice ist bereits kein Heimarbeiter, weil er seine Arbeitsstätte nicht selbst wählt, sondern ihm nur arbeitsvertraglich die Möglichkeit eingeräumt wird, statt im Betrieb im Homeoffice zu arbeiten.
Im Allgemeinen grenzt sich die Heimarbeit zum Arbeitsverhältnis wie folgt ab: Während der Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert bleibt und dessen Weisungen unterworfen ist, ist der Heimarbeiter weitestgehend persönlich unabhängig. Er wählt Arbeitszeit, -umfang sowie -reihenfolge selbst und kann eigenes Personal einsetzen. Ähnlich einem Arbeitnehmer ist er jedoch wirtschaftlich abhängig vom Auftraggeber. Ein Selbstständiger ist dagegen weniger schutzbedürftig als ein Heimarbeiter und ein Arbeitnehmer, da er das unternehmerische Risiko selbst trägt. Die Abgrenzung erfolgt nach einer objektiven Würdigung der Durchführung des Vertragsverhältnisses und ist stark von Einzelfallrechtsprechungen geprägt.
Prüfung des Vertragsverhältnisses vor Antritt der Beschäftigung
Es obliegt dem Arbeitgeber bzw. dem Auftraggeber, zu prüfen, ob ein Arbeitsverhältnis, ein Heimarbeitsverhältnis oder ein freies Werk- oder Dienstverhältnis vorliegt. Ordnet er ein Arbeitsverhältnis oder Heimarbeitsverhältnis fälschlicherweise als freies Vertragsverhältnis ein, so kann daraus unter anderem ein straf- und bußgeldrechtliches Haftungsrisiko wegen vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge und nicht abgeführter Steuern folgen. Vor allem aber drohen hohe Nachzahlungsansprüche der Sozialversicherungsträger für mindestens die vergangenen vier Jahre, die der Auftraggeber nicht vom Arbeitnehmer zurückfordern kann. Denn ein Heimarbeiter gilt als Beschäftigter im Sinne des SGB und ist voll sozialversicherungspflichtig (§ 12 Abs. 2 SGB IV). Hier kann ein freiwilliges Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) Risiken beseitigen.
Besondere Schutzvorschriften für Heimarbeiter
Weiterhin muss der Auftraggeber berücksichtigen, dass bei einem Heimarbeitsverhältnis zwar das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, wohl aber die für Arbeitsverträge geltenden gesetzlichen Kündigungsfristen von bis zu sieben Kalendermonaten (§ 29 Abs. 4 HAG) sowie der Entgeltschutz während der Kündigungsfrist (§ 29 Abs. 7 HAG) zu beachten sind. Zudem haben Heimarbeiter – anders als freie Mitarbeiter – Anspruch auf Urlaub, der bei Beendigung des Vertragsverhältnisses abzugelten ist (§ 12 BUrlG).
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