"Kritik kann Entwicklungsprozesse in Gang setzen"
Haufe Online Redaktion: Warum interessieren sie sich als Juristen für Arbeitgeberbewertungsportale?
Claudia Knuth: Arbeitgeberbewertungsportale haben ihre hohe Popularität der Anonymität der Bewertungen zu verdanken. Da entwickelt sich inzwischen eine externe Feedbackkultur. Themen, die ein Arbeitnehmer aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen möglicherweise nicht offen an seinem Arbeitsplatz ansprechen würde, werden meist in ihrer ganzen Bandbreite und ohne Hemmung in eine anonyme Bewertung gepackt. Viele Arbeitgeber nutzen daher die Bewertungen, um herauszufinden, an welchen Stellen im Betrieb Verbesserungen notwendig sind und ob die bestehende Firmenkultur eines "Updates" bedarf. Bewertet werden vor allem Betriebsklima, Aufstiegschancen, Gehalt und das Verhalten von Vorgesetzten.
Bewertungsportale: Auch Unternehmen haben ein Persönlichkeitsrecht
Haufe Online Redaktion: Gibt es neben der unternehmenspolitischen Komponente auch eine rechtliche Seite? Haben sich die Gerichte mit der Problematik bereits beschäftigt?
Fabian Sturm: Bundesweit haben sich schon etliche Gerichte sowohl mit Bewertungen von "vermeintlich" benachteiligten Kunden als auch mit Äußerungen unzufriedener Mitarbeiter sowie den Behauptungen von konkurrierenden Unternehmen befasst. Es gibt daher eine ganze Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, die sich mit der Thematik Meinungsfreiheit, Tatsachenbehauptungen und Persönlichkeitsrecht beschäftigen. Da auch Unternehmen ein sogenanntes Unternehmens-Persönlichkeitsrecht haben, sind etliche der gerichtlichen Entscheidungen, die zu Privatpersonen ergangen sind, unmittelbar auf Unternehmen anwendbar oder zumindest übertragbar.
Anonyme interne Bewertung als vorbeugende Maßnahme
Haufe Online Redaktion: Was ist den betroffenen Arbeitgebern zu raten?
Knuth: Arbeitgeber haben im Vergleich zu den Unternehmen, die sich gegen die Bewertungen "vermeintlicher" Kunden wehren wollen, einen kurzen Lösungsweg. Denn sie stehen in unmittelbarem Kontakt zu ihren Mitarbeitern und haben wie kein anderer Einfluss auf die tatsächliche Situation im Betrieb. Um auf mögliche Missstände und negative Stimmung der Mitarbeiter rechtzeitig reagieren zu können, bevor das Unternehmensimage durch rufschädigende Bewertungen gestört ist, könnte die Einführung einer internen Bewertung zum gewünschten Ergebnis führen. Dabei ist die Anonymität das wohl entscheidende Kriterium.
"Eine feste Grenze, wann eine Rezension zu alt ist, gibt es nicht." Fabian Sturm von @LutzAbel
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Haufe Online Redaktion: Viele Bewertungen enthalten Aussagen über Zwischenfälle, die sich nicht in der jüngsten Vergangenheit ereignet haben und somit keine aktuelle Situation widerspiegeln, aber dennoch nachhaltig rufschädigend sind. Wie berücksichtigen Gerichte diesen Umstand?
Sturm: Zunächst muss man differenzieren: Es gibt Bewertungsportale, die nach einem bestimmten Algorithmus der Portalsoftware bestimmte Bewertungen nicht in das Gesamtranking aufnehmen. So hat ganz aktuell der Bundesgerichtshof einen Fall entschieden, wonach ein Bewertungsportal manche, von der Software als nicht relevant eingestufte Rezensionen nicht in das Sterne-Ranking aufgenommen hatte. Solange für den Nutzer des Portals erkennbar ist, dass beziehunsweise welche Bewertungen nicht für die Gesamtschau gelten, kann das auch zulässig sein. Es ist also möglich, dass manche Portale alte Bewertungen von vorneherein ausfiltern. Eine feste Grenze, wann eine Rezension "zu alt“ ist, gibt es übrigens nicht.
Arbeitgeber können auf Kritik antworten
Haufe Online Redaktion: Muss also ein Arbeitgeber mit einer alten Negativbewertung leben?
Sturm: Vor einiger Zeit hatte das Bundesverfassungsgericht über einen Fall zu entscheiden, bei dem es um einen über drei Jahre alten Vorgang ging. Das Bundesverfassungsgericht sah die angegriffenen Äußerungen als wahre Tatsachenbehauptungen an, die den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes genießen. Es sei ein öffentliches Informationsinteresse möglicher Kundinnen und Kunden zu bejahen. Auch dass die Bewertung erst drei Jahre nach dem bewerteten Ereignis erfolgte, führe nicht dazu, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Bewerteten überwiege. Man wird aber ein abnehmendes Informationsinteresse von Kunden annehmen können, je älter eine Bewertung ist, denn gerade Unternehmen machen auch Entwicklungen durch – sei es durch Änderungen in der Ausrichtung der Firmenpolitik oder aufgrund eines Generationswechsels in der Unternehmensführung. Durch neue Köpfe kann eine andere Unternehmenskultur entstehen, die sich in früheren Bewertungen nicht widergespiegelt hat. Wie der Nutzer des Portals eine Bewertung einordnet, bleibt immer seiner eigenen Einschätzung überlassen.
"Auf unberechtigte Kritik mit einer Art Gegendarstellung zu reagieren, kann sinnvoller sein, als in einem öffentlichkeitswirksamen Prozess gegen das Bewertungsportal vor Gericht zu ziehen." @Claudia__Knuth von @LutzAbel
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Haufe Online Redaktion: Also muss sich der Nutzer eigenständig ein Bild machen?
Knuth: Richtig ist, dass der Nutzer sich eine eigene Meinung bilden kann und soll. Richtig ist aber auch, dass etliche Portale den Bewerteten eine Antwortmöglichkeit zu der Bewertung anbieten. So kann zum Beispiel ein Arbeitgeber auf eine tendenziell negative Bewertung reagieren und auf die Kritik konkret eingehen. Berechtigte Kritik kann so durchaus Entwicklungsprozesse im Unternehmen in Gang setzen. Und auf unberechtigte Kritik mit einer Art Gegendarstellung zu reagieren, kann sinnvoller sein, als in einem öffentlichkeitswirksamen Prozess gegen das Bewertungsportal vor Gericht zu ziehen.
Netzwerkdurchsetzungsgesetz sorgt für mehr Schutz
Haufe Online Redaktion: Welche Wege stehen den Unternehmen und Arbeitgebern gegen negative Bewertungen offen?
Knuth: Die Unternehmen genießen den Schutz des allgemeinen Unternehmens-Persönlichkeitsrechts. Wenn die soziale Geltung als Wirtschaftsunternehmen oder Arbeitgeber betroffen ist, kann gegen die Bewertung mit einem zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegen den Bewertenden oder das Bewertungsportal vorgegangen werden.
Am 1. Oktober 2017 ist zudem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, in Kraft getreten, das den Betroffenen künftig einen besseren Schutz bietet. Die Anbieter sozialer Netzwerke sind danach dazu verpflichtet, rechtswidrige Inhalte nach Kenntnis und Prüfung zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Werden hier rechtsverletzende Bewertungen veröffentlicht, können die Arbeitgeber den Plattformbetreiber unmittelbar mit dem Hinweis auf die Rechtsverletzung konfrontieren. Das Gesetz gilt allerdings nur für Internetplattformen, die mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden und mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer zählen. Diese Grenze wurde eingeführt, um zu verhindern, dass Start-ups durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden. Unter dieser Zahl liegen meist auch Arbeitgeberbewertungsportale.
"Unwahre Tatsachenbehauptungen, reine Beleidigungen und sogenannte Schmähkritik ist grundsätzlich unzulässig." Fabian Sturm von @LutzAbel
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Haufe Online Redaktion: Gibt es einen Maßstab, an dem sich Unternehmen orientieren können, wenn sie gegen eine rufschädigende Bewertung vorgehen wollen?
Sturm: Nach den bisherigen Gerichtsentscheidungen kann man zusammengefasst davon ausgehen, dass unwahre Tatsachenbehauptungen, reine Beleidigungen und sogenannte Schmähkritik grundsätzlich unzulässig sind. Wahre Tatsachenbehauptungen hingegen sind weitestgehend hinzunehmen, selbst wenn sie frühere und mittlerweile abgeschlossene Sachverhalte betreffen. Äußerungen einer Meinung, also einer subjektiven Einschätzung zu Themen, sind im Rahmen der Meinungsfreiheit sehr weitgehend geschützt und damit ebenfalls weitestgehend zulässig.
Knuth: Neben der rein rechtlichen Bewertung sollte sich der Arbeitgeber aber – gegebenenfalls nach entsprechender Beratung – überlegen, ob er juristisch gegen eine Bewertung vorgeht oder andere Reaktionsmöglichkeiten zielführender sein können. Abhängig vom Einzelfall kann das schon erwähnte Skizzieren der Sichtweise des Arbeitgebers zu einem bestimmten Thema die sinnvollere Alternative zum – womöglich nicht möglichen – Vorgehen gegen einen Portalbetreiber sein.
Die Interviewpartner sind Rechtsanwälte der Wirtschaftskanzlei Lutz Abel
Claudia Knuth ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin im Berliner Büro.
Fabian Sturm ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro und auf IP, IT und Datenschutz spezialisiert.
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