"Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst klar abgrenzen"
Haufe Online-Redaktion: Das BAG hat zuletzt entschieden, dass Arbeitgeber auch Bereitschaftsdienstzeiten mit dem Mindestlohn vergüten müssen. Was müssen Arbeitgeber nun beachten?
Marco Ferme: Arbeitnehmer haben damit auch bei Bereitschaftsdienstzeiten Anspruch auf den Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde. Damit hat das BAG klargestellt, dass das MiLoG, nicht zwischen regulärer Arbeitszeit und den Bereitschaftszeitstunden differenziert. Da Bereitschaftsdienstzeiten bereits arbeitszeitschutzrechtlich eins zu eins als Arbeitszeit zu werten sind und der Arbeitnehmer sich an einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort – unter Einschränkung seiner Verfügungsfreiheit – aufhalten muss, sind Bereitschaftsdienstzeiten auch vergütungsrechtlich eins zu eins als Arbeitszeit zu bewerten.
Haufe Online-Redaktion: Was versteht das BAG unter Bereitschaftsdienstzeit?
Ferme: Bereitschaftsdienstzeiten liegen, so das BAG, immer dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer in einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten müsse, "um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen". Unerheblich ist hierbei, ob es einen Ort im Betrieb oder ein außerhalb ist. Anders ist es bei Rufbereitschaft, bei der der Arbeitsgeber nicht den Aufenthaltsort vorgibt. Bei Rufbereitschaft ist nur die tatsächlich geleistet Arbeitszeit mit dem Mindestlohn zu vergüten.
Besonders häufig kommen Bereitschaftsdienstzeiten in der Taxi- und Botenbranche, in der Ver- und Entsorgungswirtschaft sowie bei produzierenden Unternehmen in Bezug auf Instandhaltung oder Wartung sowie in der Gesundheitsbranche vor. Diese Branchen sind gleichermaßen betroffen.
Haufe Online-Redaktion: Ist also laut BAG jede Stunde Bereitschaftsdienst mit dem Mindestlohn zu vergüten?
Ferme: Nicht unbedingt. Im Ergebnis bedeutet das Urteil, dass bei allen Mitarbeitern, die auch Arbeitszeiten in Form von Bereitschaftsdiensten erbringen, diese zu den normalen Arbeitszeiten zu addieren sind. In einem zweiten Schritt muss das monatlich ausgezahlte Gesamtgehalt durch die monatlich geleisteten Arbeitsstunden dividiert werden. Sollte der Mitarbeiter insoweit pro geleistete Zeitstunde mindestens 8,50 Euro beanspruchen können – ab 1. Januar 2017 steigt der Mindestlohn übrigens auf 8,84 Euro –, so hat er damit auch keinen Anspruch auf eine darüberhinausgehende Vergütung für die Bereitschaftsdienstzeiten.
Nach dem MiLoG kommt es auf die Relation zwischen Gesamtvergütung und tatsächlich geleisteter Arbeitszeit an.
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Insoweit hat das BAG klargestellt, dass es nach dem MiLoG auf die Relation zwischen der Gesamtvergütung und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit ankomme. Demnach kann der Mitarbeiter – entgegen der Entscheidung des BAG vom 19. November 2014, Az. 5 AZR 1101/12, und damit im Gegensatz zur Pflegeverordnung – für geleistete Bereitschaftsdienstzeiten keine gesonderte Vergütung je geleisteter Bereitschaftsdienstzeitstunde beanspruchen. Unabhängig von der Branche muss der Arbeitgeber also sicherstellen, dass die Gesamtvergütung in Relation zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit mindestens eine Vergütung entsprechend dem MiLoG ergibt. Maßgeblicher Bemessungszeitraum ist hierbei auch die Monatsvergütung und die monatlich geleistete Arbeitszeit.
Haufe Online-Redaktion: Wie können Arbeitgeber nun auf das Urteil reagieren? Was müssen Unternehmen angehen?
Ferme: In vielen Unternehmen ist die Grenzziehung zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unscharf. Es wird zur Definition des Bereitschaftsdienstes allein darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer sich an einem Ort im Betrieb des Arbeitgebers aufzuhalten habe; andernfalls würde nur eine Rufbereitschaft vorliegen. Aufgrund der Klarstellung des BAG müssen die Unternehmen zunächst prüfen, ob sie den Begriff des Bereitschaftsdienstes oder Rufbereitschaftsdienstes richtig anwenden.
Unternehmen sollten prüfen, ob sie den Begriff des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft richtig anwenden.
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Sollte zum Beispiel dem Arbeitnehmer auferlegt werden, dass er sich "zuhause" zur Verfügung halten soll, wäre dies als Bereitschaftsdienst zu werten. Sollte dem Arbeitnehmer nur auferlegt werden, dass er beispielsweise telefonisch erreichbar ist und in einem Zeitfenster von mehr als 30 Minuten vor Ort im Betrieb eintreffen soll, wäre dies eine Rufbereitschaft.
Außerdem ist Unternehmen bei den Mitarbeitern, die sich hinsichtlich der monatlichen Vergütung im Grenzbereich des MiLoG bewegen, folgendes zu empfehlen: Sie sollten die monatliche Gesamtarbeitszeit anhand der geleisteten Arbeitszeit, der geleisteten Überstunden, der im Rahmen der Rufbereitschaft tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und der Bereitschaftsdienstzeiten ermitteln und in Relation zum Gehalt setzen. So können sie prüfen, ob eine Kollision mit dem MiLoG vorliegt.
Bei der Vergütung muss nicht zwischen normalen Arbeitszeiten und Sonderformen der Arbeitszeit unterschieden werden.
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Im Ergebnis enthält die Entscheidung außerdem eine wichtige Klarstellung für den Arbeitgeber. Hinsichtlich der Vergütung der Arbeitszeiten muss nicht zwischen den normalen Arbeitszeiten und den Sonderformen der Arbeitszeit unterschieden werden. Es kommt vielmehr auf die monatliche Gesamtbetrachtung und damit die monatliche Gesamtrelation zwischen Arbeitszeit und Vergütung an. Zu hoffen ist, dass es auch kurzfristig eine klarstellende Entscheidung des BAG zur Frage gibt, welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden können.
Marco Ferme ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Beiten Burkhardt in München.
Das Interview führte Michael Miller.
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