Mehr Schutz für Whistleblower?
Es passiert häufiger als man denkt: Ein Mitarbeiter erfährt von Geschäftspraktiken im Unternehmen, die sich am Rande oder jenseits der Legalität bewegen. Schweigen oder Aufdecken? - ist für diesen Mitarbeiter nun die Frage. Und wenn er sich entschließt, solche Vorgänge anzuzeigen, stellt sich die nächste Frage: Wird er damit womöglich selbst zum Ziel einer Kündigung, strafrechtlichen Ermittlungen oder Schadensersatzforderung?
Führungskräfte fordern mehr Schutz für Whistleblower
"Anders als oft vermutet gibt es in Deutschland noch keinen umfassenden gesetzlichen Hinweisgeberschutz", erläutert Dr. Ulrich Goldschmidt, Vorstand der Berufsverbands "Die Führungskräfte" (DFK). Der Verband fordert daher EU-weite einheitliche Bestimmungen beim Umgang mit so genanntem "Whistleblowing".
Der Begriff Whistleblowing bezeichnet im Arbeitsrecht die Information Dritter durch Beschäftigte über tatsächliche oder angebliche Missstände, von denen sie an ihrem Arbeitsplatz erfahren.
Deutschland hat - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wie die USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Australien - keine spezifischen Schutzgesetze erlassen, welche Whistleblowing durch spezifische Meldeverfahren regeln und dadurch Betroffene vor ungerechtfertigten Nachteilen bewahren. OECD und Europarat fordern seit Jahren, den Whistleblower-Schutz im privaten Sektor zu verbessern. "Es darf sicher kein "Denunziationsgesetz" geben und andere Mitarbeiter, die in den Fokus im Zuge solcher Vorwürfe geraten, müssen insbesondere vor Verdachtskündigungen geschützt werden", erklärt Ulrich Goldschmidt. "Betriebsinterne Fragen, ohne innerbetrieblichen Klärungsversuch, in der Öffentlichkeit auszutragen, ist und bleibt falsch. Wir dürfen nicht ohne weiteres den sanktionslosen Weg in die Öffentlichkeit zulassen, sondern benötigen einen sachorientierten Eskalationsprozess, der rechtssicher beschrieben ist. Der interne Berichtsweg muss dabei immer vorgehen. Aber fest steht: Alle Beteiligten und gerade auch der Hinweisgeber müssen nun dringend mehr Sicherheit als bisher erhalten", so Goldschmidt weiter.
Arbeitgeber gegen gesetzliche Regelung zum Whistleblowing
Die Arbeitgeberverbände hingegen halten neue gesetzliche Regelungen zum Whistleblower-Schutz in Deutschland für unnötig und auch auf europäischer Ebene überflüssig: Eine pauschalierende gesetzliche Regelung gefährde den Betriebsfrieden, schreibt der Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) auf seiner Website. Ohne innerbetrieblichen Klärungsversuch würden betriebsinterne Fragen in der Öffentlichkeit ausgetragen. Beschäftigte wären ständig der Gefahr ausgesetzt, zu Unrecht von Kollegen belastet zu werden. Dies würde dem betrieblichen Miteinander schaden. Des Weiteren könnten ungerechtfertigte Anzeigen finanzielle und existenzielle Folgen für den gesamten Betrieb und dessen Arbeitsplätze haben. Selbst bei unzutreffenden Anschuldigungen könne der in der Öffentlichkeit einmal entstandene Eindruck im Regelfall nicht mehr korrigiert werden.
Viele Unternehmen regeln Whistleblowing durch interne Compliance-Management-Systeme
Außerdem verweist der BDA darauf, dass Whistleblowing innerbetrieblich durch Compliance-Management-Systeme bereits zuverlässig geregelt ist. „In Deutschland hat sich eine offene Diskussionskultur über Missstände im Betrieb entwickelt“, so der BDA. Unter dem Begriff „Compliance“ haben viele Unternehmen Möglichkeiten zur Meldung von innerbetrieblichen Missständen geschaffen. Auch im Deutschen Corporate Governance Kodex wurden Anfang des Jahres ergänzende Empfehlungen zu Compliance-Systemen aufgenommen, die einen besseren Schutz für Whistleblower gewährleisten sollen. "Befürchtungen, Arbeitnehmer müssten bei Anzeigen mit Sanktionen rechnen, gehen angesichts dieser Entwicklung an der Realität vorbei und pauschalierende gesetzliche Regelungen widersprechen dieser positiven Entwicklung", so der BDA.
Richtige Balance zwischen Hinweisgeberschutz und Schutz vor falschen Verdächtigungen
Es gehe nicht darum, teilweise überzogene Regelungen, wie man sie aus den USA kennt, 1:1 nach Europa zu transferieren, betont der DFK. "Aber aufgrund der derzeitigen, unklaren Rechtslage fürchten Mitarbeiter um ihren Job und ihre Karriere, bis hin zu Schadensersatzforderungen und strafrechtlichen Konsequenzen. Unklar ist oft auch, ob diesen Hinweisen überhaupt nachgegangen wird bzw. der unrechtmäßige Zustand abgestellt wird oder der Hinweis im Sande verläuft - und am Ende dann doch mit negativen Konsequenzen für den Hinweisgeber", so Sebastian Müller, Arbeitsrechtler im Führungskräfteverband. Durch eine Stärkung der Rechtsklarheit in diesem Bereich könne man die richtige Balance und die richtigen Berichtswege für Whistleblower festlegen, so dass der Schutz des Hinweisgebers gegeben ist, aber auch gleichzeitig die Unternehmen und andere Mitarbeiter vor falschen, fahrlässigen oder überzogenen Meldungen, Verrat von Betriebsgeheimnissen oder übermäßigem Verwaltungsaufwand geschützt werden.
Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer zu Whistleblowing bereit
Die Software-Allianz BSA hat im April 2.000 Arbeitnehmer in Deutschland befragt, ob sie zum Whistleblowing bereit sein und bei welchen illegalen Praktiken am Arbeitsplatz sie das größte Pflichtgefühl empfänden diese zu melden. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte (1.237) würde unangemessenes oder illegales Verhalten am Arbeitsplatz melden. Das größte Pflichtgefühl hätten Arbeitnehmer bei Fällen von Mobbing oder Diskriminierung - 68 Prozent gaben an, hier zu handeln. Auch bei Betrug oder Diebstahl könnte die Mehrheit der Befragten nicht einfach wegsehen, wie die Infografik von Statista zeigt. Wenn das Unternehmen illegale oder gefälschte Software nutzt, würden allerdings viele ein Auge zudrücken.
Tipp: Rechtsanwalt Dr. Philipp Byers erläutert im Personalmagazin Ausgabe 6/2017, wie sich der Schutz für Whistleblower unternehmensintern durch Amnestieprogramme regeln lässt, um den Mitarbeitern die Furcht vor arbeitsrechtlichen Sanktionen zu nehmen und so die Bereitschaft zur Aufklärung von Compliance-Verstößen im Unternehmen zu fördern.
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