Agiles Lernen, Lernen 4.0, New Learning: Definition und Abgrenzung


Kapitel
Agiles Lernen, Lernen 4.0, New Learning: Definition Abgrenzung

Auf der Suche nach neuen Formen des Lernens im Arbeitskontext sind in der Praxis verschiedene Begrifflichkeiten entstanden, die oft undifferenziert gleichgesetzt werden. Was genau bedeuten "agiles Lernen", "New Learning" und "Lernen 4.0" und wie unterscheiden sie sich?

Blättert man heute in einschlägigen Zeitschriften der Personalentwicklung, trifft man auf verschiedenste Begriffe: New Learning, agiles Lernen, Lernen 4.0 und viele weitere wie Workplace Learning, Social Learning und so weiter. Insbesondere für die ersten drei Begriffe bestehen bisher noch keine allgemein anerkannten Definitionen und sie werden häufig synonym verwendet. Das ist aber gefährlich, denn die Ansätze basieren alle auf unterschiedlichen Konzepten, Mindsets und Menschenbildern. Geht es Ihnen um Technologie oder um Menschen? Um Effizienz oder persönliche Entfaltung? Die drei Begriffe sind eben nicht beliebig austauschbar, sondern basieren auf verschiedenen Philosophien, wie Lernen in Zukunft gestaltet werden kann.

Lernen 4.0: Definition

"Lernen 4.0 basiert analog zur Industrie 4.0 auf der digitalen und technologischen Vernetzung und dem Grundgedanken der Effizienzsteigerung. Im Fokus steht die zeitnahe Befähigung zur anforderungsgerechten individuellen Performance. Der Lernende wird dabei durch ein smartes Lernumfeld (zum Beispiel Avatare, Bots, Sensoren) unterstützt. Kollaboration zwischen Mensch und Maschine und KI-gestützte Assistenzsystem prägen das Lernen 4.0." (Graf und Schmitz, 2019)

Setzt man sich mit der Industrie 4.0 (unter anderem dem "Internet of Things") auseinander, so ist der Grundgedanke dahinter ein wirtschaftlicher: Dabei soll die intelligente Vernetzung von Maschinen mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie Effizienz bringen und den Erfolg sichern. Für Industrie 4.0 ist nicht der Computer die zentrale Technologie, sondern das Internet.

Was bedeutet 4.0 für das Lernen?

Überträgt man diese Gedanken auf das Lernen, so prägen Digitalisierung, Technologisierung und die Vernetzung das Bild des Lernens. Es wird also ein smartes Lernumfeld geschaffen, das zum Ziel hat, den Lerner möglichst effizient zu unterstützen, sodass dieser seine Performance bringen bzw. steigern kann. Dabei kommt es – analog zum Begriff der Industrie 4.0 – auf die Losgröße 1 an,  also den individuellen Lerner.

Konkret bedeutet dies, dass künstliche Intelligenz (KI) unter anderem in Form von Avataren und Bots durch Daten (Big Data, Sensoren in Smart-Watches) lernt, den individuellen Lerner gezielt zu unterstützen. Das können Erinnerungen an Lernzeiten und Pausen, Vorschlage für neue Lerninhalte und deren zeitliche Einsteuerung (je nach Pulsschlaghohe), Unterstützung bei Informationssuche etc. sein – der Kreativitat sind da keine Grenzen gesetzt. Ziel ist es, das Lernen des Individuums effizienter zu machen.

Die Rolle des Lerners beim Lernen 4.0

Divers wird dabei die Rolle des Menschen gesehen. So sieht die eine Seite den Lerner als "hilflosen" Coachee, der sich durch Lernprozesse führen lässt, immer mehr Verantwortung abgibt und eine Art Hilflosigkeit erlernt (Wer kann heute noch ohne Navigation Auto fahren?). Die andere Seite skizziert dagegen einen mündigen "Navigator", der die KI für seine Zwecke zu nutzen weiß. Beiden gemein ist, dass die hauptsachliche Kollaboration zwischen Mensch und Maschine stattfindet. Dabei wird die Kommunikation mit der "Maschine" für den Menschen immer einfacher – muss man heutzutage noch bei Navigationsgeraten Befehle in bestimmter Art und Weise formulieren, reagieren neuere Systeme schon mit adaptivem Verständnis auf verschieden Wortwahlen und Stimmlagen. Dennoch bleibt Digitalkompetenz (im weiteren Sinne) eine der wichtigsten Grundkompetenzen, da auch Cybersicherheit und andere Aspekte eine Rolle spielen.

Zusammenfassend ist also Lernen 4.0 das abgestimmte Zusammenspiel von Lerner und IT, um effizientes Lernen zur Performancesicherung zu gewährleisten.

Agiles Lernen: Definition

"Agiles Lernen leitet sich vom agilen Arbeiten ab und zielt auf die lebenslange Anpassungs- und Innovationsfähigkeit von Mensch und Organisation. Agile Lernprozesse zeichnen sich durch kurze, klar strukturierte Abläufe bei gleichzeitiger Flexibilisierung und Individualisierung der Inhalte (zum Beispiel WOL, Barcamp) aus. Zielorientierung, Kollaboration, Selbststeuerung und Dynamik prägen diesen Ansatz. Im weiteren Sinne bedarf agiles Lernen eines passenden Mindsets (Selbstwirksamkeit und Entwicklungsfähigkeit), Skills (zum Beispiel Lernkompetenzen) und eine passende Fehler- und Lernkultur." (Graf und Schmitz, 2019)

Was bedeutet "agil" für das Lernen?

Das Wort "agil" wird derzeit inflationär benutzt und häufig fälschlicherweise mit "beweglich" gleichgesetzt. Viele winken bereits ab, sobald sie das Wort hören. Dabei versteckt sich dahinter ein sehr interessanter Ansatz, um den Anforderungen der Zukunft besser gerecht werden zu können. Zentrale Annahme sowohl des Konzepts des agilen Arbeitens als auch des agilen Lernens ist, dass sich die Umwelt permanent verändert und eine schnelle Anpassungsfähigkeit erfolgssichernd ist. Agilität soll helfen, crossfunktional besser zusammenzuarbeiten, mehr Transparenz und Kommunikation zu schaffen und sowohl die Produktivität als auch die Motivation der Mitarbeiter durch mehr Verantwortung zu erhöhen. Dabei sind Ausprobieren, Lernen und Adaptieren der wichtige Lerndreiklang, der in vielen Fallen in Kollaboration mit anderen (Social Learning) stattfindet.

Die Rolle des Lerners beim agilen Lernen

In dieser Kollaboration wird der Lerner zum Prosumenten: Er ist gleichzeitig "Konsument" vom Wissen anderer und "Produzent" von Wissen für andere. Lernformate ebenso wie agile Arbeitsmethoden sind im Ablauf hoch strukturiert (siehe Scrum) und inhaltlich sehr flexibel wie z. B. Barcamps. Zudem sind die Formate jederzeit zuganglich, so dass zwischen Bedarf und Lernen keine Lücke entsteht wie bei Seminaren. Mehr dazu lesen Sie im Kapitel "Agile Lernformate".

Da agiles Lernen auf dem Ziel der schnellen (!) Anpassungsfähigkeit (auf individueller und organisationaler Ebene) beruht, muss der Lerner also sein erster Personalentwickler sein. Lernen ist aufgrund des Verständnisses von "Learning on demand", der damit verbundenen individuellen Ziel- und Kundenorientierung und der vielfaltigen, individualisierbaren Formate hoch selbstgesteuert und erfordert damit hohe Lernkompetenzen von jedem.

Organisational muss das gemeinsame Experimentieren und daraus Lernen durch eine passende Fehler- und Lernkultur und Rahmenbedingungen unterstützt werden.

New Learning: Definition

"New Learning basiert auf Frithjof Bergmanns New-Work-Konzept und hat die Selbst- und Potenzialentfaltung des Individuums zum Ziel. New Learning bezeichnet Lernprozesse, die vom Lernenden als sinnhaft erlebt werden und die Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglichen. Die Lernprozesse sind geprägt von Selbstbestimmung, Autonomie und dem Streben nach Wirksamkeit. Dabei gilt, dass die Lerner ein hohes Maß an Selbstverantwortung und die Zugehörigkeit zur (Lern-)Gemeinschaft erleben." (Graf und Schmitz, 2019)

Ebenso wie bei dem kapitalismuskritischen New-Work-Ansatz von Bergmann steht beim "New Learning" das Individuum im Zentrum. Es ist ein Konzept, das darauf abzielt, es Menschen zu ermöglichen, einer Arbeit nachzugehen, die sie bewusst auswählen und als sinnstiftend empfinden, die ihren tiefsten Wünschen entspricht, ihnen die Teilhabe an der Gemeinschaft und Sicherheit ermöglicht (Bergmann 2005, 2017).

Die Rolle des Lerners beim New Learning

Erlebte Sinnhaftigkeit des Lernens und die individuelle Selbst- und Potenzialentfaltung stehen im Mittelpunkt des New-Learning-Ansatzes. Nach dem Prinzip der Freiwilligkeit sollte der Lerner selbst bestimmen, was er wie lernt. Supervision und Service Learning können hier zentrale Formate sein. Insbesondere das Service Learning (deutsch: Lernen durch Engagement) – immer mit Blick auf das Gemeinwohl – greift die im New-Work-Ansatz verankerte Teilhabe im sozialen System auf.

Als wichtige Kompetenz ist hier die Selbstkompetenz zu sehen, da der Lerner erkennen muss, was er wie kann, will und zu leisten vermag. Dabei gilt, dass der Lerner ein hohes Maß an Selbstverantwortung erlebt und gleichzeitig an einer (Lern-)Gemeinschaft teilhat.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Lerner mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht und sich im Rahmen einer (stabilen) Lerngemeinschaft entwickelt.


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Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "Agiles Lernen" von Nele Graf, Denise Gramß und Frank Edelkraut, das aktuell bei Haufe in der zweiten Auflage erschienen ist. Neu: Mit Augmented-Reality-Elementen, wie Podcasts, Videos und Checklisten. Hier können Sie das Buch im Haufe-Shop bestellen.


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