Wolfgang Saaman: "Agilität kann man messen"
Haufe Online-Redaktion: Agile Softwareentwicklung, agile Prozesse, agile Arbeitswelten – und nun Agilität als mehrdimensionales Persönlichkeitskonstrukt. Wie füllen Sie diesen Modebegriff?
Wolfgang Saaman: Agil können nur Wesen sein. Agilität ist etwas Lebendiges. Dazu gehören Persönlichkeitsmerkmale wie kommunikative Aufgeschlossenheit, Denkbeweglichkeit, Gewandtheit, die Fähigkeit zur Umsetzung, Vitalität und Willensstärke. Agile Strukturen oder gar eine agile Statik kann es nicht geben. Aber menschliche Handlungen können mehr oder weniger agil sein – und damit Firmen voranbringen oder bremsen.
„Agil können nur Wesen sein. Agilität ist etwas Lebendiges.“ (Wolfgang Saaman)
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Haufe Online-Redaktion: Woran zeigt sich das?
Saaman: Zwischen Chefs und einem einzelnen Mitarbeiter oder in Teams gibt es unterschiedliche Agilitätslevels. Gehen Menschen, die zusammenarbeiten, aufeinander zu oder prägen sie ein eher träges Umfeld? Trennen sie Wesentliches von Unwesentlichem? Handeln sie entlang der Notwendigkeiten oder werden sie nur aktiv, wenn ihre Aufgaben zufällig auf ihr Interesse stoßen? Gaffer bei Verkehrsunfällen sind nicht handlungsagil. Aber wer in Sitzungen Aufgaben mit Verantwortung verteilt statt Beschlüsse zu protokollieren, der bringt die Arbeit voran.
Haufe Online-Redaktion: Diese Erkenntnisse und Anforderungen sind nicht neu.
Saaman: Das stimmt, aber Chefs wünschen sich diese Persönlichkeitsmerkmale und dieses Verhalten jetzt mehr – und zwar unter dem Begriff Agilität.
Haufe Online-Redaktion: Sie springen also auf einen Modetrend auf?
Saaman: Das tun wir guten Gewissens, denn der von uns entwickelte Test wird Agilität seriös messen. Und das ist es, was die Geschäftsführer und Personalmanager brauchen. Bisher haben wir Tests wie das eher klinische FPI - Freiburger Persönlichkeitsinventar genutzt oder Konfliktfähigkeit bei Führungskräften gemessen. Jetzt richten wir den Test speziell auf Agilität aus.
Haufe Online-Redaktion: Wann ist der Test marktreif?
Saaman: Wir sind im Oktober gestartet und haben zwei Varianten entwickelt: einen Online-Test für Einzelinteressierte mit Selbstauswertung und einen anonymisierten Test, der zum Beispiel alle Führungskräfte oder – mit Zustimmung des Betriebsrats – alle Mitarbeiter erfassen kann. Nach der Pre-Phase haben wir in den über 120 Items noch Veränderungen vorgenommen, weil der Grad der sozialen Erwünschtheit noch eine zu große Rolle spielte. Jetzt testen wir die Beta-Phase, im Sommer gehen wir an den Markt.
„Die eierlegende Wollmilchsau soll mit Fernsteuerung zu bedienen sein, damit man das Fell nicht berührt.“ (Saaman)
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Haufe Online-Redaktion: Und dann finden Sie für die Unternehmen die eierlegende Wollmilchsau unter den Mitarbeitern und beim Recruiting?
Saaman: Die wird tatsächlich von den Chefs gesucht. Und sie soll mit Fernsteuerung zu bedienen sein, damit man das Fell nicht berührt. Wenn der Test eingesetzt wird, muss der Auftrag vorher geklärt sein. Was wollen Vorgesetzte mit agilen Mitarbeitern? Auch gilt: Man muss die Treppe von oben kehren. Unternehmensleitungen müssen agiler sein als die Beschäftigten. Als Berater flankieren wir die Analyse und die Prognose kritisch.
Haufe Online-Redaktion: Und wer nicht agil genug ist, muss gehen?
Saaman: Bloß nicht. Die Firmen würden im Chaos versinken, wenn sie nur noch agile Menschen beschäftigen würden. Ein Controller oder Wirtschaftsprüfer darf nicht allzu kreativ sein, er braucht vielmehr Denkfestigkeit. Entwickler dagegen benötigen eine gehörige Portion Denkbeweglichkeit. Um einen Zug auf die Schiene zu bringen, braucht man zuerst eine Spur. Im erfolgreichen Arbeitsprozess geht es um die richtige Rollenverteilung – wie bei Architekten und Statikern.
„Die Firmen würden im Chaos versinken, wenn sie nur noch agile Menschen beschäftigen würden.“ (Wolfgang Saaman)
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Haufe Online-Redaktion: Das klingt geradezu ernüchternd.
Saaman: Durch Strapazierung des Begriffs Agilität wird es keine Veränderung geben. Unternehmen müssen definieren, wohin sie wollen. Nach dem Test werden Aussagen über den Status der Firma möglich und darüber, wie agil die Manager und Beschäftigten wirklich sind und sich noch weiter entwickeln können. Wir müssen bei den Menschen ansetzen. Und ich bin da optimistisch: Nur sehr wenige werden weder Motivation noch Potenzial haben sich durch attraktive Anreize zu verändern. Und nur die müssen wechseln.
Prof. Dr. Wolfgang Saaman gründete 1998 in Freiburg die Saaman AG und berät Unternehmen zu Personaldiagnostik, -entwicklung und Leistungskultur. Der Betriebswirt und promovierte Psychologe lehrt an der privaten Progress University im armenischen Gyumri in der psychologischen Fakultät das Wahlfach Leistungskultur.
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