Aktuelle Herausforderungen im Gesundheitsmanagement
Haufe Online-Redaktion: Sie beobachten den Entwicklungsstand im betrieblichen Gesundheitsmanagement, kurz BGM, nun bereits im fünften Jahr. Was hat sich in diesen Jahren verändert?
Thomas Olbrecht: Das BGM ist ja recht jung – über die Hälfte der Unternehmen hat erst in den letzten fünf Jahren ein BGM implementiert, in erster Linie geschah das bei den Großunternehmen. Erst in letzter Zeit wird die systematische Einführung in der öffentlichen Verwaltung und den Kommunen und auch in kleineren Unternehmen verstärkt sichtbar. Doch Großunternehmen bilden nach wie vor die größte Bewerbergruppe für den Corporate Health Award.
Haufe Online-Redaktion: Woran hakt es bei den kleinen Unternehmen? Stehen den Bewerbungen der kleineren Betriebe die aufwändigen Fragebogen und Qualifizierungserhebungen ihres Awards entgegen?
Olbrecht: Das glaube ich nicht. Auch wenn Strukturen, Leitfäden und Controlling im BGM in erster Linie bei den großen Unternehmen existieren, haben auch die kleinen Unternehmen, die sich bei uns bewerben, eine klare Struktur in ihrem BGM. Und genau das wollen sie gerne sichtbar machen, indem sie ihr BGM einer externen Betrachtung unterziehen. Das Problem sind eher Unternehmen, bei denen BGM noch aus dem Bauch heraus passiert. Diese Unternehmen stellen sich nicht einer externen Prüfung.
Markus A.W. Hoehner: Das sehe ich auch so. Um weiter zu kommen, braucht man bei uns natürlich einen gewissen Grad an Verschriftlichung, doch der kann an die Unternehmensspezifika angepasst werden. Große Konzerne beispielsweise müssen natürlich komplexe Kennzahlen auf verschiedenen Ebenen einführen, um überhaupt die Gesamtsituation im Unternehmen erfassen zu können. In einem 20- Mann Betrieb dagegen kann dafür ein Gesundheitszirkel oder eine jährliche Erhebung genügen. Dieses Vorgehen, das unserer Bewertung beim Corporate Health Award zugrunde liegt, wäre auch insgesamt wünschenswert: Nicht BGM aus dem Bauch heraus nach dem Motto, jeder macht, was er will, sondern klare Strukturen und klare Prozesse, angepasst an die Komplexiät und die besonderen Herausforderungen des jeweiligen Unternehmens. Im Grunde bedeutet BGM immer die gleiche Musik, nur in einer anderen Tonart – eben jeweils angepasst an die entsprechenden Gegebenheiten, Notwendigkeiten und Herausforderungen.
Haufe Online-Redaktion: Die in Ihrer Studie befragten Unternehmen sind alle schon sehr BGM-affin und können anderen Unternehmen als Beispiele dienen. Was machen sie besonders gut?
Hoehner: Im Grunde genommen müssen Unternehmen, die mit BGM starten wollen, zwei Fragen beantwortet bekommen: Warum soll ich es überhaupt tun? Und: Wie geht das Ganze? Auf der Suche nach Antworten auf diese beiden Fragen dienen die Gewinnerunternehmen als Leuchttürme. Zum einen intern gegenüber der Geschäftsführung als auch gegenüber den Mitarbeitern, denn sie schaffen es, die Mehrwerte von BGM Maßnahmen hervorzuheben und die Belegschaft mitzunehmen und sie so für das Thema Gesundheit zu sensibilisieren. Und zum anderen sind Unternehmen ja auch Rudeltiere- man schaut immer nach Best Practice-Beispielen, an denen man sich orientieren kann. Inzwischen haben wir viele Beispiele aus dem Mittelstand, die zeigen, dass BGM auch hier funktionieren kann.
Haufe Online-Redaktion: Wo sehen sie auch bei den an der Studie beteiligten Unternehmen noch starken Verbesserungsbedarf?
Hoehner: Die große Herausforderung ist immer noch die Sensibilisierung in der Fläche, auch gerade bei dezentral organisierten Unternehmen. Die Fragestellung lautet: Wir bekommen wir unser Konzept auch in die kleinsten Außenstellen, wie erreichen wir alle Mitarbeiter. Darüber hinaus ist die Analyse nicht erfolgsbringend, wenn allein das Problem bewundert wird, sondern es bedarf auch entsprechender Lösungskonzepte, die der Analyse folgen.
Olbrecht: Und wie können wir bei der Sensibilisierung auch diejenigen Mitarbeiter einbeziehen, die einem BGM eventuell skeptisch gegenüber stehen. Hierfür bedarf es einer gut durchdachten Strategie der internen Kommunikation. Dabei ist es nicht nur wichtig, die Beschäftigten insgesamt zu informieren, sondern auch zur Teilnahme an den gebotenen Leistungen zu motivieren.
Hoehner: Genau. Hierzu gibt es erste Ansätze wie zum Beispiel digitale Kommunikation oder Gesundheitslotsen. Aber darüber muss noch ein starker Austausch stattfinden.
Olbrecht: Das zweite Thema ist die psychische Gefährdungsbeurteilung. Geeignete Instrumente lassen sich im Dienstleistungssektor finden und sind in der Regel wissenschaftlich etabliert .Was aber fehlt, sind die nachgelagerten Maßnahmen. Letztendlich endet das BGM in diesem Bereich nicht damit, dass eine Gefährdungsanalyse durchgeführt wird und die Ergebnisse im Anschluss bewundert werden. Wesentlich ist die Weiterbeschäftigung mit den Resultaten, die Ableitung von Handlungsstrategien sowie deren spätere Evaluation. Darüber hinaus gilt es alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen und die Dinge zu korrigieren, die sich als psychisch gefährdend erwiesen haben.
Haufe Online-Redaktion: Und mit welchen Maßnahmen lassen sich diese Probleme lösen?
Hoehner: Es hat sich gezeigt, dass es gut ist, schon im Vorfeld bei der Auswahl des geeigneten Instruments den anschließenden Prozess zu diskutieren, exemplarisch zu klären, welche Bereiche betroffen sein könnten und welche Arten von Maßnahmen es dann zu ergreifen gilt. Das zweite ist, rechtzeitig die Führungskräfte zu informieren und zu schulen, wie sie mit dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung umgehen können. Denn das wird nicht ein Analyst lösen, sondern die Arbeitgeber und die Führungskräfte müssen die Missstände beseitigen. Wenn sie diese erst nach Abschluss der Analyse dazu befähigen, kann das zu lange dauern.
Dr. Thomas Olbrecht ist ist Leiter Markt- und Sozialforschung bei EuPD Research.
Markus A.W. Hoehner ist Geschäftsführer der EuPD Research Sustainable Management.
Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin.
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