Arbeitszeitflexibilisierung: vom Sabbat zum arbeitsfreien Sonntag

Arbeitsfreie Sonntage sind keine Erfindung der Moderne. Wie sich der Ruhetag seit der Antike vom religiösen Gebot zum staatlichen Gesetz entwickelte, zeigt ein Foschungsbericht. Wie heute bei der Diskussion um flexible Arbeitszeiten waren offenbar schon damals Theorie und Praxis oft unvereinbar.

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat vor Kurzem im Zuge ihres Projekts "Arbeiten 4.0" eine Experimentierphase für flexible Arbeitszeiten angekündigt. So soll Arbeitgebern unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit gegeben werden, flexiblere Alternativen zu den Vorgaben des Arbeitszeitgesetztes zu vereinbaren – etwa bezüglich der Beschränkung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf maximal zehn Stunden pro Tag oder der Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitseinsätzen. 

Was von Arbeitgebern mehrheitlich begrüßt wird, bereitet Arbeitnehmervertretern hingegen Sorgen: Sie fürchten, dass durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben immer weiter verschwimmen und die Arbeitnehmer womöglich nicht mehr genügend Zeit finden, sich zwischen zwei Arbeitseinsätzen oder am Wochenende auszuruhen, um fit in den nächsten Arbeitstag starten zu können.

Arbeitsfreier Sonntag: vom religiösen Gebot zum staatlichen Gesetz

Diese Debatte ist nicht neu. Wer jetzt aber an die Arbeitskämpfe der 1920er Jahre denkt, bei denen Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen und den Acht-Stunden-Tag forderten, oder an die Kampagne zur Einführung der Fünf-Tage-Woche, mit der die Gewerkschaften in den 1950er und -60er Jahren mit dem Slogan "Samstags gehört Vati mir" für mehr Familienfreundlichkeit warben, denkt nicht lang genug zurück: Denn bereits in der Antike sorgte die Praxis des arbeitsfreien Sabbats für Diskussionen unter den Gelehrten. Das zeigt ein Forschungsbericht der Universität Münster, der in Kürze veröffentlicht werden soll.

Dafür hat der evangelische Theologe und Bibelforscher Professor Reinhard Achenbach biblische und außerbiblische Texte aus alttestamentlicher Zeit untersucht. Er zeigt darin, wie aus dem jüdischen Sabbat – dem arbeitsfreien Samstag – der christliche Sonntag und aus dem religiösen Sabbat-Gebot über die Jahrhunderte ein staatliches Gesetz wurde.

Praxis und Rechtslage unterschieden sich schon damals

Der Bericht zeigt, dass sich bereits die Menschen in der Antike mit ähnlichen Problemen herumschlagen mussten wie heutzutage. "Der arbeitsfreie Sabbat war zwar im Alten Israel als wöchentlicher Fest- und Ruhetag ein verbreitetes Ideal, aber die Praxis und Rechtslage wichen mitunter davon ab", sagt der Münsteraner Forscher. Schon in der frühen Phase des wöchentlichen Sabbats hätten selbst in der Gruppe der Juden keine einheitlichen Haltungen und Praktiken geherrscht. "Das war in der damals religiös vielfältigen Gesellschaft nicht anders als in unserer heutigen", so der Bibelforscher.

Prof. Dr. Reinhard Achenbach, Uni Münster


Die Priester am Jerusalemer Tempel forderten demnach ab dem Fünften Jahrhundert vor Christus, dass alle Israeliten den siebten Tag strikt als Tag Gottes begehen sollten, so wie es die Christen später für den Sonntag übernahmen. "Doch die Praxis sah anders aus, und zum staatlichen Gesetz wurde das religiöse Gebot lange Zeit nicht", sagt Achenbach.

Heute Arbeitszeitgesetz – früher kaum detaillierte Sabbat-Regeln

Der älteste Beleg für die Regel, am siebten Tag zu ruhen, zeige, dass die arbeitsfreie Zeit – ähnlich wie heute – dafür gedacht war, die Arbeitskraft von Menschen, aber auch von Tieren, zu schonen. Das Sabbat-Gebot wurde den Untersuchungen zufolge so auch für Nicht-Israeliten attraktiv, weil es auch ihnen Raum für Ruhe und Erholung bot und sich so positiv auf das Zusammenleben und die Umwelt auswirkte.
Im Gegensatz zu heute, da die Vorschriften für das Einhalten von Ruhezeiten im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben sind, gab es damals jedoch kaum detaillierte Regeln für den Sabbat. Im Vergleich zu denen, die heute das Arbeitszeitgesetz verletzten, hatten zwar jene, die damals den Sabbat nicht einhielten, theoretisch mit deutlich drakonischeren Strafen zu rechnen: Gelehrte im Vierten Jahrhundert vor Christus hätten etwa festgelegt, dass das Holzsammeln am Sabbat mit dem Tod bestraft werden solle. Doch die Androhung von strikten Sanktionen bei Nichteinhaltung des Gebots sei eine Ausnahme geblieben, erläutert Achenbach.

Israeliten mussten Feldarbeit leisten und konnten kaum Feste feiern

Neben dem Ruhetag feierten die Juden zunächst ein monatliches Sabbatfest, den sogenannten "Vollmond-Sabbat". Zum wöchentlichen religiösen Fest- und Ruhetag, aus dem später der christliche Sonntag hervorging, wurde der Sabbat in der Epoche des Babylonischen Exils im Sechsten Jahrhundert vor Christus. "Die Israeliten mussten in dieser Exilzeit Feldarbeit leisten und hatten kaum Gelegenheit, den Vollmond-Sabbat und andere religiöse Fest zu begehen", so Achenbach.

So machten sie das Ausruhen am siebten Tag zu ihrem festen Brauch und werteten ihn religiös auf. "Das geschah, indem Gelehrte die religiöse Autorität des monatlichen Sabbats als Tag Gottes ausweiteten und im fünften Buch Mose innerhalb der Zehn Gebote den siebten Tag zum gottgeweihten Tag des Volkes Jahwes erklärten", sagt der Professor. In der Folge sei das Sabbatgebot dann ein heiliges Gesetz geworden.
Achenbachs Aufsatz soll in der "Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte" erscheinen. Als Preprint ist er schon jetzt unter www.uni-muenster.de zu lesen.