Neues Audit für interkulturelle Offenheit in Unternehmen
Haufe Online-Redaktion: Wie kam es zu der Idee, eine Auditierung für interkulturelle Offenheit, kurz Aiko, in Unternehmen zu entwickeln?
Prof. Dr. Christopher Stehr: Die Idee entstand bereits 2010 im Rahmen einer Forschungsarbeit zur Wirkung von interkulturellen Mitarbeiter-Schulungen. Die damalige Institution wollte von unserem Forscherteam wissen, wie gut die Wirkung der durchgeführten interkulturellen Schulungen für die verschiedenen Mitarbeiter war. Dabei haben wir festgestellt, dass wir unbedingt auch die interkulturelle Offenheit der Institution messen müssen, um verwertbare Aussagen treffen zu können. Der Mitarbeiter kann noch so interkulturell kompetent sein. Wenn die Institution oder das Management als Ganzes gegenüber Neuartigem oder Fremden Vorbehalte haben, nützt diese individuelle Kompetenz gar nichts. Außerdem schafft kulturelle Offenheit einen echten unternehmerischen Mehrwert - egal ob im Rahmen unternehmerischer Internationalisierungsprozesse oder bei der Rekrutierung und Bindung von ausländischen Fach- und Führungskräften.
Haufe Online-Redaktion: Wie läuft die Auditierung ab?
Stehr: Wir folgen dabei der klassischen Idee eines Audits: Wir prüfen zunächst schriftliche und digitale Unterlagen des Unternehmens unter den Aspekten der interkulturellen Offenheit. Dann besucht ein Expertenteam mit mehrfach kulturellem Hintergrund die Firma einen Tag lang. Wir gleichen sozusagen den schriftlichen Anspruch des Unternehmens mit der Wirklichkeit ab. Anschließend erstellen wir ein Gutachten auf Basis von Indikatoren, mit denen wir interkulturelle Offenheit messen und belegen können. Damit treten wir in einen Dialog mit der Geschäftsleitung und erteilen bei positiver Evaluation das Aiko-Zertifikat.
Haufe Online-Redaktion: Welche Betriebsstrukturen und Prozesse lassen auf kulturelle Offenheit schließen?
Stehr: Da fällt mir zu allererst das gesamte Personalwesen ein, als eine der zentralen Kategorien. Wie läuft zum Beispiel der Bewerbungsprozess ab? Gibt es grundsätzlich Bewerbungen ohne Foto? Wie werden Bewerbungen in ausländischen Sprachen verwendet – gelesen oder wandern sie gleich in den Papierkorb? Wie werden Bewerber behandelt, die bei einem potentiellen Bewerbungsgespräch noch nicht über Deutschkenntnisse verfügen? Gibt es dann das Angebot eines Dolmetschers? Was passiert mit einem potentiellen ausländischen Bewerber, der an der Telefonzentrale rauskommt? Bleibt der in der Warteschleife hängen? Einfache Dinge eigentlich, aber umgesetzt in die jeweiligen Prozesse benötigen sie ein interkulturelles Bewusstsein und die Einsicht in die Notwendigkeit sich an die jeweiligen Kulturen anzupassen beziehungsweise die jeweiligen kulturellen Bedürfnisse und Werte ernst zu nehmen.
Haufe Online-Redaktion: Welches sind wichtige Kennzahlen für die kulturelle Offenheit?
Stehr: Konkrete Indikatoren sind zum Beispiel interkulturelle Werte innerhalb der Vision oder des Leitbildes. Sind die tatsächlich beschrieben und werden sie auch tatsächlich gelebt? Oder noch konkreter, gibt es einen Mitarbeiter, der sich um die interkulturellen Konflikte kümmert? Oder gibt es einen Lotsen, der neue ausländische Mitarbeiter sozusagen an die Hand nimmt? Wir haben insgesamt über 100 Indikatoren mit denen wir interkulturelle Offenheit messen können.
Haufe Online-Redaktion: Wie viele Unternehmen haben Sie schon auditiert und zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?
Stehr: Wir haben insgesamt bisher drei Institutionen auditiert und haben die nächste Begegnung eines Weltmarktführers bereits diesen Sommer geplant. Die Ergebnisse lassen sich nicht verallgemeinern. Das hängt stark von der jeweiligen Branche und dem jeweiligen Unternehmen ab. Vielleicht so viel: Institutionen, die wie eine Monstranz ihre interkulturelle Offenheit vor sich hergetragen haben, waren überraschend kulturell verschlossen. Dagegen waren wir von manchen Unternehmen überrascht, wie stark sie sich diesem Thema bereits widmen. Da gibt es dann einen bikulturellen Lotsen, der kontinuierlich zur Verfügung steht, oder bei einem Unternehmen wurden die jeweiligen Schichten in der Produktion religiösen Gegebenheiten wie zum Beispiel in der Fastenzeit angepasst.
Christopher Stehr ist Professor für Internationales Management an der German Graduate School of Management and Law (GGS) in Heilbronn.
Das Interview führte Kristina Enderle da Silva, Redaktion Personal.
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