Haufe Online-Redaktion: Was gilt bei einer Mitarbeiterentsendung nach China bezüglich der Sozialversicherungspflicht? Ist der Verbleib im deutschen Sozialversicherungssystem für die Dauer des Aufenthalts möglich?
Julia Tänzler-Motzek: Für die Frage nach dem Verbleib im deutschen Sozialversicherungssystem ist zunächst nach den Sozialversicherungszweigen zu differenzieren. Lediglich für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung besteht ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen, nach dessen Voraussetzungen zum einen der Verbleib in der deutschen Sozialversicherung, gleichzeitig aber auch die Ausnahme aus der chinesischen Sozialversicherungspflicht möglich ist.
Haufe-Online Redaktion: Für die übrigen Sozialversicherungszweige wie Krankenversicherung gilt dies also nicht?
Tänzler-Motzek: Für die übrigen Sozialversicherungszweige ist lediglich unter den engen Voraussetzungen des deutschen Sozialgesetzbuches der -dann zwingende- Verbleib in der deutschen Sozialversicherung vorgesehen. Eine Ausnahme aus der Sozialversicherungspflicht in China kann ein nationales deutsches Gesetz hingegen nicht regeln.
Haufe Online-Redaktion: Es gilt also der Grundsatz, dass Arbeitnehmer während der Zeitdauer ihrer Tätigkeit in China vor Ort sozialversicherungspflichtig sind?
Tänzler-Motzek: Im Grundsatz gilt das Territorialitätsprinzip. Das bedeutet, dass Mitarbeiter generell dort versicherungspflichtig sind, wo sie tatsächlich arbeiten. Mitarbeiter, die in China beschäftigt sind, sind demnach grundsätzlich allein in China sozialversicherungspflichtig. Das Abkommen sieht aber zwei Ausnahmen von diesem Prinzip vor.
Haufe-Online Redaktion: Das bedeutet, dass zumindest für die Arbeitslosen-und Rentenversicherung Ausnahmen möglich sind? Um welche handelt es sich?
Tänzler-Motzek: Die erste Ausnahme ist die Entsendung. In den ersten vier Jahren einer Entsendung verbleibt der aus Deutschland entsandte Arbeitnehmer allein im deutschen Sozialversicherungssystem. Über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Entsendung im Sinne des Abkommens entscheidet die zuständige Beitragsstelle. Das ist in der Regel die Krankenkasse. Dabei prüft sie insbesondere, ob der Einsatz im Voraus begrenzt ist und das Gehalt in Deutschland gezahlt, getragen und zu Recht als Betriebsausgabe geltend gemacht wird. Für die übrigen Sozialversicherungen ist im Fall der Entsendung ein Verbleib unter Umständen auf Basis des deutschen Sozialgesetzbuchs möglich.
Haufe-Online Redaktion: Welche weitere Möglichkeit des Verbleibs in der deutschen Sozialversicherung gibt es?
Tänzler-Motzek: Die zweite Ausnahme, die das Sozialversicherungsabkommen bereithält, ist der Abschluss einer sogenannten Ausnahmevereinbarung. Wenn der Arbeitnehmer, insbesondere aufgrund seiner Absicht zur Rückkehr nach Deutschland und seiner Vorversicherungszeiten, ein Interesse an der Weiterversicherung in der deutschen Arbeitslosen- und Rentenversicherung darlegen kann, kann er zusammen mit seinem Arbeitgeber bei der Deutschen Verbindungsstelle Krankenkassen Ausland (DVKA), die beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen angesiedelt ist, den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung beantragen. Unterstützt die DVKA den Antrag, tritt sie mit der zuständigen chinesischen Stelle in Kontakt. Dies ist in China das Arbeits- und Sozialministerium. Beide Stellen können dann im Rahmen ihres Ermessens die Ausnahmevereinbarung schließen.
Haufe-Online Redaktion: Kann man sagen, wo der häufigste Anwendungsbereich für solche Ausnahmegenehmigungen in der Praxis liegt?
Tänzler-Motzek: Der Anwendungsbereich für entsprechende Ausnahmevereinbarungen umfasst zum einen Entsendungen, die den im Abkommen genannten Zeitraum von vier Jahren überschreiten. In diesem Fall kommt für die übrigen Sozialversicherungen ein weiterer Verbleib unter den Voraussetzungen des deutschen Sozialgesetzbuchs in Betracht. Zum anderen kann eine Ausnahmevereinbarung jedoch auch von Anfang an dann geschlossen werden, wenn die Voraussetzungen einer Entsendung gerade nicht vorliegen, beispielsweise weil ein lokaler Vertrag geschlossen wurde oder der deutsche Arbeitgeber das Gehalt nach China weiterbelastet. Da in diesem Fall die Voraussetzungen der Entsendung nicht erfüllt sind, besteht in den übrigen Sozialversicherungszweigen in Deutschland keine Pflichtversicherung mehr. Das bedeutet in der Praxis, dass insbesondere in der Kranken- und Pflegeversicherung gern passende private Lösungen gesucht werden, die –anders als die chinesische gesetzliche Krankenversicherung- beispielsweise auch den Besuch eines internationalen Krankenhauses ermöglichen. Die Berufsgenossenschaften bieten teilweise eine freiwillige Weiterversicherung in der Unfallversicherung an.
Haufe-Online Redaktion: Insbesondere in Fällen, bei denen es sich nicht um eine klassische Entsendung handelt müssen sich Arbeitnehmer also bis auf wenige Ausnahmen voll in China versichern?
Tänzler-Motzek: Grundsätzlich besteht für alle Arbeitnehmer in China vor Ort Sozialversicherungspflicht, soweit keine Befreiung beantragt werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass eine solche Befreiung ohnehin maximal in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung möglich ist. In der chinesischen Krankenversicherung, der Mutterschutzversicherung und der Unfallversicherung besteht also in jedem Fall Versicherungspflicht. Insoweit gibt es jedoch derzeit noch lokale Besonderheiten. So werden in der Stadt Shanghai Ausländer entgegen der klaren Maßgabe des chinesischen Sozialversicherungsgesetzes nicht zur Sozialversicherung herangezogen.
Julia Tänzler-Motzek ist Rechtsanwältin mit Tätigkeitsbereichen im Arbeits- und Gesellschaftsrecht bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln.
Das Interview führte Meike Jenrich.