Personalmagazin: Seit wann beschäftigt sich Continental mit dem Thema Mobilarbeit?
Ariane Reinhart: Als ich Ende 2014 in den Konzern kam, haben wir gemeinsam mit den Sozialpartnern erkundet: Wie wollen unsere Mitarbeitenden eigentlich am liebsten arbeiten? Was sind ihre Wünsche? Was brauchen sie, um gut zu arbeiten? Da wurde sehr schnell klar, dass gerade für jüngere Generationen die Work-Life-Balance ein wichtiges Thema ist. Deshalb haben wir bereits 2016 eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Thema "Future Work" getroffen. Sie spannte einen Rahmen für Modelle wie Sabbaticals, Teilzeitarbeit und mobiles Arbeiten. Damit waren wir zumindest unter den DAX-Unternehmen Pioniere.
Den wirtschaftlichen Zweck von selbstbestimmtem Arbeiten erkennen
Personalmagazin: Wie übersetzen sich Unternehmenswerte in einen konkreten Arbeitsrahmen?
Reinhart: Wir sind ein sehr wertegetriebenes Unternehmen mit den vier Werten Vertrauen, Freiheit, Verbundenheit und Gewinnermentalität. Und diese Werte sind unsere Basis, wenn es um Selbstbestimmung geht. Wir wünschen uns selbstbestimmte Mitarbeitende, denn Selbstbestimmung führt zu höherer Arbeitszufriedenheit und damit zu geringerer Fluktuation, besserer Qualität, weniger Krankheitstagen und steigender Produktivität. Selbstbestimmtes Arbeiten hat also durchaus einen wirtschaftlichen Zweck. Mit der Konzernbetriebsvereinbarung haben wir deutlich mehr selbstbestimmtes Arbeiten ermöglicht.
Wir wünschen uns selbstbestimmte Mitarbeitende, denn Selbstbestimmung führt zu höherer Arbeitszufriedenheit und damit zu geringerer Fluktuation, besserer Qualität, weniger Krankheitstagen und steigender Produktivität. - Ariane Reinhart
Personalmagazin: Der Rahmen war also bei Continental früh gesetzt. Wie veränderte er sich mit der Pandemie?
Reinhart: Während wir alle im Lockdown waren, hat unsere IT innerhalb einer Woche unsere Infrastruktur so ausgebaut, dass über 100.000 Beschäftigte weltweit gleichzeitig von zu Hause aus auf unser Netzwerk zugreifen konnten. Damit hatten fast alle White-Collar-Mitarbeitenden die Möglichkeit, remote zu arbeiten, und das funktionierte viel besser, als wir uns gedacht hatten. Das zeigt auch unsere jährliche interne Umfrage: Hier hatten wir in der Vergangenheit mit rund 80 Prozent der Beschäftigten eine ohnehin sehr hohe Verbundenheit zu unseren Unternehmenswerten. Während der Pandemie sind diese Werte noch einmal gestiegen. Die Produktivität ist während Lockdown und Homeoffice-Pflicht in den meisten Bereichen durch die gute virtuelle Zusammenarbeit stabil geblieben und teilweise sogar gesteigert worden.
Personalmagazin: Aus Studien wissen wir, welche Firmen am besten durch die Krise gekommen sind: Zumeist sind es jene, die über etablierte digitale Prozesse, flexible Arbeitsprozesse und schnell verfügbares Know-how verfügen. War dieser Dreiklang bei Continental bereits stark ausgeprägt?
Reinhart: Absolut. "Den Mutigen gehört die Zukunft", heißt es ja, und diesen Mut hatten und haben wir definitiv. Wir waren bereits 2016 mutig und hatten im Vorstand ergründet, wie Selbstbestimmung und mehr Selbstorganisation auch in der Produktion funktionieren können. Dafür haben wir zunächst einmal über 200 Beispiele gesammelt, die es weltweit bei Continental gab. Jetzt, in der Pandemie, haben wir dann noch einmal die Konzernbetriebsvereinbarung von 2016 erweitert und beispielsweise die Möglichkeit eröffnet, jeweils bis zu 20 Arbeitstage pro Jahr von zwei europäischen Ländern aus arbeiten zu können, also insgesamt 40 Tage. Diese Option wird auch intensiv nachgefragt.
Raum geben, um gemeinsam Möglichkeiten zu entdecken
Personalmagazin: Inwiefern wurde dies mit den Sozialpartnern ausgehandelt? Wie fein wurden die Regelungen durchdekliniert?
Reinhart: Wer meint, alle Eventualitäten ausformulieren zu müssen, begrenzt viel zu sehr. Wer hingegen Freiheit lässt, gibt Raum, gemeinsam die Möglichkeiten zu entdecken und zu gestalten. Wir wollen nichts übersteuern. Manche Antworten entstehen erst im Gehen. Wenn wir warten, bis wir die haben, bewegen wir uns kein Stück vorwärts.
Manche Antworten entstehen erst im Gehen. Wenn wir warten, bis wir die haben, bewegen wir uns kein Stück vorwärts. - Ariane Reinhart
Personalmagazin: Wie haben die Führungskräfte bei Continental auf die neuen Arbeitsmodelle reagiert?
Reinhart: Insgesamt war da eine große Offenheit. Als Führungskraft muss man gerade jetzt in unserer Remote-Welt vor allem empowern und loslassen können. Gemeinsam das Ziel bestimmen und dann darauf vertrauen, dass das Team selbst die Mittel und Wege finden wird. Sich bewusst machen, dass man nicht alles per Mikromanagement kontrollieren kann und es auch gar nicht versuchen sollte. Das ist remote natürlich noch einmal viel, viel schwieriger als in einer Präsenzkultur.
Flexible Arbeitsmodelle schaffen - auch in der Produktion
Personalmagazin: Bei Continental gibt es große Produktionsbereiche und damit fast automatisch Spannungen zwischen den White-Collar-Mitarbeitenden und jenen, die nicht mobil arbeiten können, weil sie am Band oder in der Werkhalle stehen. Wie managt Continental diese Spannung zwischen diesen verschiedenen Arbeitswelten?
Reinhart: Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir bei Continental keine Zweiklassengesellschaft haben möchten. Bereits lange vor 2020 haben wir weltweit geschaut, was es bei Continental an Beispielen für flexible Arbeitsmodelle in der Produktion gibt. Das ist wirklich toll, weil man dabei lernt, was für eine heterogene, bunte Organisation wir bei Continental sind. In Frankreich beispielsweise hatten wir ein Modell, mit dem die Beschäftigten – es waren insbesondere Frauen in der Produktion – Arbeitszeit ansparen und sechs bis acht Wochen Ferien machen können, weil die Ferien ihrer Schulkinder so lange dauern. Außerdem haben wir Jobsharing- und Teilzeitmodelle in der Produktion eingeführt und auch auf diese Weise für mehr Flexibilität gesorgt.
Personalmagazin: Wie sieht Ihre Perspektive für die nächsten fünf Jahre aus? Welche Elemente werden die Zusammenarbeit bei Continental prägen?
Reinhart: Das Thema Zusammengehörigkeit wird ein wichtiges bleiben. Und Zusammengehörigkeit entsteht vor allem durch persönliche Momente und Begegnungen. Deshalb arbeiten wir gerade an Konzepten, wie wir solche Erlebbarkeiten auch in einer hybriden Arbeitswelt noch stärken können. Wir wollen bei Continental eine Mischung unterschiedlichster Modelle anbieten, die allen ermöglichen, ihre individuellen Wünsche zu leben.
Das könnte Sie auch interessieren:
Mobile Arbeit: Nach Hause gegangen, um zu bleiben (Personalmagazin digital)