Industrie 4.0: Wer hat die Nase vorn?
Standards gelten als Grundvoraussetzung für die sogenannte Industrie 4.0. Darunter versteht man in Deutschland die Digitalisierung der industriellen Fertigung. Indem Produktionsteile mit Sensoren und Chips ausgestattet werden, können sie Informationen an Maschinen oder Zulieferer schicken. Auf diese Weise soll die Produktivität gesteigert werden. Die Standards sind gewissermaßen die Sprache, mit der Chips und Maschinen kommunizieren.
Deutschland und USA einigen sich auf Zusammenarbeit bei Standards
Bislang hatten das Industrial Internet Consortium (IIC) in den USA und die Plattform Industrie 4.0 in Deutschland unterschiedliche Standards verfolgt. Im März einigten sich beide auf eine Zusammenarbeit. Die sogenannten Referenzarchitekturen, die Mindestanforderungen an Software und Maschinen beschreiben, sind inzwischen kompatibel. "Das ist ein echter Fortschritt gegenüber dem Zustand vor einem Jahr", sagte Bosch-Geschäftsführer Werner Struth, der sich im Vorfeld der Hannover Messe explizit für eine Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA bei Standards für digitale Prozesse in der Industrie ausgesprochen hat. "Man erreicht die technologische Tiefe und Breite in den Geschäftsmodellen. Darin liegt die Kraft."
Das perfekte Industrie-4.0-Unternehmen gibt es noch nicht
Während die US-Initiative stärker auf praktische Anwendungsbeispiele setzt, zielt der deutsche Ansatz eher auf Produktion und technologische Tiefe. Bosch arbeitet - genau wie Siemens - bei beiden Initiativen mit und hat in einem Projekt in einer Fabrik in Bad Homburg die Vorgaben von IIC und Plattform Industrie 4.0 bereits kombiniert.
Das Rennen um die Vorherrschaft bei dem Thema sieht Struth noch nicht entschieden. In den USA gebe es zwar Vorreiter bei dem Thema wie GE oder Cisco, auch den indischen IT-Dienstleister Tech Mahindra nannte Struth. "Das perfekte Industrie 4.0-Unternehmen sehe ich aber noch nicht."
Nachholbedarf bei Datensicherheit und in der Ausbildung
In Deutschland sieht der Bosch-Geschäftsführer an anderen Stellen Nachholbedarf. "Wir brauchen in Deutschland ganz andere Bandbreiten", sagte Struth. "Da haben viele Länder in Asien die Nase vorn, auch die USA sind in Ballungszentren sehr gut vernetzt." Beim Thema Datensicherheit für den Austausch von Produktionsdaten zwischen Unternehmen sehe er ebenfalls noch Nachholbedarf. Darüber hinaus müsse Industrie 4.0 in der Ausbildung stärkeren Niederschlag finden.
Macht Deutschland das Rennen?
Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group sieht Deutschand im Rennen um die Vorreiterschaft bei Industrie 4.0 – noch – vorne. Immerhin rund 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland hätten der Studie „The Industry 4.0 Race“ schon erste Maßnahmen oder vollständige Industrie-4.0-Konzepte umgesetzt. Zugrunde liegt eine Umfrage unter mehr als 600 Entscheidern aus der Industrie in beiden Ländern. Auch bei der Planung zukünftiger Maßnahmen liegt Deutschland der Studie zufolge vorn. Fast die Hälfte aller Unternehmen hierzulande hat bereits erste Industrie-4.0-Strategien entwickelt. Mehr als 80 Prozent aller Befragten gehen davon aus, gut auf die Einführung von Industrie-4.0-Technologien vorbereitet zu sein. In den USA glauben dies weniger als 60 Prozent der befragten Unternehmen von sich, wie die Studie zeigt.
Höherer Automatisierungsgrad bei deutschen Unternehmen
"Dass Deutschland im Vergleich so gut dasteht, überrascht auf den ersten Blick. Beim genaueren Hinschauen werden die Startvorteile deutscher Unternehmen klar: Sie verfügen über einen deutlich höheren Automatisierungsgrad und können dadurch digitale Technologien schneller einführen als US-Unternehmen", erklärt Markus Lorenz, Partner der Boston Consulting Group und Experte für Industrie 4.0.
Fachkräftemangel bleibt größte Herausforderung: Qualifizierung oder Neueinstellung?
In beiden Ländern bleibt für mehr als ein Drittel aller Unternehmen der Mangel an spezialisierten Fachkräften die größte Herausforderung – noch vor Datensicherheit und hohem Investitionsbedarf. Gefragt sind vor allem Kompetenzen im Bereich Datenmanagement und ‑analyse sowie im Aufbau von Sicherheitsarchitekturen.
Um ihre Mitarbeiter fit für neue digitale Werkzeuge und vernetzte Prozesse zu machen, setzen deutsche Unternehmen vor allem auf externe Weiterbildung und Schulungen (64 Prozent). Über die Hälfte der US-Unternehmen legen dagegen den Fokus auf Umschulung oder Neueinstellungen, um digitale Talente zu gewinnen.
Flexible Karrieren und Quereinsteiger verhindern "Flaschenhals"
"Die deutschen Unternehmen konzentrieren sich stark auf passende Ausbildungen und Abschlüsse. Dieser künstlich geschaffene Flaschenhals macht die Suche nach Fachkräften schwerfällig. In den USA verlaufen Karrieren oft flexibler; Quereinsteiger sind die Regel", kommentiert Markus Lorenz die Unterschiede.
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