"Bei Gehaltstransparenz sinkt die Mitarbeiterzufriedenheit"
Haufe Online-Redaktion: Wer als Personaler schon einmal einem Mitarbeiter erklären musste, warum dieser weniger verdient als ein Kollege in einem vergleichbaren Job, weiß, dass solche Gehaltsvergleiche für viel Unmut sorgen können. Stützen Erkenntnisse aus der Forschung diese Erfahrung?
Dirk Sliwka: Aus den bisher zum Thema „Gehaltstransparenz“ durchgeführten Studien kann man tatsächlich die robuste Erkenntnis ziehen: Bei Gehaltstransparenz sinkt die Zufriedenheit derer, die herausfinden, dass sie unterdurchschnittlich bezahlt werden. Gleichzeitig steigt die Zufriedenheit derer, die überdurchschnittlich bezahlt werden, nur wenig, manchmal gar nicht. Die Zufriedenheit sinkt also im Mittel.
Haufe Online-Redaktion: Wie weit ist Gehaltstransparenz denn schon erforscht?
Sliwka: Es gibt einzelne Studien zu dem Thema – etwa eine experimentelle von der University of California, bei der Mitarbeiter der Universität auf einer Website einsehen konnten, wie hoch die Gehälter in ihrer Gehaltsgruppe sind. Anschließend wurde die Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihre Bereitschaft zu bleiben untersucht. An der Universität zu Köln haben wir in einem Dax-Unternehmen erforscht, wie Manager darauf reagieren, wenn sie wissen, wie hoch der Prozentsatz ihres Bonus im Vergleich zu den Boni der anderen ist. Und in Norwegen, wo eine Zeit lang eine Website online war, auf der jeder die Gehälter aller Norweger nachschauen konnte, wurde untersucht, wie die Transparenz sich auf die Fluktuationsrate auswirkt.
Haufe Online-Redaktion: Was kam bei diesen Untersuchungen heraus?
Sliwka: Die norwegische Studie hat gezeigt, dass sich die Transparenz tatsächlich unmittelbar auf die Fluktuation auswirkt: Mitarbeiter, die auf der öffentlichen Website herausgefunden hatten, dass sie unterdurchschnittlich verdienen, haben häufiger ihr Unternehmen verlassen, um besser bezahlte Jobs anzunehmen. Und in unserer Studie zum Bonussystem im Dax-Unternehmen finden wir, dass Mitarbeiter, die erfahren, dass sie weniger als 100 Prozent Bonus bekommen, signifikant unzufriedener sind, während die, die mehr als 100 Prozent bekommen, kaum zufriedener werden. Und es deutet sich an, dass kleine Unterschiede auch hier spürbar Performance kosten können. Das heißt nicht, dass man bei Bonuszahlungen nicht differenzieren sollte. Aber die Ergebnisse zeigen, dass zu feine Differenzierungen meist nicht gut funktioniert: Mitarbeiter, die 98 Prozent Bonus bekommen, sind unzufriedener – und ihre Leistung leidet darunter.
Haufe Online-Redaktion: Wer weniger verdient als sein Kollege, fühlt sich oft unfair behandelt. Woher rührt der Neid auf andere?
Sliwka: Menschen tendieren dazu, sich zu vergleichen, und das Gehalt eines Kollegen oder Nachbarn ist ein wichtiger Referenzpunkt. Und zudem neigen viele dazu, überkonfident zu sein: Sie schätzen ihre Leistung oft besser ein, als sie tatsächlich ist. Männer sind dafür anfälliger als Frauen. Also fühlen sie sich beim Gehaltsvergleich schnell benachteiligt. Das liegt in der menschlichen Natur.
Wer erfährt, dass sein Gehalt schlechter ist als das seines Kollegen, ist unzufrieden.
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Haufe Online-Redaktion: Heißt das, Gehaltstransparenz funktioniert nicht, weil der Mensch ist, wie er ist? Oder gibt es bestimmte Voraussetzungen, unter denen die Mitarbeiter transparente, aber ungleiche Gehälter nicht als unfair empfinden?
Sliwka: Ein robustes Ergebnis, also eines, das man über alle Organisationen hinweg verallgemeinern kann, ist tatsächlich: Wer lernt, dass sein Gehalt schlechter ist als das seines Kollegen, ist unzufrieden. Dazu gibt es viele wissenschaftliche Befunde. Und wenn Unternehmen Gehaltstransparenz schaffen, ohne Leistungen transparent und vergleichbar zu machen, entsteht eine hohe Quelle von Unzufriedenheit. Wenn sie aber Unterschiede mit objektiven Kennzahlen belegen können, ist Transparenz nicht so schädlich. Leichter haben es hier natürlich Unternehmen, in denen Leistung gut messbar ist. Weniger problematisch ist Transparenz auch in Unternehmen, die enge Gehaltsbänder haben und das Gehalt an die Stelle koppeln. Das zeigt ein Fall aus den USA: Der Bio-Supermarkt "Whole Foods" hat Gehaltstransparenz hergestellt, die einhergeht mit einer Policy, die objektive Leistungen sehr transparent macht. Die Mitarbeiter wissen dort genau, welcher Markt welche Leistung bringt.
Wenn Sie Unterschiede mit objektiven Kennzahlen belegen können, ist Transparenz nicht schädlich.
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Haufe Online-Redaktion: Welche To-dos lassen sich aus den Erkenntnissen für Unternehmen mit Gehaltstransparenz ableiten?
Sliwka: Es gibt zwei Wege: Der erste Weg ist, neben dem Gehalt auch die Leistung transparent zu machen und Instrumente zu schaffen, die die Transparenz fördern. Die Personaler müssen in der Lage sein, Unterschiede beim Gehalt begründen zu können. Ob dies funktioniert oder nicht, hängt auch stark von der Persönlichkeit der zuständigen Führungskraft ab: Wenn diese Gehaltsunterschiede gut erklären kann, steht das Unternehmen besser da als mit einer Führungskraft, die dem Thema eher aus dem Weg geht. Generell haben es hier Unternehmen mit starker Feedbackkultur leichter. Der andere Weg ist, mittels enger Gehaltsbänder möglichst Gehaltsgleichheit für bestimmte Jobs zu schaffen.
Haufe Online-Redaktion: Ist Gehaltsgleichheit aus Ihrer Sicht eine gute Idee?
Sliwka: Wir wissen, dass Gehaltsgleichheit die mittlere Zufriedenheit steigert. Arbeitgeber müssen aber überlegen, wie sie Leistungsträger belohnen und binden können. Bei gleichen Gehältern gelingt das nur über Karrierepfade, etwa per Beförderung. Doch ohne passende Position gibt es auch keine Beförderung. Eine andere Möglichkeit ist, die High Performer durch Jobtitel oder eine Expertenkarriere zu motivieren – oder mit Spot Boni zu belohnen, also mit Einmalzahlung für besonders gute Leistungen. Aber dann stellt sich wieder die Frage: Will man diese Bonuszahlungen transparent machen und dem Mitarbeiter, der keinen Bonus bekommt, erklären, warum?
Haufe Online-Redaktion: In Skandinavien ist Gehaltstransparenz auch außerhalb der Unternehmen schon Realität: In Schweden etwa kann jeder das Gehalt von jedem einsehen. Trotzdem ist nicht bekannt, dass es aus Neid zu Mord und Totschlag kommt. Warum klappt es dort?
Sliwka: Letztlich ist dies auch eine Frage der Kultur. Eine Gesellschaft gewöhnt sich an hohe Transparenz, wenn sie damit lebt. Dann stellen die Arbeitnehmer nämlich fest, dass der Vergleich mit anderen Organisationen und dem Markt für sie auch Vorteile hat: Sie können sehen, ob sie außerhalb ihres Unternehmens bessere Chancen haben. Sind Gehälter auch unternehmensübergreifend transparent, wird dem Gehaltsvergleich auch etwas von seinem Neid-Faktor genommen. Denn emotional ist der Vergleich immer dann, wenn er im direkten Umfeld im eigenen Unternehmen stattfindet.
Haufe Online-Redaktion: Auch beim Thema "Gleichberechtigung" sind Skandinavier schon weiter als Deutsche – auch, weil die Gehaltstransparenz die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließt?
Sliwka: In Skandinavien gibt es tatsächlich beides: transparente Gehälter und eine geringe Lohnlücke. Dies scheint intuitiv zusammenzuhängen, aber ich kenne keine Studie, in der untersucht wurde, ob es einen kausalen Zusammenhang gibt. In Norwegen konnte ja jeder online das Gehalt von Nachbarn und Kollegen einsehen. Diese Website hat für einige Unruhe gesorgt. Aber ob sie auch zum geringen Gender Pay Gap in Norwegen beigetragen hat, ist bisher unklar.
Transparente Gehälter und eine geringe Lohnlücke - dies scheint intuitiv zusammenzuhängen.
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Haufe Online-Redaktion: In Deutschland ist das Entgeltgleichheitsgesetz gerade deshalb geplant, um den Gender Pay Gap zu schließen. Was halten Sie davon?
Sliwka: Als Wissenschaftler plädiere ich für evidenzbasierte Wirtschaftspolitik. Wir brauchen mehr Forschung zu Gehaltstransparenz, bevor wir ein Politikinstrument schaffen. Denn allzu viele Studien gibt es dazu bislang nicht. Es müsste geklärt werden, ob Gehaltstransparenz tatsächlich den Pay Gap reduzieren kann. Mein Petitum an die Politik ist: Wir sollten zuerst in einer Teilgruppe ausprobieren, ob die Vor- oder Nachteile überwiegen. Ich denke dabei an ein Pilotprojekt, etwa in einem Bundesland, mit einem jährlichen Survey, der die Arbeitszufriedenheit in den Pilotunternehmen mit der Zufriedenheit in vergleichbaren Unternehmen ohne Transparenz vergleicht. Danach weiß man sicher, was Gehaltstransparenz bewirkt. Bei der Zufriedenheit können wir mit den bisherigen Forschungsergebnissen schon gute Aussagen treffen. Jetzt gilt es, diese gegen andere Faktoren abzuwägen.
Das Interview führte Andrea Sattler, Redaktion Personal.
Dirk Sliwka ist ist Professor an der Universität zu Köln und hat zum Thema "Gehaltstransparenz" geforscht.
Hinweis: Dieses Interview ist ein Auszug aus Ausgabe 11/16 des Personalmagazins. In der Titelstrecke erfahren Sie mehr zum Thema Gehaltstransparenz und ihrer Auswirkung auf Mitarbeiter und Führungskräfte. Hier können Sie die Ausgabe als Smartphone- und Tablet-App herunterladen.
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