Azubis: Wo noch Recruiting-Potenzial schlummert
Für Recruiter wird es immer schwerer, die passenden Azubis für offene Ausbildungsstellen zu finden. Eine gerade erschienene Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt, dass diese HR-Herausforderung nicht nur in den bekannten Mangelberufen wie Bäcker, Metzger oder Koch zunimmt, sondern auch in bis dato beliebteren Berufen wie Mechatroniker oder Elektriker.
Aber nicht nur in einigen Berufen geht die Zahl der Bewerber zurück. Auch insgesamt interessieren sich immer weniger Jugendliche für eine Ausbildung. Aus einer Anfang der Woche vorgestellten Studie der Bertelsmann-Stiftung geht hervor, dass die Zahl aller Bewerber um 19 Prozent auf 613.000 zurückgegangen ist.
Kaum Chancen für Ausländer und Hauptschüler
Andererseits zeigen Befragungen auch, dass Recruiter – gerade in KMU – eher dazu tendieren, in bekannten Gewässern zu fischen, anstatt neue Recruitingwege zu gehen, indem sie etwa neue Kanäle für die Bewerberansprache wählen oder sogenannte "alternative Bewerbergruppen" erschließen.
Gewerkschaften kritisieren dieser Tage wieder, dass viele Firmen etwa Jugendlichen mit Hauptschulabschluss oder ausländischem Pass kaum eine Chance gäben. "Wenn sich die Zahl der Ausbildungsplätze im Sinkflug befindet, liegt dies nicht an einem vermeintlichen Akademisierungswahn, sondern an Betrieben, die sich an eine Bestenauslese gewöhnt haben", beklagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
Hauptschüler: oft von vornherein ausgeschlossen
Wie gering die Chancen von Hauptschülern aus dem Ausbildungsmarkt sind, hat eine Befragung aus dem Sommer gezeigt, die Randstad gemeinsam mit dem Ifo-Institut durchgeführt hat: Demzufolge sind Hauptschüler mit einem Anteil von 17 Prozent unter deutschen Azubis deutlich in der Minderheit.
Deren Diskriminierung beginnt nicht erst beim Sichten von Lebensläufen, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) analysiert hat: 62 Prozent aller angebotenen Ausbildungsplätze in der IHK-Lehrstellenbörse schließen diese Gruppe von vornherein von Bewerbungen aus.
Experten plädieren schon länger dafür, Hauptschülern und leistungsschwächerer Azubis bessere Chancen einzuräumen. Etwaige Wissensdefizite müssen die Ausbilder in den Betrieben nicht alleine ausgleichen, ihnen stehen verschiedene Fördermöglichkeiten zur Verfügung.
BA unterstützt Einstiegsqualifizierungen
"Bei Einstiegsqualifizierungen etwa unterstützt die BA das erste Ausbildungsjahr finanziell, sodass dem Betrieb so gut wie keine Aufwände entstehen", erläutert Paul Ebsen, Pressesprecher bei der Bundesagentur für Arbeit, im Interview mit haufe.de/Personal. "In dem Jahr können sich Jugendliche und Arbeitgeber kennenlernen und entscheiden, ob es für beide Seiten passt." Oft seien es gerade die leistungsschwächeren Jugendlichen, die länger im Unternehmen blieben und treuer seien, wirbt Ebsen.
Jugendliche mit Handicap: wo finden?
Diese Maßnahmen könnten auch helfen, Jugendliche mit (Lern-)Handicap auf das gleiche Lernniveau zu bringen wie ihre Mit-Azubis. Doch eine gerade erschienene Studie des IW Köln zeigt: Auch Jugendliche mit Behinderungen werden nach wie vor noch selten gezielt als Zielgruppe ins Visier genommen. Bislang bildet nur jedes zweite Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern überhaupt Azubis mit Handicap aus. Bei den KMU sind es deutlich weniger: in mittleren Unternehmen nur 34 Prozent und bei den kleinen Unternehmen mit 22 Prozent.
Die Studie zeigt auch: Wer Azubis mit Handicap schon eine Chance gegeben hat, zieht daraus meist ein positives Fazit. So scheuen laut der Studie knapp 47 Prozent der unerfahrenen Firmen zunächst den hohen bürokratischen Aufwand. Aber nur rund 35 Prozent der erfahrenen Betriebe geben an, dass sie die Bürokratie von weiteren Einstellungen abhält.
Die Autoren verschweigen jedoch nicht, dass sich die Kontaktaufnahme zwischen Recruitern und potenziellen Kandidaten für die inklusive Ausbildung schwierig gestaltet – selbst, wenn die Firma bereits Jugendliche mit Handicap ausgebildet hat: Über 68 Prozent der Firmen ohne Erfahrung haben überhaupt keinen Kontakt zu jungen Menschen mit Behinderung. Und auch über 79 Prozent der Firmen, die bereits Menschen mit Handicap als Azubis beschäftigen, haben für weitere Stellenbesetzungen zu wenige Bewerber.
Ausländische Jugendliche: Sozialer Aufstieg wichtig
Eine weitere neue Studie, eine repräsentative Allensbach-Umfrage unter 15- bis 24-Jährigen für die Fast-Food-Kette McDonald's, hat eine andere der bislang vernachlässigten Zielgruppen genauer untersucht: die der jungen Menschen mit ausländischen Wurzeln.
Dabei stellten die Studienautoren fest: Die potenziellen Azubis mit Migrationshintergrund sind deutlich aufstiegswilliger als die Altersgenossen insgesamt. 60 Prozent von ihnen ist es wichtig oder sehr wichtig, sozial aufzusteigen und mehr zu erreichen als ihre Eltern – im Vergleich zu 46 Prozent im Durchschnitt der Befragten. Jeder zweite junge Migrant glaubt demnach auch, dass er beruflich mehr erreicht als seine Eltern.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Unternehmen überzeugende Karriereperspektiven nach der Ausbildung bieten müssen, um diese Gruppe für sich zu begeistern – und mit der ewig drohenden Konkurrenz der Hochschulen mithalten zu können.
Studienabbrecher: schon im Visier der Talentjäger
Junge Leute, die den Anforderungen der attraktiven Hochschule nicht gewachsen sind, werden im Gegensatz zu den genannten vernachlässigten Azubizielgruppen schon genauer ins Visier der Talentjäger genommen: Einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zufolge verfügt bereits knapp jeder dritte Ausbildungsbetrieb über Erfahrungen mit der Ausbildung von Studienabbrechern, für drei von vier Unternehmen kommt dies grundsätzlich infrage.
Aber auch hier birgt offenbar der Weg zur Zielgruppe noch Hürden. Als große Herausforderung sehen Azubi-Recruiter laut BIBB-Erhebung an, mit Studienaussteigern überhaupt erst einmal in Kontakt zu kommen: Zwei von drei Betrieben ohne und jeder zweite Betrieb mit Erfahrungen in der Ausbildung von Studienaussteigern stuft dies als "eher schwierig" ein.
Helfen könnte ein Vorschlag, den Bildungsexperten machen, um die Rekrutierung von Studienabbrechern zu vereinfachen: Sie treten für eine bessere Verzahnung und mehr Durchlässigkeit zwischen Hochschulen und Betrieben ein. Gymnasiasten – und ihre Lehrer – müssten mehr Betriebspraktika machen, fordert etwa Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, den die Deutsche Presse Agentur im Zusammenhang mit der Allensbach-Studie befragte. Denn viele Schüler fühlten sich über mögliche Berufe schlecht informiert.
Nötig sei auch ein Umdenken, meint Elisabeth Krekel, Ausbildungsmarktexpertin des Bundesinstituts für Berufsbildung: "Warum gelten Akademikerkinder, die eine Berufsausbildung machen, als Bildungsabsteiger?", fragt sie.
Diversity: offen für einen – offen für alle
Doch welche alternative Zielgruppe zuerst ansprechen? Die bereits erwähnte IW-Studie liefert auf diese Frage eine beruhigende Antwort: Wer in puncto Diversity mit einer offenen Einstellung ans Recruiting geht, wird damit anscheinend offen für alle Zielgruppen.
Dies zeigen die IW-Autoren anhand des Beispiels von Jugendlichen mit Behinderung: Denn ob Unternehmen auf diese Zielgruppe setzen, hängt unter anderem davon ab, inwiefern die Organisation allgemein auf Vielfalt setzen: "Firmen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund oder sozial Benachteiligte beschäftigen, stellen eher Jugendliche mit Behinderung ein", hat IW-Ausbildungsexperte Christoph Metzler beobachtet.
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