Fair Pay: "Wir brauchen einen umfassenden Kulturwandel in der Vergütung"
Haufe Online-Redaktion: Am 18. März 2019 ist wieder Equal Pay Day, der weltweite Aktionstag für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Statt von „Equal Pay“ sprechen Sie lieber von „Fair Pay“ – was ist der Unterschied?
Florian Frank: Fair Pay bezieht sich nicht nur auf das Gehalt im engeren Sinne, sondern auf alle Prozesse im Unternehmen, die mit der Vergütung zusammenhängen oder sich auf diese auswirken, also zum Beispiel auch Einstellungsentscheidungen, Zugang zu Entwicklungsmaßnahmen und so weiter. Es geht also nicht um Entgeltgleichheit, sondern um Chancengleichheit in Bezug auf die Vergütung. Fair Pay bedeutet, dass jeder Mitarbeiter entsprechend seiner Leistung fair (nicht unbedingt gleich) vergütet wird.
Fair Pay: Deutsche Unternehmen hinken dem Ausland hinterher
Haufe Online-Redaktion: Der sogenannte Gender Pay Gap stagniert in Deutschland seit Jahren bei rund fünf Prozent (zuletzt 4,5 Prozent). Die Mehrheit der Unternehmen sieht trotzdem keinen Handlungsbedarf – zurecht?
Frank: Es gäbe durchaus Handlungsbedarf. Deutsche Unternehmen hinken in Sachen Fair Pay dem Ausland deutlich hinterher. Weltweit betrachtet haben 70 Prozent der Unternehmen formalisierte Prozesse etabliert, die Diskriminierung oder Ungleichbehandlung verhindern sollen. In Deutschland haben weniger als 60 Prozent der Unternehmen solche Prozesse etabliert. Trotzdem plant laut unserer Studie „Getting Compensation Right“ nur die Hälfte der Unternehmen, innerhalb der nächsten drei Jahre Maßnahmen zu ergreifen, die die Transparenz und Chancengleichheit von Vergütungsentscheidungen erhöhen.
"Wir brauchen bei der Vergütung einen umfassenden Kulturwandel in Richtung Transparenz." (Florian Frank, Vergütungsexperte bei Willis Towers Watson.) #FairPay
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Haufe Online-Redaktion: Was wären solche Maßnahmen?
Frank: Zunächst einmal müssten die Unternehmen ihre Prozesse systematisch analysieren und sicherstellen, dass diese diskriminierungsfrei sind. Führungskräfte müssten sensibilisiert werden für mögliche unbewusste Ungleichbehandlungen bei Vergütungsentscheidungen. Und sie müssen geschult werden, damit sie Mitarbeitern Vergütungsentscheidungen transparent und verständlich erläutern können. Es geht letztlich um einen umfassenden Kulturwandel in Richtung Vergütungstransparenz.
Fair Pay braucht umfassenden Kulturwandel
Haufe Online-Redaktion: Wird das Entgelttransparenzgesetz, das seit Anfang 2018 gilt, Ihrer Meinung nach mittelfristig etwas bewirken im Hinblick auf den „Gender Pay Gap“?
Frank: Ich glaube leider, dass das Gesetz nichts bringen wird, schon allein, weil es handwerklich nicht gut gestaltet ist. Beispielsweise verpflichtet das Gesetz den Arbeitgeber lediglich dazu das Medianeinkommen einer Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts mitzuteilen. Diese Information hat jedoch wenig Aussagekraft im Hinblick auf eine mögliche Geschlechterdiskriminierung. Aktuell tun die meisten Unternehmen nur das Minimum von dem, was das Gesetz fordert. Aber auch seitens der Arbeitnehmer zeigt das Gesetz bislang wenig Wirkung. Kaum jemand macht von seinem Auskunftsanspruch Gebrauch. Unternehmen sollten das Thema „Fair Pay“ dennoch vorantreiben – vor allem deshalb, weil dies mit Blick auf Mitarbeitergewinnung, -bindung und Talent Management sinnvoll und notwendig ist.
"Es gibt zwei Arten von Transparenz: Transparenz der Gehälter und Transparenz des Systems." (Florian Frank, Vergütungsexperte bei Willis Towers Watson.) #FairPay
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Haufe Online-Redaktion: Sie haben das Thema Kulturwandel in Bezug auf die Vergütung schon angesprochen. In Deutschland ist die Einstellung „über Geld spricht man nicht“ tief verwurzelt. Ist es in Deutschland schwieriger eine solche „Transparenzkultur“ zu etablieren? Und wie kann dies dennoch gelingen?
Frank: Es gibt ja zwei Arten von Transparenz: Transparenz der Gehälter und Transparenz des Systems. Ich glaube beim Thema Transparenz geht es weniger darum, dass die Mitarbeiter das Gehalt aller Kollegen in absoluten Zahlen kennen. Viel wichtiger ist, dass das Vergütungssystem transparent ist, die Mitarbeiter also wissen und verstehen, wie ihre eigene Vergütung im Kontext dieses Systems strukturiert und bemessen wird. Nach welchen Kriterien werden Gehaltsbänder definiert? Wie werden die jeweiligen Grundgehälter hier einsortiert? Welche konkreten Entscheidungen haben zu meinem Gehalt geführt? Hier haben die Unternehmen noch viel Nachholbedarf.
Wie sich der Wandel der Arbeitswelt auf die Vergütung auswirkt
Haufe Online-Redaktion: Mitarbeiter arbeiten heute stärker projektbezogen, klassische Karrierewege sind nicht mehr so häufig anzutreffen. Wie wirken sich diese Veränderungen der Arbeitswelt auf Vergütungsmodelle aus?
Frank: Bislang war Vergütung meist an eine bestimmte Stelle oder Position gebunden, künftig wird viel stärker der individuelle Mitarbeiter im Fokus stehen.
Bisher haben Vergütungssysteme auch primär das belohnt, was der Mitarbeiter in der Vergangenheit - im vergangenen Quartal oder Geschäftsjahr - geleistet hat. Künftig wird der Blick stärker auf die Zukunft gerichtet sein: Auf die Potenziale eines Mitarbeiters, darauf ob er zukünftig erfolgskritische Skills mitbringt oder aufbauen kann, und auf die Bedeutung der jeweiligen Rollen für den künftigen Geschäftserfolg.
"Vergütungssysteme werden komplexer und differenzierter." (Florian Frank, Vergütungsexperte bei Willis Towers Watson.)
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Haufe Online-Redaktion: Immer wieder ist die Rede davon, dass Mitarbeitern der Generation Y und Z Geld nicht wichtig ist, sondern sie eher auf Work-Life-Balance oder Sinn bei der Arbeit suchen. Haben Sie Belege dafür, dass dies tatsächlich so ist?
Frank: Unsere Global Workforce Study zeigt, dass für die Mitarbeitergewinnung das Grundgehalt immer noch der wichtigste Faktor ist. Flexible Arbeitseinteilung hingegen liegt nur auf Platz 5. Dabei geht es wohlgemerkt um die Mitarbeitergewinnung. Arbeitet ein Mitarbeiter bereits im Unternehmen, werden Aspekte wie „Sinn“ wichtiger. Das Gehalt ist letztlich „nur“ ein Hygienefaktor, das heißt am Gehalt entscheidet sich, ob jemand bleibt oder geht, aber es hat wenig Einfluss auf die Motivation. Für die Motivation sind andere Faktoren wichtiger, zum Beispiel: Habe ich die Strategie des Unternehmens verinnerlicht, kann ich mich mit der Geschäftsführung identifizieren, stehe ich hinter den Entscheidungen meiner Führungskraft?
Wie sich Vergütungssysteme verändern werden
Haufe Online-Redaktion: Was sind die größten künftigen Herausforderungen an die Vergütung? Wie werden sich Vergütungsmodelle entwickeln, um den Anspruch an Fair Pay und Transparenz zu erfüllen?
Frank: Die Vergütungsbudgets der Unternehmen sind relativ niedrig. Die Herausforderung, diesen kleinen Kuchen fair zu verteilen, führt dazu, dass die Vergütungssysteme komplexer und differenzierter werden. Das wiederum erhöht die Anforderungen an die Transparenz, damit Mitarbeiter verstehen wie ihr eigenes Gehalt im Kontext eines solch komplexen Systems bemessen wird.
Das Thema Transparenz wird in den nächsten Jahren insgesamt stark an Bedeutung gewinnen: Der Gesetzgeber wird weiter Druck machen, das Bewusstsein der Öffentlichkeit wächst und nicht zuletzt werden die Mitarbeiter weiter Druck machen. Immer mehr Mitarbeiter veröffentlichen ihre Vergütung zum Beispiel im Internet auf Plattformen wie Kununu. Das ist für Unternehmen riskant, denn die Angaben dort sind meist ohne den relevanten Kontext und der Wahrheitsgehalt der Angaben ist nicht überprüfbar. Daher sollten Unternehmen keine abwartende Haltung einnehmen, sondern die Chance ergreifen sich frühzeitig und proaktiv in Sachen Transparenz und fairer Vergütung im Markt zu positionieren.
Florian Frank ist Senior Director - Head of Talent & Rewards Germany and Austria bei Willis Towers Watson.
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