Digitalisierung könnte Geschlechterungleichheit verstärken
Einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge sind weibliche Beschäftigte sind mit Blick auf die digitale Zukunft bei ihrer beruflichen Tätigkeit gegenüber männlichen Beschäftigten spürbar im Nachteil. Frauen und Männer arbeiten heute zwar ähnlich häufig am Computer: Bei der Verwendung von fortgeschrittener und spezialisierter Software sowie bei der Nutzung vernetzter digitaler Technologien wie Cloud-Diensten zeigen sich aber erhebliche Unterschiede.
Digitale Arbeitswelt: Statistisch signifikante Nachteile von Frauen
Besonders groß ist der Rückstand bei Frauen, die Teilzeitstellen haben. Dementsprechend schätzen weibliche Beschäftigte im Durchschnitt ihre Berufschancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt als schlechter ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich berufstätige Frauen gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, liegt bei 34 Prozent. Dagegen sind es unter männlichen Beschäftigten immerhin 49 Prozent. Frauen erwarten nur mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 10 Prozent, dass sich durch Digitalisierung ihre Arbeitsmarktaussichten verbessern, gegenüber 18 Prozent bei Männern.
Die Untersuchung basiert auf Befragungsdaten des repräsentativen Nationalen Bildungspanels (NEPS) unter rund 4.000 Beschäftigten. Mögliche Unterschiede in höchstem Bildungsabschluss, Alter oder Migrationshintergrund wurden statistisch berücksichtigt, sie spielen also bei den geschlechtsspezifischen Differenzen keine Rolle. Wenn zusätzliche Faktoren wie der berufliche Status oder die Tätigkeit von weiblichen und männlichen Beschäftigten berücksichtigt werden, wird der Nachteil der Frauen zwar kleiner, er bleibt aber meist statistisch signifikant.
Gender Digital Gap: Je komplexer die Technologie, desto größer die Differenz zwischen Männern und Frauen
Und das sind die Ergebnisse der Studie im Detail: Frauen und Männer nutzen Computer und Standardsoftware im Job annähernd gleich häufig. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bzw. Männer mit Standardsoftware arbeiten bei 94 bzw. 95 Prozent. Doch darüber hinaus gilt: Je anspruchsvoller eine Softwareanwendung ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass Frauen sie nutzen. Das zeigt sich schon bei der fortgeschrittenen Anwendung von Standardsoftware wie zum Beispiel dem Schreiben von Makros oder anderen Skripten. Diese verwenden Männer mit knapp 36 Prozent Wahrscheinlichkeit, Frauen nur mit 25 Prozent. Noch größer ist der Unterschied bei speziellerer Software wie CAD-Programmen, Programmen für Desktop-Publishing oder für statistische Analysen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer mit solchen speziellen Programmen arbeiten, liegt bei 50 Prozent, unter Frauen hingegen bei nur 34 Prozent.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen auch bei der Verwendung vernetzter digitaler Technologien wie Online-Plattformen, E-Mails, Tablets, Cloud-Diensten und sich selbst steuernden oder selbst-lernenden Computersystemen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeit stark durch vernetzte digitale Technologien geprägt ist, liegt unter Männern bei 54 Prozent und bei Frauen bei 44 Prozent. Mit Programmiersprachen arbeitet insgesamt nur ein kleiner Teil der Beschäftigten. Zugleich ist der geschlechtsspezifische Unterschied aber besonders drastisch: Die Wahrscheinlichkeit der Nutzung beträgt für Männer fast 10 Prozent, für Frauen nur 2 Prozent.
Frauen in Teilzeit liegen besonders weit zurück
Besonders ausgeprägt ist der digitale Rückstand unter berufstätigen Frauen in Teilzeitbeschäftigung. Er besteht gegenüber weiblichen Beschäftigten mit Vollzeitjob und noch stärker gegenüber Männern, und zwar auf allen vom NEPS abgefragten Feldern. Beispielsweise wenden Frauen in Teilzeit fortgeschrittene Standardsoftware nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent an gegenüber knapp 33 Prozent bei weiblichen Vollzeitbeschäftigten. Zwischen männlichen Voll- und Teilzeitbeschäftigten sind die Unterschiede hingegen meist deutlich kleiner. WSI-Forscherin Lott spricht von einem "Gender Part-Time Digital Gap", einer besonders ausgeprägten Lücke, wenn Geschlecht und kürzere Arbeitszeit zusammenkommen. Damit ist das Problem insbesondere für Mütter groß, die sehr häufig in Teilzeit arbeiten, um Erwerbs- und Familienarbeit unter einen Hut zu bekommen.
Substituierbarkeitspotenzial: Welche Berufe durch Automatisierung bedroht sind
"Die digitale Transformation kann die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt verstärken – und zwar aufgrund des bestehenden Gender Digital Gap", analysiert WSI-Forscherin und Studienautorin Dr. Yvonne Lott die Befunde. Zwar üben aktuell deutlich mehr Männer (7,1 Millionen) als Frauen (4,2 Millionen) Berufe aus, bei denen viele Tätigkeitsanteile auch von Computern übernommen werden können. Der Abstand beim so genannten "Substituierbarkeitspotenzial" ist zwischen 2013 und 2019 aber spürbar kleiner geworden.
Gemessen an allen Männern bzw. Frauen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, von 19 auf 13 Prozentpunkte, zeigt eine ergänzende Analyse von Forscherinnen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zudem ist die Spannbreite bei Berufen, die häufig von Frauen ausgeübt werden, besonders ausgeprägt: Während etwa bei Sozialberufen vergleichsweise wenig technisch substituiert werden kann, ist das Potenzial zum Beispiel bei Bürokauffrauen besonders groß.
In frauendominierten Berufen werden Rationalisierungspotenziale durch Automatisierung häufiger tatsächlich umgesetzt als in Berufen, in denen viele Männer arbeiten. – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
Und schließlich würden in frauendominierten Berufen solche Rationalisierungspotenziale häufiger auch tatsächlich umgesetzt als bei Berufen, in denen viele Männer arbeiten, schreiben die IAB-Expertinnen Dr. Carola Burkert, Dr. Katharina Dengler und Dr. Britta Matthes. Es gingen also bislang in Berufen mit vielen weiblichen Beschäftigten besonders häufig Jobs durch Automatisierung verloren.
Folgen der Digitalisierung für die Chancengleichheit
Eine etwas ältere Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) kam 2017 zu dem Schluss, dass das digitale Zeitalter für Frauen mehr Chancen bereit hält als für Männer, warnte aber gleichzeitig davor, dass auch der umgekehrte Effekt eintreten könnte die Digitalisierung also die Geschlechterungleichheit verstärke.
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