"Wir müssen Innovation wie eine Kunst schätzen"
Haufe Online-Redaktion: Immer mehr deutsche Unternehmen eröffnen Innovation Labs im Silicon Valley. Was halten Sie davon?
Steve Blank: Die Idee, einmal zu sehen und zu erleben, was im Silicon Valley abläuft, Partnerschaften einzugehen oder zu investieren, finde ich völlig in Ordnung. Aber oft werden diese Aktivitäten zu dem, was ich Innovationstheater nenne. Da gibt es dann eine tolle Pressemeldung, in der sich das Unternehmen als besonders innovativ präsentiert und der CEO ist mächtig stolz darauf. Aber bis auf ganze wenige Ausnahmen bleibt das eine vom Unternehmen völlig losgelöste Aktivität.
CEOs müssen mit Ambiguität umgehen können
Haufe Online-Redaktion: Woran liegt das?
Blank: Ein Teil des Problems ist, dass unsere Manager im Leadership des 20. Jahrhunderts feststecken und vor allem an Cashflow und Finanzzahlen denken. Innovation ist nicht ihre Kernkompetenz. Doch CEOs brauchen heute einen breiten Blick. Sie müssen zwar weiter für die Ausführung der bisherigen Unternehmensaktivitäten sorgen. Aber sie müssen auch mit Ambiguität umgehen können. Doch viele sind in ihrem traditionellen Geschäftsmodell gefangen. Innovative Ideen sind da oft nur Störfaktoren für den reibungslosen Ablauf und verpuffen daher. Damit laufen Unternehmen jedoch Gefahr, die Kontrolle über ihren Markt zu verlieren – so wie die deutschen Autohersteller. Im Silicon Valley gibt es den schönen Spruch: Die Zukunft ist schon hier, wir haben uns nur noch nicht um den Vertrieb gekümmert.
„Unsere Manager stecken im Leadership des 20. Jahrhunderts fest und denken v.a. an Cashflow und Finanzzahlen.“ Steve Blank.
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Haufe Online-Redaktion: Was sind die wichtigsten Anforderungen an einen CEO heute?
Blank: Es gibt vier Faktoren, die jeder CEO beachten sollte. Erstens muss er die Erwartungen seines Boards verstehen, sonst ist er schnell draußen. Zweitens muss er verstehen, was seine Mitbewerber machen und seine Produkte oder Dienstleistungen verbessern. Das ist beides nicht neu. Neu ist, dass Start-ups heute manchmal mehr Geld haben als etablierte und große Unternehmen. Im 20. Jahrhundert waren Start-ups nicht mehr als lästige Wadenbeißer. Heute haben sie manchmal Milliarden Dollar und können ganze Märkte disruptieren. Und neu ist auch, dass ein CEO seine Investoren gut managen muss. So hat Jeff Immelt vor kurzem seinen Job bei GE verloren, weil die Investoren ihn rausgeschmissen haben.
Haufe Online-Redaktion: Was ist dort passiert?
Blank: Wir nennen solche Investoren „Corporate Raider“. Sie wollen die Kontrolle über ein Unternehmen. Sie besitzen vielleicht nur 1,5 Prozent der Aktien, aber es gelingt ihnen, die Mehrheit der anderen Aktionäre zu überzeugen, dass der Aktienkurs nur dann steigt, wenn sie die Kontrolle über das Unternehmen haben. Dann werden enorme Schulden gemacht, um die Aktien zurückzukaufen. Das Unternehmen muss einen Teil ihrer Assets oder sogar Unternehmensteile verkaufen. Überall wird gespart. Statt Geld in die Forschung und Entwicklung zu investieren, verspielt das Unternehmen seine Zukunft. Was bei GE passiert ist, geschieht gerade auch bei Procter &Gamble. Das ist Hyperkapitalismus, wie wir ihn selbst in den USA bisher noch nicht kannten und der Innovationen killt.
Mit dem Drei-Horizonte-Modell Innovation integrieren
Haufe Online-Redaktion: Zum Glück sind das noch Ausnahmen. Aber was können Manager tun, um Innovationen besser ins Unternehmen zu integrieren?
Blank: Dazu muss man zunächst einmal verschiedene Innovationsstufen unterscheiden. Ich bin ein großer Fan des McKinsey-Modells der drei Wachstums-Horizonte. Beim ersten Horizont bleibt man beim bisherigen Geschäftsmodell, aber verändert immer wieder etwas, also zum Beispiel die Farbe oder die Funktionen eines Produktes. Das ist die unterste Stufe von Innovation. Auf der zweiten Ebene verkauft man seine Produkte über neue und unterschiedliche Kanäle oder entwickelt neue Produkte, bleibt aber weiter bei seinem etablierten Geschäftsmodell. Bei Stufe drei ändert man das Modell und verkauft zum Beispiel statt Computern Telefone. Dafür braucht man aber Mitarbeiter mit verrückten Ideen. Die meisten Manager mögen Stufe eins und zwei, aber mit Stufe drei haben sie Probleme. Es gelingt ihnen nicht, diese Innovationen zu integrieren.
Haufe Online-Redaktion: Was ist der Grund dafür?
Blank: Viele haben die falsche Vorstellung, dass Innovationen eine Ansammlung von ungezwungenen Aktivitäten sind, ohne jegliche Disziplin. Aber das Gegenteil ist der Fall. Um Innovationen für ein Unternehmen nützen zu können, braucht es einen sorgfältig gestalteten, formalen Prozess.
"Viele haben die falsche Vorstellung, dass Innovationen eine Ansammlung von ungezwungenen Aktivitäten sind, ohne jegliche Disziplin. Aber das Gegenteil ist der Fall." Steve Blank
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Haufe Online-Redaktion: Wie läuft dieser Innovationsprozess ab?
Blank: Zunächst sollte eine Gruppe eine Liste von Problemen, Ideen und Technologien erstellen, die interessant genug sind, um Geld dafür zu investieren. Dann wird erforscht, wo es im Unternehmen bestimmte Probleme gibt, welche interne Projekte bereits existieren und welche gesetzlichen Hürden vorhanden sein könnten. Steht die Liste von innovativen Ideen, müssen Prioritäten gesetzt und die Frage beantwortet werden, ob ein Projekt es wirklich wert ist, viel Zeit und Geld dafür zu investieren. Diese Entscheidung sollte nicht von den Managern, sondern von den Innovationsteams selbst getroffen werden. Dann werden Lösungen erkundet, Hypothesen gebildet und überprüft.
Haufe Online-Redaktion: Sie sind Serien-Gründer und haben acht Startups gegründet. Kann man Entrepreneurship lernen?
Blank: In vielen Entrepreneurship-Kursen geht es vor allem darum, einen guten Businessplan zu schreiben. Doch dahinter liegt ein Denkfehler. Es wird davon ausgegangen, dass ein Startup eine kleine Version eines großen Unternehmens ist. Aber das ist falsch. Große Unternehmen kennen ihr Geschäftsmodell und setzen es um. Startups suchen noch nach einem Geschäftsmodell. Deshalb habe ich den „Lean Lauch Pad“-Kurs gestartet und unterrichte ihn seitdem unter anderem an der Engineering School an der Stanford University.
Wie man Entrepreneurship lernen kann
Haufe Online-Redaktion: Was machen Sie da?
Blank: Ich sage den Studenten: Ihr braucht keinen Businessplan schreiben, aber ihr braucht eine Idee. Ich erkläre ihnen, was ein Geschäftsmodell ist und dann müssen sie im Team mit ihrer Idee eines Produkts zehn bis 15 potentielle Kunden befragen und ihre Ideen dem Feedback anpassen. Das wiederholt sich zehn Mal in zehn Wochen. Dabei werden sie von Mentoren begleitet. Am Ende präsentiert das Team, was ihre ersten Überlegungen waren, was sie von den Kunden gehört haben und was sie geändert haben. Das ist harte Praxis, über die viele Business Schools anfangs die Nase gerümpft haben.
Haufe Online-Redaktion: Warum?
Blank: Weil Entrepreneurship für sie eher eine theoretische Sache war. Natürlich kann man auch Theorie dazu vermitteln, aber das Wesentliche ist die praktische Anwendung. Heute bieten mehr als hundert Hochschulen solche Kurse an. Und 2011 bekam ich einen Anruf von der National Science Foundation, die den „Lean Launch Pad“-Kurs jetzt für ihre Innovation Corps nützen. Dort trainieren die besten Wissenschaftler des Landes, wie sie ihre Ideen aus den Uni-Laboren erfolgreich auf den Markt bringen. Inzwischen gibt es „How to Build a Startup“ auch als Online-Kurs.
Haufe Online-Redaktion: Das klingt so, als ob jeder ein Entrepreneur sein könnte…
Blank: Nein, das wäre ein Desaster so etwas zu behaupten. Echte Unternehmer sind Künstler. Für sie ist das nicht ein Job, sondern eine Berufung oder fast schon so etwas wie eine Religion. Leute wie Steve Jobs, Jeff Bezos oder Elon Musk sind Künstler und Visionäre. Als ich meine Startups gegründet habe, habe ich das auch nicht gemacht, um Geld zu verdienen, sondern weil es für mich das Aufregendste war, was ich tun konnte. Ich fand es dann toll, dass ich auch noch dafür bezahlt wurde.
"Echte Unternehmer sind Künstler. Für sie ist das nicht ein Job, sondern eine Berufung oder fast schon so etwas wie eine Religion." Steve Blank
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Haufe Online-Redaktion: Solche Menschen sind aber rar. Sind die Ansprüche mancher Unternehmen, möglichst viele Mitarbeiter zu Entrepreneuren zu machen, da nicht illusorisch?
Blank: Es wäre Unsinn zu glauben, dass jeder Mitarbeiter im Unternehmen das nächste große Ding erfindet. Das können vielleicht maximal zwei Prozent der Mitarbeiter. Aber es ist wichtig, dass wir alle lernen, Innovation wie eine Kunst zu schätzen.
Steve Blank kam 1978 ins Silicon Valley und ist Mitgründer von acht Startups, darunter die Softwarefirma E.piphany, der Videospiele-Entwickler Rocket Science Games und die beiden Microprozessunternehmen Zilog und MIPS. Er unterrichtete zunächst Customer Development an der Haas School of Business an der University of California. Sein Ansatz des experimentellen Lernens und Testens von Ideen bei potentiellen Kunden wurde die Grundlage seines Konzeptes von Lean Startups und des Lean LaunchPad Kurses, der inzwischen weltweit an zahlreichen Business Schools und Hochschulen angeboten wird.
Das Interview führte Bärbel Schwertfeger mit Steve Blank auf dem Drucker Forum 2017.
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