Ausblick auf die nächsten zehn Jahre
Personalmagazin: Herr Jánszky, welche Trends aus dem Bereich HR/Arbeitswelt werden die nächsten zehn Jahre prägen?
Sven Gábor Jánszky: Es gibt einen Trend, der alles prägt: Der Fachkräftemangel ist kein neues Thema, aber mit Blick in die Zukunft erhält dieser völlig neue Dimensionen. In den nächsten zehn Jahren wird die komplette Generation der Baby Boomer in Rente gehen. Gleichzeitig kommen nur sehr wenige Menschen auf dem Arbeitsmarkt nach. Das ergibt ein gewaltiges Minus. Wir rechnen für die nächsten zehn Jahre mit 6,5 Millionen Arbeitskräften weniger als heute. Das wird zu drei Millionen unbesetzten Stellen führen. Daraus leiten sich alle anderen Trends ab, die wir Zukunftsforscher für den Arbeitsmarkt der nächsten zehn Jahre beschreiben.
Schnellere Jobwechsel erhöhen Recruiting-Kosten
Personalmagazin: Welche Folgen werden diese Entwicklungen haben?
Jánszky: Eine Folge wird sein, dass alle zwei Wochen der Headhunter anruft. Viele Arbeitnehmer werden ein solches Angebot annehmen. Das führt wiederum zu Patchwork-Biografien, weil etwa 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung alle zwei bis drei Jahre den Arbeitgeber wechseln werden. Sie lassen sich immer nur für ein Projekt anstellen und gehen danach zum nächsten Arbeitgeber, weil sie mit jedem Wechsel etwas mehr Geld verdienen und eine neue Herausforderung bekommen. Auf Arbeitgeberseite werden die Kosten für das Recruiting immens zunehmen.
Personalmagazin: Wie werden die Arbeitgeber reagieren?
Jánszky: Zum einen werden sie das Anziehen und Abstoßen von Projektarbeit stark professionalisieren. Abstoßen deshalb, weil sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass gute Mitarbeiter mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit wieder zurückkehren, wenn sie für zwei Jahre in einem anderen Projekt tätig waren. Zum anderen werden sich „Caring Companies“ durchsetzen. Das sind vor allem mittelständische Unternehmen, die diese neue Form von Projektarbeit nicht haben wollen. Sie versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten. Aber diese neue Form von Mitarbeiterbindung unterscheidet sich grundlegend von dem, was wir heute kennen. Sie geht stark in das soziale Umfeld des Mitarbeiters und reicht von Pflegeangeboten für Angehörige, über betriebseigene Schulen und Kitas sowie Urlaubsprogramme. Wenn dann ein Headhunter bei einem Mitarbeiter anruft, müsste dieser Pflegeheim, Schule et cetera wechseln, um das Angebot annehmen zu können.
Personalmagazin: Derzeit planen Unternehmen wie BASF, Deutsche Bank, Siemens und andere einen großen Stellenabbau. Ist das nur eine kurze Phase auf dem Arbeitsmarkt?
Jánszky: Das ist nur eine kurze Phase. Der Gesamttrend geht von einem Angebotsmarkt zu einem Nachfragemarkt, in dem mehr Nachfrage nach Arbeitskräften und weniger Angebot besteht. Alle anderen Trends leiten sich daraus ab. Dazu gehört auch, dass einige Jobs wegfallen werden. Wo sich die Digitalisierung auswirkt, werden die heutigen Jobs ersetzt. An anderer Stelle entstehen jedoch neue Jobs. Betrachten wir die Gesamtbilanz, kommt das bereits genannte riesige Minus an Arbeitskräften heraus.
KI: Neue Dimension der Digitalisierung
Personalmagazin: Wie wird die Digitalisierung die nächsten zehn Jahre prägen?
Jánszky: Das, was wir bisher als Digitalisierung wahrgenommen haben, war noch gar keine richtige Digitalisierung. Bislang haben wir vornehmlich Prozesse digitalisiert und Formulare elektronisch abgebildet. Was in den nächsten zehn Jahren kommen wird, ist künstliche Intelligenz. Diese hat ganz andere Dimensionen. Es geht darum, dass Entscheidungen, die bislang von Menschen getroffen werden, besser von Computern getroffen werden können. Computer können viel mehr Daten auswerten als Menschen, sie können Simulationen durchführen und sind deshalb in der datenbasierten Entscheidungsfindung überlegen.
Personalmagazin: Welche Folgen hat all das für die praktische Personalarbeit?
Jánszky: Alle bisherigen Recruiting- und Personalauswahlansätze sind darauf ausgerichtet, aus einem großen Angebot an Kandidaten den richtigen auszuwählen und mit diesem einen Vertrag abzuschließen. Wenn wir jetzt in einen Nachfragemarkt kommen, wird auf eine einfache Stellenausschreibung gar keine Bewerbung erfolgen. Alle Kompetenzen, die Personaler bis heute erworben haben, sind dann überflüssig, weil sie von einer falschen Grundlage ausgehen. Es werden völlig neue Kompetenzen und Tools nötig.
Personalmagazin: Wie wird das Recruiting in Zukunft aussehen? Gibt es dann überhaupt noch eine Personalabteilung?
Jánszky: In meinem Buch „Das Recruiting-Dilemma“ habe ich am Beispiel von zwei Unternehmen beschrieben, was mit Personalabteilungen passieren wird. In dem einen Unternehmen gibt es noch eine Personalabteilung. Deren Aufgabe ist es, soziale Bindungen in das Umfeld der Mitarbeiter zu knüpfen und ein „Corporate Life“ aufzubauen – mit dem Ziel, dass alle Bedürfnisse des Mitarbeiters durch das Unternehmen gedeckt werden. In dem zweiten Unternehmen gibt es keine Personalabteilung mehr, da alle ihre bisherigen Aufgaben von anderen Bereichen übernommen oder digitalisiert wurden. Die Lohnabrechnung wurde digitalisiert. Die Weiterbildung wurde von externen Headhuntern übernommen. Das Recruiting ist bei den Führungskräften gelandet, da sie ihr eigenes Netzwerk für die Personalgewinnung nutzen. Ohne Netzwerk macht Recruiting keinen Sinn mehr. Die Koordination dieser Tätigkeiten blieb eine HR-Aufgabe. Aber dann wurde festgestellt, dass die Skills im Personalbereich dafür zu gering sind. Deshalb wurde diese Aufgabe in die Innovationsabteilung verlagert.
Personalmagazin: Heißt das, dass sich die Ausbildung von Personalern in den nächsten Jahren deutlich ändern muss?
Jánszky: Absolut. Es liegt auf der Hand, dass viel mehr Technologie-Know-how vermittelt werden muss.
Das Interview ist in ungekürzter Fassung im Personalmagazin 09/2019 erschienen. Lesen Sie die Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
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