Unternehmen mussten von heute auf morgen Arbeitsweisen und Abläufe umstellen: Wo es möglich ist, arbeiten Mitarbeiter im Homeoffice, oftmals auf unbestimmte Zeit. Andere arbeiten in Schichtmodellen, müssen im Arbeitsalltag Hygiene- und Abstandsregeln organisieren und einhalten. Niemand weiß, wie lange. Die einen müssen auf soziale Kontakte verzichten, andere fürchten, sich am Arbeitsplatz anzustecken. Es gibt viele Unsicherheiten rund um Covid-19, die zu großen emotionalen Belastungen führen. Um in der Krise damit umgehen zu können, brauchen Mitarbeiter Unterstützung. Arbeitgeber müssen mehr als jemals zuvor in ihrer Belegschaft und in Teams ein Gefühl der sozialen Verbundenheit schaffen. Grundvoraussetzungen dafür sind Empathie, Fürsorge und psychologische Sicherheit.
Gestärkt aus der Krise hervorgehen
Jede Krise, das gilt auch für Covid-19, eröffnet neue Spielräume und bietet Möglichkeiten, gestärkt daraus hervorzugehen. Unternehmen, die einen konstruktiven Weg finden, die neue Normalität zu gestalten, sind im Vorteil. Gerade im Umgang mit der aktuellen Unsicherheit, gibt es keinen Weg vorbei an agilen und dynamischen Arbeitsweisen. Teams sind erfolgreicher darin, komplexe Probleme zu lösen, als eine Einzelperson – das ist die Grundidee der kollektiven Intelligenz. Je diverser das Team, desto höher die Problemlösungskompetenz. Dieser Effekt wird aber nur erzielt, wenn alle Teammitglieder sich emotional sicher – sprich akzeptiert – fühlen. Eine solche Team- und Unternehmenskultur im Covid-19-Modus zu schaffen ist eine Herausforderung und gleichzeitig eine Chance, das Momentum des Wandels und der Innovation auch nach der Krise zu bewahren.
Was können Unternehmen jetzt tun, um die kollektive Intelligenz in Teams zu optimieren?
Achtsamkeit und Meditation fördern die kollektive Intelligenz nachweisbar. Das hat eine gemeinsame Studie der Boston Consulting Group (BCG) und Awaris, einem globalen Netzwerk, das sich mit wissenschaftlich fundierten achtsamkeitsbasierten Interventionen beschäftigt, nachgewiesen ( mehr zur Studie lesen Sie hier). Für die Studie wurde die kollektive Intelligenz von 31 Teams mit insgesamt 196 Personen in einem großen deutschen Automobilkonzern und einer politischen Organisation nach einem vom MIT Center for Collective Intelligence entwickelten Verfahren gemessen. Die Ergebnisse: Die Teams haben ihre kollektive Intelligenz nach einem zehnwöchigen Achtsamkeitsprogramm um durchschnittlich 13 Prozent gesteigert. Die erhöhte Achtsamkeit wirkt sich signifikant auf die emotionale Intelligenz der Mitglieder aus, also auf die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und die der anderen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Und: Mit wachsender Achtsamkeit nimmt der wahrgenommene Stress ab. Team-Mitglieder, die sich gegenseitig emotional unterstützen, entwickeln eine höhere Resilienz. Im Umgang mit der Corona-Krise spielt Achtsamkeit also eine große Rolle. Das belegen auch die Erfahrungen von BCG. Die unternehmensinterne Mindfulness Community bietet für mittlerweile mehr als 1.000 Mitarbeiter tägliche Meditationen und regelmäßige Achtsamkeitstrainings an – das Interesse daran ist aktuell so groß wie nie zuvor.
Warum Unternehmen gerade jetzt von kollektiver Intelligenz profitieren
Für Unternehmen, die zeitnah Lösungen für die Covid-19-Krise schaffen wollen, sind dynamische agile Arbeitsweisen alternativlos. Es genügt aber nicht, nur die Prozesse und Strukturen umzugestalten. Auch die Art und Weise der Interaktion und Zusammenarbeit in Teams muss sich grundlegend ändern. Die kollektive Intelligenz von Teams ist zwar latent vorhanden, sie muss aber weiterentwickelt werden, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Die Vielfalt der kognitiven Stile in den Teams kann sich nur entfalten, wenn alle Mitglieder ihre Meinung offen äußern können und ebenso bereit sind, anderen wirklich zuzuhören. Das ist in der Praxis schwieriger als es klingt. Hierfür ist es nötig, die Diversität eines Teams zu integrieren. Gelingt dies nicht, verringert sich die kollektive Intelligenz und damit die Qualität von Problemlösungen.
Ein Team interagiert typischerweise mit repetitiven Verhaltensweisen, die letztlich auch dafür sorgen, dass Teams ihre Aufgaben effizient auszuführen. Dies verhindert aber auch, Probleme auf neue, kreative Weise zu lösen. Um das zu ändern, müssen Teams eingefahrene Muster bewusst identifizieren und effektivere und vertrauensfördernde Interaktionsformen etablieren.
Durch die Stärkung von Selbstwahrnehmung und Empathie wirkt sich Achtsamkeit auf die Kommunikation und das prosoziale Verhalten sowie auf die Führung aus und führt so zu einer höheren kollektiven Intelligenz. Die Teammitglieder sind bessere Zuhörer und können auf emotional intelligente Weise reagieren, wenn Spannungen oder Unstimmigkeiten auftreten. Ihre Art zu interagieren ermutigt andere, das Wort zu ergreifen, sich an kreativen Prozessen zu beteiligen und so ihre unterschiedlichen Perspektiven einzubringen. Achtsamkeit hilft Führungskräften, ihre Selbstreflexion zu verbessern und wichtige Führungsfähigkeiten wie Flexibilität, Authentizität und Unaufdringlichkeit zu entwickeln.
Drei Schritte zu mehr Achtsamkeit in Unternehmen
1. Training anbieten
Für die Studie haben die Teams ein zehnwöchiges Programm durchlaufen, das auch online angeboten wird. Es besteht aus einem Workshop zu den neurophysiologischen Grundlagen der Achtsamkeit und ihren Auswirkungen auf die kollektive Intelligenz. In der folgenden Übungsphase – unterstützt durch eine App, Webinare, Coachings und Lerngruppen mit Kollegen – lernte der Einzelne, Achtsamkeit zur täglichen Routine zu machen.
2. Achtsamkeit auch in virtuellen Teams
Folgende Routinen fördern die psychologische Sicherheit und kollektive Intelligenz:
- Eine stille Minute vor jedem Meeting, in der sich alle auf ihre Atmung konzentrieren, erhöht die Aufmerksamkeit – zumal krisenbedingt jeden Tag viele Online-Meetings stattfinden. Hilfreich sind auch Normen beispielsweise für den Umgang mit Mobiltelefonen während der Meetings.
- Mitarbeiter, die Vertrauen und Wertschätzung spüren, engagieren sich mehr. Es ist wichtig, anzuerkennen, was die Kollegen erreicht und gut gemacht haben, und ihre Beiträge zu würdigen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.
- Es ist wichtig, in der Zusammenarbeit auch Emotionen auszudrücken. Ein kurzer Check vor dem Meeting schafft emotionale Transparenz, Akzeptanz und somit auch Sicherheit. Jeder sagt dabei, wie er sich fühlt. Möglich sind auch regelmäßige Retrospektiven, in denen alle ihre Emotionen zu den Interaktionen innerhalb des Teams mitteilen. Führungskräfte, die über ihre eigenen Emotionen im Umgang mit der Krise sprechen, sorgen für eine offenere Gesprächsatmosphäre im gesamten Team.
3. Wirksamkeit von Achtsamkeitsprogrammen messen
Mit Umfragen und Interviews können Unternehmen transparent machen, inwieweit emotionale und psychologische Sicherheit klar als Ziel postuliert ist und ob die Mitarbeiter verstehen, wie sie dies erreichen können. Die Wirkung von Achtsamkeit auf diese Faktoren sowie auf kollektive Intelligenz sollte regelmäßig gemessen werden.
Die Autoren:
Christian Greiser, Managing Director und Senior Partner im Düsseldorfer Büro der Boston Consulting Group, ist zertifizierter Executive Coach und arbeitet mit Führungskräften in der ganzen Welt zusammen.
Jan-Philipp Martini, Consultant im Düsseldorfer Büro der Boston Consulting Group, unterstützt Kunden in der ganzen Welt bei unternehmensweiten agilen Transformationen und leitet das "Mindfulness"-Netzwerk bei BCG mit mittlerweile mehr als 1.000 Mitgliedern.
Liane Stephan, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Awaris, ist systemische Beraterin und Führungsspezialistin, die seit mehr als 35 Jahren Achtsamkeit praktiziert.
Chris Tamdjidi, Mitgründer und Geschäftsführer von Awaris und verantwortlich für die Aktivitäten des Unternehmens im Bereich der neurowissenschaftlichen Forschung und Technologie, hat in mehr als 50 Unternehmen weltweit Achtsamkeitsprogramme geleitet.