Lebenslanges Lernen scheitert an Bereitschaft
Lebenslanges Lernen hat in den Unternehmen im deutschsprachigen Raum einen hohen Stellenwert, das zeigt der aktuelle HR-Report von Hays. Gleichzeitig offenbart er ein Grundproblem: die mangelnde Bereitschaft von Mitarbeitern und Führungskräften, sich immer wieder neues Wissen anzueignen.
Lebenslanges Lernen wird wieder wichtiger
Der Report legt in diesem Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf "lebenslanges Lernen". Wieso das Thema gerade jetzt in den Fokus rückt, begründet Jutta Rump, Professorin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und Studienleiterin: "Wir beobachten bestimmte Wellen, in denen das Thema immer wieder hochgespült wird. Um die Jahrtausendwende war das die vermeintliche Wettbewerbsschwäche Deutschlands als 'kranker Mann Europas', zehn Jahre später die Finanz- und Wirtschaftskrise und heute ist es die digitale Transformation." Frank Schabel, Co-Autor der Studie bei Hays, ergänzt: "Lernen begleitet uns über unsere gesamte Berufslaufbahn hinweg, da die Wirtschaft nicht statisch ist, sondern dynamisch."
Der Digitalisierung und den Veränderungen der letzten Jahre sowie neuer Tätigkeitsprofile und kürzerer Verfallszeiten von Wissen zum Trotz, hat sich das Angebot der betrieblichen Weiterbildung in den letzten Jahren nur in jedem dritten Unternehmen erhöht, wie die Studienergebnisse zeigen. "Ohne die Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen lassen sich derart massive Veränderungsprozesse nicht bewältigen," sagt Rump.
Zwar wird der Stellenwert des Lernens von den Studienteilnehmern verhältnismäßig hoch eingeschätzt, die Bereitschaft der Mitarbeiter aber hinkt dieser hinterher: Auf einer 100-Punkte-Skala erreicht der Stellenwert von lebenslangem Lernen im Schnitt 77 Punkte, die Bereitschaft, selbst lebenslang zu lernen, liegt lediglich bei 66 Punkten. Im Vergleich von Führungskräften und Mitarbeitern zeigt sich außerdem ein hierarchisches Gefälle: Die Geschäftsführung ist demnach am ehesten bereit, lebenslang zu lernen (74 Punkte), es folgen Führungskräfte in Fachabteilungen (65 Punkte) und Mitarbeiter (59 Prozent).
Verantwortung für Lernen liegt bei den Mitarbeitern
Die Verantwortung für das Lernen wird in erster Linie den Lernenden selbst zugeschrieben: 61 Prozent der Befragten sehen die primäre Verantwortung für lebenslanges Lernen bei den Mitarbeitern. Nur jeder Fünfte sieht laut der Studie die Führungskraft als primär verantwortlich an, gefolgt von der Geschäftsleitung (elf Prozent) und der Personalabteilung (sechs Prozent).
Diese Gewichtung ist laut Report wesentlich vom Alter der Befragten abhängig: Vor allem die unter 40-Jährigen sehen ihre Führungskräfte deutlich häufiger als Verantwortliche. Jüngere Beschäftigte erwarteten beim Lernen mehr Führung und Orientierung, meint Studienleiterin Rump. Dabei komme zum Tragen, dass ältere Beschäftigte über mehr Erfahrung verfügten und deshalb besser einschätzen könnten, welche Lernformen und -inhalte für sie sinnvoll und richtig sind. Rump ergänzt, dass die jüngere Generation anders sozialisiert wurde: "Als Vertreterinnen und Vertreter einer zahlenmäßig bereits eher schwachen Kohorte erhielten jüngere Generationen stets ein hohes Maß an Begleitung, Unterstützung und Aufmerksamkeit. Bei den Baby-Boomern, die heute die älteren Beschäftigten stellen, war eher das Gegenteil der Fall. Sie mussten früh ihren Weg allein suchen und gehen." Somit habe sich auch das grundsätzliche gesellschaftliche Verständnis verändert: Die Eltern wären heute im gesamten Bildungsprozess deutlich präsenter und das erwarteten die Jüngeren auch ein Stück weit von ihren Führungskräften.
Die HR-Abteilung steht nur für wenige der Befragten in der direkten Verantwortung für lebenslanges Lernen. Die eher geringe Zustimmung für die Verantwortlichkeit des Personalbereichs lässt sich laut Studienbericht dadurch erklären, dass lebenslanges Lernen über die Personalentwicklung und damit über den Einflussbereich von HR hinausgehe.
Geschäftsführung entscheidet über Budgets
Während die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens außer Zweifel steht, bleibt die Frage, weshalb Mitarbeiter wenig Bereitschaft dafür zeigen. "Mitarbeiter streben nach Sicherheit," sagt Studieninitiator Schabel: "Wenn sie feststellen, dass ihr bestehendes Wissen immer wieder entwertet wird, fühlen sie sich überfordert. Dies müssen Führungskräfte im Blick haben und Phasen der Ruhe und des Nachdenkens zulassen." Zudem sei es angebracht, dass Mitarbeiter über einen eigenen Freiraum verfügen - sowohl in Bezug auf eigenes Budget für Weiterbildungen, als auch auf angemessene Zeitspannen für Lernen.
Gerade beim Budget ist das häufig aber nicht der Fall, wie die Daten zeigen: Nur in 14 Prozent der Unternehmen steht den Mitarbeitern tatsächlich ein eigenes Budget für Weiterbildung zur Verfügung. In 35 Prozent der Unternehmen entscheidet immer noch die Geschäftsleitung zentral über Weiterbildungsbudgets. Den Führungskräften obliegt in 25 Prozent der Fälle die Budgetverantwortung, in 14 Prozent der Unternehmen trägt die Personalabteilung die Entscheidung. In kleineren Unternehmen entscheidet die Geschäftsleitung häufiger selbst über die Weiterbildungsbudgets, als in größeren Unternehmen. Die Forderung, Mitarbeiter auch finanziell selbstbestimmter über Weiterbildungsmaßnahmen entscheiden zu lassen, scheint noch nicht in der unternehmerischen Realität angekommen zu sein.
Persönliche Lernzeiten definieren und freihalten
Der Forderung, Lernzeiten für Mitarbeiter einzuplanen, wird formal gesehen häufiger entsprochen. Aber ob im beruflichen Alltagsstress die Weiterbildung immer ihren Platz findet, bleibt trotzdem fraglich. Professorin Rump sagt: "Das Problem besteht darin, dass dem operativen Tagesgeschäft nicht selten Vorrang gewährt wird, wenn es keine Vorgaben zu Lernzeiten gibt. Den Beschäftigten ist es dann kaum möglich, ein angemessenes Maß an Freiräumen zum Lernen einzufordern." Dies gelte insbesondere für Lernformen, die nicht dem klassischen Seminarbesuch entsprechen, beispielsweise für das Lesen von Fachtexten am Arbeitsplatz, den Austausch in Fachforen oder den Besuch von Tagungen.
Doch auch hier scheint es zuweilen an den Grundlagen zu fehlen: Wie genau Lernzeiten überhaupt erfasst werden, darin unterscheiden sich die Unternehmen stark. In etwas mehr als einem Drittel der teilnehmenden Unternehmen gibt es keinerlei Vorgaben oder Richtlinien zur Lernzeit. Ein knappes Drittel definiert Lernzeit ausschließlich über die Teilnahme an Seminaren. Rund ein Viertel der Unternehmen erfasst als Lernzeit die Aktivitäten, die im Unternehmen stattfinden (beispielsweise am Arbeitsplatz, in Austauschformaten, in internen Seminaren). Auf die untypischen Lernformate bezogen merkt Rump an: "Die Wertschätzung solcher enorm wichtiger Lernaktivitäten bleibt vielfach aus, wenn nicht klar definiert ist, wo Arbeitszeit endet und Lernzeit beginnt."
Lernformate: Präsenzseminare werden immer seltener genutzt
Bezogen auf Lernformate und -inhalte stellt der Report fest, dass fachbezogene Themen im Kontext des lebenslangen Lernens an erster Stelle stehen. 60 Prozent der Unternehmen geben an, dass die meisten Aktivitäten auf Fachinhalte entfallen. Inhalte wie soziale Kompetenzen (zum Beispiel Selbstmanagement, Resilienz, Frustrationstoleranz, Veränderungsbereitschaft) zu fördern, nennt die Hälfte der Befragten an zweiter Stelle.
Unternehmen nutzen dafür unterschiedliche Instrumente und Methoden. Bewährte und etablierte Formen wie "Learning on the Job" sowie externe und interne Präsenzseminare sind laut Studienbericht die Formate mit der höchsten Nutzung. Die Studie zeigt aber, dass Online-Formate (Webinare und Lernvideos) Präsenzseminare zunehmend ablösen. Laut Prognose der Befragten werden in fünf Jahren nur noch je 29 Prozent externe oder interne Präsenzseminare nutzen, die Nutzung von Webinaren wird hingegen in fünf Jahren auf 42 Prozent, die Nutzung von Lernvideos auf 36 Prozent ansteigen.
Der HR-Report von Hays beschäftigt sich jährlich mit aktuellen Themen des Personalmanagements. Für die diesjährige Studienreihe wurden 997 betriebliche Entscheider in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, unter ihnen Vertreter großer, kleiner und mittlerer Unternehmen, Geschäftsführer, Führungskräfte von Fachabteilungen, HR-Führungskräfte sowie Mitarbeiter. Der gesamte HR-Report 2020 steht hier zum Download zur Verfügung.
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