Die Lohn- und Gehaltsabrechnung gilt als Basisdisziplin im Personalmanagement. Nicht viele Softwareanbieter wagen sich daran, die Einstiegshürden für Neulinge sind hoch. Das zeigt sich auch daran, dass unter den zahllosen HR-Tech-Gründungen nur wenige Payroll-Anbieter zu finden sind. Dabei ist die Gehaltsabrechnung ein "Hygienefaktor", wie Martijn Brand, Senior Vice President & General Manager Europe Region bei ADP, es ausdrückt. Anders gesprochen: Es gibt wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. "Läuft das System gut, bekommen wir kaum Lob. Läuft es schlecht, droht gleich riesengroßer Ärger".
Der Outsourcing-Dienstleister ist dafür da, dass es läuft. So sieht es Brand. Weltweit hat das Unternehmen nach eigenen Angaben über eine Million Kunden. Wie viele davon aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammen, darüber macht Brand keine Angaben.
Fachkräftemangel auch bei Payroll-Spezialisten
Das erste Quartal 2023 schloss das Unternehmen mit einem Umsatzwachstum von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr ab – das liegt etwas über dem Niveau der Inflationsrate. Der Gesamtumsatz zu diesem Zeitpunkt lag bei 4,2 Milliarden Euro weltweit. Das globale Umsatzwachstum entspräche in etwa dem im deutschen Markt, behauptet Brand. Deutschland hat der Outsourcing-Dienstleister als einen Wachstumsmarkt in Europa identifiziert. Denn viele Unternehmen würden ihre Gehaltsabrechnung derzeit selbst machen, sagt Brand. Das könnte sich schon bald ändern. Immer mehr Payroll-Fachkräfte würden in den nächsten fünf Jahren in Rente gehen. Gleichzeitig sei der Nachwuchs rar. Damit stünden viele Unternehmen in naher Zukunft vor einer Make-or-Buy-Entscheidung. Einkaufen oder selbst machen: Für Brand ist die Antwort klar.
Strategischer Fokus auf der Lohnabrechnung
Das verwundert kaum, schließlich ist die Payroll-Software der Umsatzbringer bei ADP. Das Unternehmen bietet auch weitere Services wie Human Capital Management (HCM), Talentmanagement oder Zeiterfassung an. Brands Vorgänger wollten hier groß wachsen, doch daraus ist nichts geworden. Für Brand liegt der strategische Fokus heute auf der Lohnabrechnung. Daran lässt er keinen Zweifel. Gerade bei "globalen" Payroll-Lösungen sei das Wachstum rasant, sagt Brand. In Deutschland sei der sogenannte Mid Market, also Unternehmen ab 250 Beschäftigte, Wachstumstreiber für das Geschäft. Die Zahl der Mittelständler, die noch On-Premise-Lösungen einsetzten, sei hoch. Brand möchte sie in die Cloud holen.
Datensicherheit als Geschäftsgrundlage
Die Vorbehalte gegenüber Cloud-Lösungen, aber auch gegen Outsourcing, würden - abgesehen von wenigen Branchen wie kritischer Infrastruktur - zunehmend schwinden. "Die allerwenigsten Unternehmen glauben heute noch, dass sie ihre Daten eigenständig besser schützen können, als das Experten wie wir tun können", sagt Brand. Die Grundlage seines Geschäftsmodells sei das Vertrauen seiner Kunden. Dies beginne bei der Sicherheit der Daten. Deshalb laute die Devise: "Niemals sparen, immer investieren".
Das Unternehmen investiert eigenen Angaben zufolge jährlich 1,2 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung. Gleichzeitig nehmen die digitalen Bedrohungen für Unternehmen stetig zu. Die Anzahl der Hacker-Angriffe erreichen jährlich neue Höchststände. Wer mit Sicherheit wirbt, dem winkt ein gutes Geschäft. Brand betont jedoch: "Der Schlüssel zum Erfolg von ADP liegt in der Kombination aus Technologie und Experten, die den Kunden nicht nur Sicherheit, sondern auch erstklassigen Service bieten können."
Neben dem Thema Sicherheit steht bei ADP ein weiteres auf der Agenda: Vereinfachung. Das Bedürfnis der Kunden nach einer einfacheren Lohn- und Gehaltsabrechnung sei riesig, sagt Brand und beruft sich dabei auf die unternehmenseigene Studie "People at Work". Deshalb läge ein Hauptaugenmarkt in der Entwicklung darauf, Schnittstellen zu verbessern. "Die Kunden wünschen sich individuelle Lösungen", sagt Brand. Auch deshalb setzt ADP auf eine Best-of-Breed-Strategie und strategische Partnerschaften mit Spezial- und HCM-Anbietern. Die Payroll für Deutschland entwickelt das Unternehmen in Bremen. In seiner Region beschäftigt Brand rund 1.800 Mitarbeitende. Geht es nach Brand, könnten es künftig in allen Regionen noch mehr werden.
Hoffen auf den Automatisierungsschub
Die Tendenz zu immer komplexer werdenden regulatorischen Anforderungen, der erhöhte Fokus auf die Betreuung der eigenen Mitarbeitenden zwecks Talententwicklung, Schulungen etc. sowie die demografische Entwicklung sorgen laut Brand dafür, dass in Zukunft eher Lohn- und Gehaltsberater gebraucht werden statt Fachkräfte, die Daten in Systeme eingeben. Seinem Unternehmen würde diese Entwicklung in die Karten spielen. Ob Brands Wunschszenario eintrifft, muss sich zeigen. Was dafür spricht: Der Fachkräftemangel macht auch vor HR nicht halt. Und Talent Manager lassen sich vermutlich leichter finden als Entgeltabrechner.
Ein Selbstläufer dürfte das Geschäftsmodell des Dienstleisters dennoch nicht werden, denn Wettbewerb gibt es auch hier. Im Small Market, also bei Unternehmen bis 250 Beschäftigte, dominiert Datev das Geschäft. Bei größeren Kunden tritt ADP gegen etablierte Player wie SAP, P&I, SD Worx, Bremer Rechenzentrum oder Hansalog an. Wenn Brands Plan, schneller als der Markt zu wachsen, aufgehen soll, wird der Outsourcer insbesondere die "Selbermacher" überzeugen müssen. Denn auch wenn der Anbieterwechsel durch kurze Vertragslaufzeiten bei Cloud-Lösungen einfacher wird, gilt bei Payroll weiterhin: Kein Lob heißt "alles gut". Und vielleicht sind Personalerinnen und Personaler damit schon glücklich.
Zur Serie: Im "Marktgespräch HR Tech" spricht die Haufe Online Redaktion in regelmäßigen Abständen mit Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen etablierter Softwarehäuser sowie aufstrebender Startups und beleuchtet dabei die Entwicklungen und Trends im Markt für HR-Software.