#MeToo: Unternehmen brauchen eigene Richtlinien
Personalmagazin: Vorgesetzte müssen, so Ihre Botschaft auf dem deutsch-französischen Frauenforum in Berlin, den Code des Schweigens brechen, um gegen sexuelle Belästigung im Unternehmen vorzugehen. Was sollten Personalverantwortliche konkret über das Thema sexuelle Belästigung wissen?
Matteo Winkler: Zunächst ist es wichtig, dass sie sich darüber bewusst werden, dass das tatsächlich ein Thema ist – mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in ihrem Unternehmen. Das hat gar nichts mit der Branche zu tun. Sexuelle Belästigung kommt bei Dienstleistern, in den Medienberufen, in der Wissenschaft, in der Industrie, bei Banken, in Behörden und sogar bei Wohltätigkeitsorganisationen vor. Die Forschung zeigt, dass es Frauen - und vereinzelt auch Männer - überall treffen kann.
Personalmagazin: Nicht jeder Personaler wird sofort informiert, wenn es im Unternehmen zu sexuellen Übergriffen kommt.
Winkler: Das stimmt leider. Das perfide an diesen Vorkommnissen ist ja, dass sich um sie herum meist ein Kartell des Schweigens bildet und die HR-Verantwortlichen gar nicht mitbekommen, was dort eigentlich passiert ist oder noch passiert.
Matteo Winkler zu #MeToo: Das perfide an sexueller Belästigung in Unternehmen und in Institutionen ist, dass sich ein Kartell des Schweigens bildet.
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Deshalb sollte die Personalabteilung dafür sorgen, dass das Unternehmen hier eine klare Policy entwickelt, die den Geschädigten zu ihrem Recht verhilft und sie mit dem Erlebten nicht allein lässt. Dazu mag beispielsweise gehören, dass Opfer eine Ombudsperson ansprechen können, die sie durch einen in den Richtlinien klar definierten und dann auch verlässlich umgesetzten Prozess begleiten. Dann erfahren Personaler von solchen Vorfällen. Wenn die Geschädigten Sorge vor weiteren negativen Folgen haben müssen, erfahren sie es nicht.
Prävention gegen sexuelle Belästigung ist für Unternehmen Pflicht
Personalmagazin: Wie können HR-Abteilungen sicherstellen, dass ihre Richtlinien auch wirklich die erwünschten Ergebnisse bringen?
Winkler: Zunächst sollten Personaler drei Fragen klären: Wie wollen wir grundsätzlich mit dieser Frage umgehen? Wie gehen wir mit entsprechenden Beschwerden um? Wie können wir sicherstellen, dass die Antwort unseres Unternehmens effektiv ist? Hier sollte der Vorstand eingebunden sein – denn schließlich kann ein falscher Umgang mit dem Thema für das Unternehmen sehr, sehr teuer werden. Prävention ist also Pflicht, nicht Kür.
Juristisch kann man sich dem Thema beispielsweise mithilfe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) annähern. Den Prozess dagegen muss jede Firma selbst aufsetzen – damit er auch in die Unternehmenskultur passt und anschließend von allen akzeptiert wird. Es kann durchaus hilfreich sein, hierbei die Mitarbeiter einzubeziehen.
Personalmagazin: Und wie sollte das Unternehmen konkret vorgehen, wenn ein Fall von sexueller Belästigung gemeldet wird?
Winkler: Eine Möglichkeit wäre – darüber haben wir auch auf der Konferenz in Berlin gesprochen – ein schrittweises Vorgehen. Zuerst warnt das Opfer den Täter. Und wenn das nicht hilft, besteht (je nach Schwere der Vorfälle) immer noch die Option einer Mediation durch Dritte, um den Konflikt beizulegen: beispielsweise durch eine Entschuldigung, eine Veränderung der Arbeitsorganisation, eine Beförderung (wenn das Opfer aufgrund der Belästigung zurückgestuft wurde) oder ein intensives Training für den Täter. Das kann im Einzelfall wirksamer sein als eine Disziplinarmaßnahme. Allerdings muss der Geschädigten immer auch der Rechtsweg offenstehen.
Täter wie Opfer müssen die Konsequenzen von sexueller Belästigung kennen
Personalmagazin: Auf was sollten Vorgesetzte noch achten?
Winkler: Wichtig ist am Ende: sowohl die Opfer als auch die Täter sollten wissen, was sie erwartet, wenn der Prozess in Gang gesetzt wird. Und der sollte unbedingt klare Konsequenzen zur Folge haben. Ganz abgesehen davon, dass ein folgenloser Prozess einer moralischen Bankrotterklärung seitens der Unternehmensleitung gleichkäme – alle Richtlinien wären das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.
Matteo Winkler zu #MeToo: Ein folgenloser Prozess wegen sexueller Belästigung im Betrieb kommt einer moralischen Bankrotterklärung seitens der Unternehmensleitung gleich.
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Wenn das Unternehmen den Fall nicht befriedigend lösen kann, ist der daraus resultierende Schaden schwer zu beziffern: kostspielige Prozesse, Reputationsverlust durch negative Schlagzeilen, aber auch Kündigungen seitens begabter, von der Unternehmenskultur enttäuschter Mitarbeiterinnen. Das kann sich heute wirklich kein Unternehmen leisten.
Das Interview führte Katharina Schmitt, Redakteurin Personalmagazin.
Prof. Dr. Matteo Winkler lehrt und forscht an der HEC Business School Paris und beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen der #MeToo-Debatte auf Unternehmen.
In Ausgabe 8/2018 des Personalmagazins beschreibt er, wie eine Strategie gegen Sexismus in den Unternehmen aussehen sollte.
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