Offliner: Die Gegenkultur der Digitalisierung
Haufe Online Redaktion: Was zeichnet die von Ihnen als „Offliner“ überschriebenen Gruppen als Mitarbeiter aus und was sollten Personaler im Umgang mit ihnen beachten?
Joël Luc Cachelin: Offliner sind Menschen, welche die fremdbestimmte und selbstverständliche Digitalisierung hinterfragen. Sie wollen die zukünftige digitale Gesellschaft mitbestimmen, also verstehen und Einfluss darauf nehmen, wie und warum digitalisiert wird. Und sie wollen auf die Nebenwirkungen der Digitalisierung aufmerksam machen.
Haufe Online Redaktion: Die Digitaltechnik wird meist mit der Fähigkeit zur Innovation in Verbindung gebracht – untergraben solche "Offliner", also Mitarbeiter, die technischen Neuerungen sehr kritisch gegenüberstehen, nicht die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen, für die Sie arbeiten?
Cachelin: Eher im Gegenteil, zukunftsorientierte Unternehmen brauchen Offliner: Je digitaler die Zukunft wird, desto mehr Vielfalt entsteht in Bezug auf digitale Lebensstile. Diese Diversität gilt es erstens im Sinne des Ideenmanagements und der Agilität zu erkennen und gerade von großen Unternehmen abzubilden, die sowohl digital als als auch analog Wertschöpfung erbringen. Zweitens entstehen durch die Offliner auch neue Märkte – im Bereich der Entschleunigung, der Regionalisierung oder des Datenschutzes. Um diese Märkte zu erkennen und zu bearbeiten braucht es Offliner in der Belegschaft. Drittens spüren wir alle, dass uns die Digitalisierung persönlich herausfordert. Wir können nicht immer online sein, nicht immer alles beschleunigen. Es braucht Offline-Momente, auch beim Arbeiten.
Haufe Online Redaktion: Lassen sich bei den von Ihnen beschriebenen Offlinern gemeinsame Merkmale identifizieren?
Cachelin: Unter dem Oberbegriff der "Offliner" versammeln sich verschiedene, teils technisch hochversierte Interessengruppen mit je unterschiedlichen Anliegen. Sie haben aber tatsächlich auch einige gemeinsame Merkmale: Etwa ein verstärktes Misstrauen gegenüber zentralen Machtinstanzen und undurchsichtigen Großkonzernen sowie die Forderung nach wechselseitiger Transpsarenz. Je mehr Transparenz eingefordert wird, desto mehr wollen die Offliner auch verstehen, was mit ihren Daten passiert und wie etwa Empfehlungsalgorithmen funktionieren. Letztlich geht es auch um ein Bekenntnis zur Vielfalt und zum sozialen Zusammenhalt. Das setzt digitale Entscheidungsfreiheit voraus.
Haufe Online Redaktion: Mit ganz ähnlichen Eigenschaften werben die großen Unternehmen aus der IT-Branche – etwa Google und Facebook – für ihre wenig hierarchischen Unternehmens- und Führungsmodelle. Haben Digitalisierungstreiber und -gegner also ein ähnliches Selbstverständnis?
Cachelin: Das ist eine interessante Frage. Durch die Digitalisierung bewegen wir uns in Zeitalter der Kreativität und der Ideen. Die genannten Unternehmen haben dies erkannt und passen ihre Arbeitswelten an. Sie wissen, dass Daten, Netzwerke, Wissen, Ideen und Diversität zu den wichtigsten Ressourcen eines Unternehmen werden.
In der digitalen Arbeitswelt geht es darum, den Mitarbeitern in Bezug auf Ort, Zeit und Inhalt Freiheiten zu ermöglichen. Nur wenn diese Arbeitswelten gleichzeitig die Effizienz und die Intelligenz der Belegschaft erhöhen, wird ein Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein. Je mehr wir digital und von außerhalb des Büros arbeiten, desto wichtiger wird die Funktion des Unternehmens als Heimat-, Sinn- und Identitätsvermittlerin. Konservative Großunternehmen tun sich schwer mit dieser Öffnung, die eine weitgehende Entbürokratisierung, eine Entmächtigung und eine Entstandardisierung voraussetzt – auch in HR.
Haufe Online Redaktion: Ein Kapitel Ihres Buches stellt die Frage: Wie kämpfen die Offliner für eine alternative Zukunft? Was ist die Antwort hierauf und wie sehen die Arbeitsprozesse in dieser alternativen Zukunft aus?
Cachelin: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, um als Offliner seine Bedürfnisse zu befriedigen. Da wäre zunächst einmal die persönliche Lebensgestaltung. Zudem gibt es den politischen Weg, in dem die Offliner mittels Gesetzen aber auch auf der Ebene der Gesellschaft für eine selbstbestimmte und nachhaltige Digitalisierung kämpfen.
Eine digitale Gesellschaft braucht in den Bereichen Infrastruktur, Sozialversicherungen, Militär, Verwaltung und Steuern Reformen, um mit den veränderten Bedingungen einer digitalen Gesellschaft zu Recht zu kommen. Verlierer und Skeptiker der Digitalisierung, sprich die Offliner, gilt es zu integrieren und zu befähigen. Sonst drohen destruktive Widerstände, isolierte Subkulturen und Gewaltakte. Und schließlich besteht - wie bereits angedeutet - die Möglichkeit, durch die Gründung von neuen Unternehmen, vielleicht auch neuen Staatsbetrieben auf die Nebenwirkungen der Digitalisierung zu reagieren.
Haufe Online Redaktion: Sie stellen in Ihrem Buch fest, dass durch den technologischen Fortschritt die Unterschiede zwischen Onlinern und Offlinern immer größer werden. Ein Beispiel hierfür könnte sein, dass in vielen Betrieben durch immer spezialisierteres technisches Knowhow das Verständnis für die Arbeit der anderen Mitarbeiter schwindet und der Zusammenhalt zwischen den Abteilungen verloren zu gehen droht. Wie kann das Personalwesen hier gegensteuern?
Cachelin: Die Digitalisierungstreiber haben begriffen, wie sie Arbeitswelten und HR anpassen müssen. Es besteht aber die Gefahr, dass Digitalisierungstreiber sich nicht um Offliner kümmern und so eine Spaltung der Gesellschaft in Kauf nehmen. In den Arbeitsmärkten und weitergedacht in den Konsummärkten der Zukunft hätte es dann nur noch für die Onliner Platz. Diese Dystopien findet sich in vielen Science-Ficition-Filmen. Das ist in großen Teilen eine gesellschaftspolitische Aufgabe, ich wünsche mir deshalb mehr Initiativen, die auf die Reflexion der digitalen Nachhaltigkeit und digitalen Diversität abzielen.
Generell kann aber auch das Personalwesen durch Aus- und Weiterbildung im Update der Gesellschaft mitwirken. Unternehmen müssen die soziale, technische und ökonomische Vernetzung der Digitalisierung in ihren Arbeitswelten abbilden, wollen sie langfristig überleben. Das setzt zwingend Vernetzung voraus. Unterstützend können Unternehmen mit der Etablierung von neuen Rollen einwirken, zum Beispiel mit Mindest-Predigern, Wissenskuratoren oder Human Capital Brokern. HR hat sehr viele Möglichkeiten sich hier zu positionieren und weiterzuentwickeln.
Haufe Online Redaktion: Abschließend noch eine Frage, die Sie selbst im letzten Kapitel Ihres Buches aufwerfen – wir möchten sie allerdings in etwas abgewandelter Form stellen: Wie werden Offliner und Onliner zukünftig zusammenarbeiten?
Cachelin: Ich bin mir nicht sicher, ob sehr langfristig betrachtet alles in derselben Gesellschaft Platz hat. Wir dürfen nicht übersehen, die Digitalisierung verändert unser Leben exponentiell nicht linear. Unabhängig davon wird in den nächsten Jahren das richtige Verhältnis von On- und Offline den Unternehmenserfolg massiv prägen.
Dieses Spannungsfeld findet sich auf drei Ebenen: Auf der Ebene des Geschäftsmodells, auf der Ebene der Zusammenarbeit sowie auf der Ebene des persönlichen Energiemanagements. Gerade die letzten beiden Ebenen fallen in den Einflussbereich von HR. Es wird einen Beitrag leisten müssen, damit Teams bessere Entscheide fällen, in welchen Situationen es sich lohnt physisch zusammenzukommen und wann man besser digital zusammenarbeitet. Dieser Reifeprozess verlangt auch ausgezeichnete integrierte digitale Arbeitsumgebungen sowie neuen Zonenkonzepte in der analogen Arbeitsumgebung. Auch hier sollte HR wenn nicht gestaltend, dann zumindest moderierend einwirken.
Das Interview führte Benjamin Jeub.
Dr. Joël Luc Cachelin ist Geschäftsführer der Wissensfabrik, eines Think Tanks für Unternehmen in der digitalen Gesellschaft
Das Buch "Offliner" erschien 2015 im Stämpfli Verlag, Schweiz.
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Verschwörungen überall :-) - kann ein gemeinsamer Nenner sein, in der Tat.