Bisweilen kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass an so manchem Entscheidungsträger im Personalwesen ein eingefleischter Psychoanalytiker verloren gegangen ist. Nicht etwa, weil man die Bewerber nach Träumen oder dem Ödipus-Komplex befragen würde – zumindest sind solche Fälle bislang noch nicht publik geworden – nein, es geht um die geradezu kindliche Freude am Deuten jedweder Äußerung menschlichen Seins.
Pseudo-psychologische Fakten im Vorstellungsgespräch
Verschränkt der Bewerber im Interview die Arme, so ist er verschlossen. Hier ist ein starkes Intervenieren von Nöten, will man die harte Nuss knacken. Setzt er sich im Besprechungsraum mit dem Rücken zum Fenster, peinigt ihn offenbar der Fluchtinstinkt – wahrscheinlich hat ihn das Arbeitsamt geschickt. Schaut er beim Nachdenken nach links oben, entlarvt ihn dies als gemeinen Lügner – nicht geeignet fürs Controlling aber vielleicht ganz brauchbar fürs Marketing.
In einer Welt in der es gelingt, Entscheidungsträgern ernsthaft einzureden, dass die Führung von Pferden, Schafen oder anderweitigem Getier lupenreine Auskunft über den Führungsstil eines Menschen gibt, überrascht all dies wenig.
Überinterpretation der Infos aus Bewerbungsunterlagen
Während das Interview immer noch die Chance bietet, dass der Bewerber durch kluge Antworten sein Gegenüber eines Besseren belehrt, fällt dieses Korrektiv bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen völlig weg. Hier kann der Menschenkenner nach Herzenslust deuten, ohne Gefahr zu laufen, lieb gewordene Vorurteile über den Haufen werfen zu müssen. Bewerber, die ihm allzu großes Unbehagen bereiten, fliegen kurzerhand raus und heuern morgen bei der Konkurrenz an.
Das Hobby des Bewerbers als Auswahlkriterium?
Eine beliebte Quelle sind dabei Freizeitaktivitäten und Hobbys der Bewerber. Ist es nicht plausibel, dass Briefmarkensammler ein ruhiges und ausgeglichenes Wesen haben? Sie sind geradezu prädestiniert für einen Job im Archiv. Jäger gehören hingegen eher zur offensiven Spezies. Wer dem Problembären mit viel Geschick auflauert, ihn beherzt niederstreckt und anschließend mit bloßen Händen zerlegt, dem sollte das Verticken von Handyverträgen doch ein Leichtes sein. Und wie sieht es aus mit Menschen, die in ihrer Freizeit Gesellschaftsspielen nachgehen? Die können offenbar gut mit Anderen und gerade deshalb holt man sie sich gern ins Team – auf dass es schön kuschelig werden möge.
Die Welt könnte so herrlich einfach sein, wäre da nicht die Forschung, die regelmäßig unsere Illusionen zerstört. Eine aktuelle Studie mit mehr als 750 Teilnehmern geht der Frage nach, inwieweit sich in den Freizeitaktivitäten Hinweise auf Persönlichkeitsmerkmale finden lassen.
Ergebnisse: Wer Hobbys deutet, bewegt sich auf ganz dünnem Eis. Zwar ist es tatsächlich so, dass Jäger offensiver sind als Menschen, die nicht dieser Betätigung nachgehen. Der Effekt beträgt aber gerade einmal drei Prozent. Leute, die ihre Freizeit mit Computerspielen verbringen, sind keine potentiellen Amokläufer, sondern sogar ein wenig gewissenhafter, aber nur zu zwei Prozent. Bei Menschen, die sich mit Gesellschaftsspielen beschäftigen, fanden sich überhaupt keine Unterschiede in der Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen zu Personen, die Gesellschaftsspiele meiden. Insgesamt ergaben sich bei 117 möglichen Zusammenhänge nur zwölf signifikante Effekt, jeweils in einer Größenordnung zwischen einem bis fünf Prozent. Berücksichtigt man darüber hinaus die Intensität, mit der den Freizeitaktivitäten nachgegangen wird, so steigen die Werte nur geringfügig.
Hobby und Persönlichkeit: Kein einheitliches Gespann
Verwunderlich ist all dies nicht, denn es gibt viele Gründe, warum ein Mensch einem Hobby nachgeht, das nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun hat: Weil die Freunde es manchen, weil es Mode ist, weil man schon als Kind hineingewachsen ist, weil es nichts kostet, weil man damit den Mädchen imponieren will und vieles mehr. Wenn viele tausend Menschen einem bestimmten Hobby nachgehen, findet sich in einer solch großen Gruppe die gesamte Vielfalt menschlicher Eigenschaften.
Aber das muss den Hardcore-Menschenkenner nicht sonderlich stören. Er ignoriert ganz einfach jegliche Forschung. Ignoranz geht immer.
Interpretation auf die Spitze getrieben
Und Sigmund Freud? Er wäre in unseren Tagen bestimmt Personalchef und Ratgeberautor geworden, denn in seiner angestammten Profession sind die Tage, in denen man sich einfach lustige Deutungen ausdenken konnte, fünf Groupies um sich scharte und damit eine Schule gründete, endgültig vorbei. Schade, wir werden nie erfahren, was ein Mann mit seiner Phantasie zum Personalwesen beigetragen hätte: Männer, die die Beine übereinanderschlagen? – Kastrationsangst! Bewerberinnen im Anzug? – Penisneid! Architekten im schwarzen Rollkragenpullover? – Chronischer Fall von überschießendem Todestrieb! Bewerberinnen mit offenem Haar? – Unterdrückte Libido! Fliegenträger? – Polymorph pervers! Schade, schade, schade.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.