Personalauswahl: Übergewichtige haben mit Vorurteilen zu kämpfen

Um die anonyme Bewerbung ist es ruhig geworden. Doch Studien zeigen nach wie vor, dass durch Fotos in Bewerbungen schnell Vorurteile entstehen können. So haben Wissenschaftler der Universität Tübingen nun belegt, dass Personaler stark übergewichtigen Personen weniger zutrauen.

"Wir wollten herausfinden, ob bei geschulten Personalentscheidern Vorurteile gegenüber adipösen Menschen vorhanden sind", sagt die federführende Projektmitarbeiterin Dr. Katrin Giel. Um mögliche Vorurteile unabhängig von anderen Einflüssen erfassen zu können, wählten die Wissenschaftler ein experimentelles Design. So wurden Personalentscheidern sechs Fotos vorgelegt, auf denen jeweils eine Person abgebildet war. Alle Abgebildeten waren ungefähr gleich alt und hatten einen vergleichbaren sozioökonomischen Status, aber unterschiedliches Körpergewicht. Um Verzerrungen zu vermeiden, trugen alle Personen auf dem Foto ein weißes T-Shirt und eine Jeans.

Übergewichtigen wird kein Beruf mit Prestige zugetraut

Die Studienteilnehmer hatten die Aufgabe, einzuschätzen, welchen Beruf die sechs Personen ausüben. Dafür konnten sie aus einer Reihe von vorgegebenen Berufen wählen. Darüber hinaus sollten sie diejenigen Personen benennen, die ihrer Meinung nach in einem Bewerbungsgespräch um eine Abteilungsleiterstelle in die engere Wahl genommen würden. "Die Ergebnisse unserer Studie sind eindeutig", so Giel. "In beiden Fällen schnitten die Übergewichtigen sehr schlecht ab. Ihnen wurde fast nie ein Beruf mit hohem Prestige zugetraut und sie wurden ebenso selten für eine Abteilungsleiterstelle ausgewählt."

Die Vorurteile treffen dabei besonders stark Frauen. "Nur zwei Prozent der befragten Personaler ordneten den auf den Bildern abgebildeten adipösen Frauen einen Beruf mit hohem Prestige zu. Und gerade mal ungefähr sechs Prozent der Befragten traute ihnen zu, bei einer Bewerbung um eine Abteilungs-leiterstelle in die engere Auswahl gekommen zu sein", fasst Professor Ansgar Thiel ein zentrales Ergebnis der Untersuchung zusammen.

Wissenschaftler empfehlen die Bewerbung ohne Foto

Für die Tübinger Wissenschaftler sind die Ergebnisse ein klares Signal, dass nicht nur der Kampf gegen die Adipositas selbst stärker gefördert werden muss, sondern auch die Entwicklung von Maßnahmen gegen eine Stigmatisierung adipöser Menschen stärker gefördert werden muss. Ein erster Schritt sei, in Bewerbungsverfahren – ähnlich wie im angloamerikanischen Raum längst üblich ‒ auf Fotomaterial zu verzichten, um die Chancengleichheit zu wahren. "Sonst", so Thiel, "ist für stark Übergewichtige das Verfahren möglicherweise schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hat."

Informationen zum Studiendesign

An der experimentellen Studie unter der Leitung des Sportwissenschaftlers Professor Ansgar Thiel und des Psychosomatikers Stephan Zipfel von der Universität Tübingen haben 127 erfahrene Personalentscheider teilgenommen. Die Studie wurde im Fachjournal BMC Public Health veröffentlicht.


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