Führungskräfte in Sandwich-Position
Haufe-Online Redaktion: Der 10. Oktober wurde zum Tag der seelischen Gesundheit erklärt. Haben psychische Belastungen insbesondere am Arbeitsplatz tatsächlich so stark zugenommen, dass man einen eigenen Tag dafür braucht?
Dr. Reinhold Sochert: Psychische Belastungen haben nach den vorliegenden Erkenntnissen tatsächlich stark zugenommen. Eine entsprechende Steigerung in den Erkrankungsraten ist dagegen wissenschaftlich umstritten. Fakt ist, dass das Bewusstsein aller Beteiligten für das Thema gestiegen ist. Wer heute überlastet ist, kann das bei seinem Arzt offen besprechen und muss sich nicht mehr verstecken. Das war früher anders. Natürlich hat sich auch die Arbeitswelt verändert. Wir arbeiten schneller, vernetzter und unter einer höheren Schlagzahl. Seit den neunziger Jahren hat das, was wir Stress nennen, entsprechend stark zugenommen. Ich finde, ein Tag wie der 10. Oktober ist deshalb ein guter Anlass, um das Thema auf die Agenda zu setzen und Lösungsmöglichkeiten bekannter zu machen.
Haufe-Online Redaktion: Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es denn, wenn ein Mitarbeiter unter Stress leidet? Die Aufgabe von Führungskräften ist ja nicht die Therapie ihrer Mitarbeiter...
Sochert: Führungskräfte können natürlich keine Ärzte oder Therapeuten ersetzen. Es ist aber viel gewonnen, wenn sich Führungskräfte über das Thema psychische Gesundheit informieren, zum Beispiel in speziellen Weiterbildungen. Wichtig ist, Betroffene ernst zu nehmen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Klassischerweise entsteht Stress für die Beschäftigten aufgrund mangelnder Kommunikation im Team, aus nicht geklärten Zuständigkeiten oder einer fehlenden oder wenig wertschätzenden Feedbackkultur – darauf hat das Führungsverhalten einen entscheidenden Einfluss.
Haufe-Online Redaktion: Führungskräfte erleben sich oft in einer "Sandwich-Position" zwischen der Verantwortung für Ihre Beschäftigten und der Gefahr, sich selbst zu überlasten. Wie können sie bei diesen Anforderungen die eigene Gesundheit im Blick behalten?
Sochert: Das ist tatsächlich für viele Führungskräfte ein Problem. Es ist wie bei einem Gewichtheber, bei dem immer mehr oben drauf gepackt wird – irgendwann bricht er einfach zusammen. Nur wenn ich weiß, dass ich gerade am Limit meiner Belastungsfähigkeit arbeite, kann ich auch etwas dagegen tun. Deshalb sind Information und Sensibilisierung das A und O. Ein erster Anfang kann ein einfacher Selbsttest sein, wie er auf unserer Psyga-Webseite angeboten wird. Solche Tests schärfen das Bewusstsein für das eigene Risiko und regen an, aktiv zu werden.
Haufe-Online Redaktion: Wo können Unternehmen und Führungskräfte zum Thema psychische Gesundheit Unterstützung finden?
Sochert: Die Unterstützungsmöglichkeiten für Führungskräfte und Unternehmen sind vielfältig. Sie finden Experten und Ansprechpartner zum Beispiel bei den Berufsgenossenschaften, den Krankenkassen und jeweiligen Berufs- und Branchenverbänden. Auch die Initiative Neue Qualität der Arbeit bietet im Rahmen des Projekts "Psychische Gesundheit in der Arbeit" (Psyga) umfangreiche Unterstützung für Führungskräfte und Unternehmen an.
Haufe-Online Redaktion: Welche Unterstützung bietet Psyga Führungskräften konkret?
Sochert: Führungskräfte können sich mithilfe des Psyga-Einführungsseminars über das Thema psychische Gesundheit informieren und es dann unkompliziert im Unternehmen vorstellen und weiter verankern. Wir bieten auch zahlreiche praktische Tipps für den Arbeitsalltag für Führungskräfte, die helfen, die Belastung der Beschäftigten aber auch die eigenen Belastungen im Blick zu behalten. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch unser Psyga-Selbsttest zur Einschätzung des eigenen Stresses. Er hilft Führungskräften herauszufinden, ob sie unter ernsthaften Stresssymptomen leiden.
Dr. Reinhold Sochert ist verantwortlich für das Projekt "Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" (Psyga) und Referent für betriebliche Gesundheitsförderung beim BKK Dachverband.
Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personal.
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