Die Auswahl neuer Mitarbeitender wird in vielen Unternehmen als unangenehme Pflicht und nicht als wichtige Investition in die Zukunft betrachtet. Daher darf man diejenigen, die es getroffen hat, nicht auch noch durch allzu starre Interviewregeln verärgern.
Voraussetzungen für strukturierte Interviews
Hochstrukturierte Interviews, die sich in der Forschung seit Jahrzehnten als die weitaus bessere Alternative zum guten alten Vorstellungsgespräch erweisen, kommen da ganz schlecht an. Sie würden dem Interviewenden vorschreiben, welche Fragen er oder sie zu stellen hat und nach welchen Kriterien die Antworten zu bewerten sind. Zudem müssen sich alle Fragen auf die Anforderungen der Stelle beziehen und dürfen nicht einfach nur der Unterhaltung des Interviewenden befriedigen. Da kommt keine Freude auf.
Die Psychokniffe im Vorstellungsgespräch
Wer nicht nur selbstlos an seinen Arbeitgeber denkt, sondern sich als Interviewer oder Interviewerin auch etwas Gutes tun möchte, der bringt Abwechslung ins Spiel. Jedem Bewerbenden werden unterschiedliche Fragen gestellt, auf die der Interviewende dann wieder individuell reagiert, ganz so wie bei einem guten Gespräch in der Kneipe. Bei der Bewertung lässt man sich von seinen Eingebungen treiben und natürlich fließen in die Gesamtentscheidung auch allerlei Erfahrungswerte und Psychokniffe ein, die sich der Interviewer oder die Interviewerin im Laufe der Jahre zugelegt hat. So kann er oder sie sich immer freuen, wenn im Interview ein Blender oder dessen weibliches Pendant unter den Bewerbenden enttarnt wurde: Tritt jemand in seiner Wortwahl selbstsicher auf, hat aber keinen festen Händedruck? Blickt jemand häufig nach links oben, wenn er nachdenkt? Zeigt sich im Gesicht für Millisekunden ein kurzes Zucken, bevor die Bewerberin wieder die vollständige Kontrolle über ihre Mimik erlangt? Streckt der Bewerber unter dem Tisch ganz unbewusst den Bremsfuß nach vorn? All dies sind für den alten Interviewfuchs nicht nur äußerst wichtige Informationen, sie lassen das Interview auch zu einem spannenden Detektivspiel werden.
Skurrile Fragen im Vorstellungsgespräch
Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, der kann auch einmal versuchen, die Bewerbenden mit ein paar skurrilen Fragen aus der Reserve zu locken:
- Was machen Sie, wenn Sie einen Pinguin im Kühlschrank finden?
- Würden Sie lieber gegen eine Ente kämpfen, die so groß ist wie ein Pferd oder gegen 100 Pferde, die so groß sind wie eine Ente?
- Hätten Sie die nächsten 60 Jahre lieber den Körper oder den Verstand eines 30-jährigen Menschen?
- Wie bekommen Sie heraus, ob eine Billardkugel leichter ist als die anderen Kugeln?
- Wie viele Fenster gibt es in Berlin?
Interviewende, die solche Fragen zum Einsatz bringen, wollen in der Regel nicht nur unterhalten werden, sie glauben auch an die Sinnhaftigkeit dieser Fragen. Beispielsweise versprechen sie sich eine Auflockerung der Situation. Auswahlverfahren sind aus der Sicht der Bewerbenden ja so etwas wie die Visitenkarte eines Unternehmens und da will man als Arbeitgeber eine gute Figur abgeben. Man will nicht so steif und konventionell rüberkommen wie die Konkurrenz, sondern einen frischen und modernen Eindruck vermitteln. Daher lässt man ja auch die Krawatte weg und duzt die Bewerbenden ungefragt. Aber ist dies wirklich ein guter Weg? Nutzen skurrile Fragen im Einstellungsinterview dem Personalmarketing?
Skurrile Fragen: Keine valide Auswahlentscheidung
Inzwischen gibt es mehrere Studien, die sich mit der Wirkung solcher Fragen auf Bewerbende beschäftigen - und die Ergebnisse zeichnen ein sehr einheitliches Bild:
- Danach befragt, welche Fragentypen sie selbst im Einstellungsinterview einsetzen wollen, geben Bewerbende anforderungsbezogenen Fragen klar den Vorzug.
- Im Vergleich zu anforderungsbezogenen Fragen werden skurrile Fragen als weniger fair betrachtet.
- Skurrile Fragen werden als intransparent erlebt.
- Sie ermöglichen dem Unternehmen in den Augen der Bewerbenden keine valide Auswahlentscheidung.
Wer die Bemühungen des Personalmarketings konterkarieren möchte, sollte also ruhig skurrile Fragen stellen. Alle Unentschlossenen könnten sich hingegen selbst einmal reflektieren: Was würden Sie als qualifizierter Bewerber oder Bewerberin machen, wenn Ihnen im Interview jemand unsinnige Fragen stellt? – Richtig, Sie würden aufstehen und gehen.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.