Talentmanagement droht unter Wörterfluten zu versinken


Talentmanagement droht unter Wörterfluten zu versinken

Talente finden, fördern, binden – dieser Dreiklang birgt viele Zwischentöne und sorgt auch für Missklänge in Unternehmen. Talentmanagement-Experte Martin Claßen gibt in seiner Kolumne Ein- und Ausblicke in die Talentwelt. Heute: Wie die Wörterfluten das eigentliche Thema weichspülen.

Talentmanagement als derzeitiges und künftiges Top-Thema von Unternehmen hat unzählige Autoren angezogen. Bereits vor der Milleniumwende erschienen die ersten Publikationen wie etwa der martialische "War for Talents"-Aufsatz von Hankin aus dem Jahr 1997. In der vergangenen Dekade nahmen die Wörterfluten immens zu. Niemand, der bei People-Themen etwas auf sich hielt, konnte zum Talent Management seine Klappe halten. Inzwischen entspricht der publizistische und mediale Hype dem Wellenschlag einer tosenden Meeresbrandung: Alle sieben Sekunden eine neue Woge.

Geschrieben, gedruckt, gepostet

Alleine im deutschsprachigen Raum sind seit 2010 mindestens dreißig Bücher veröffentlicht worden – als gedruckte Werke; dazu zahllose Artikel rund um Talentmanagement. Die digitale Flut, sei es als Blog, Newsletter oder Internetseite, ist inzwischen nicht mehr überschaubar. Übrigens: Mit meinem bewährten Co-Autor verfolgte ich ebenfalls ein Buchprojekt – um es dann mangels Lücke zu verwerfen. Denn der Markt braucht mindestens neunzig Prozent der Werke nicht.

Für einen Großteil der Autoren ist der Reiz aber dennoch groß, bietet doch ein Buch immer noch eine beliebte Positionierungsmöglichkeit im Talentmanagement-Markt. Vorsicht also: So mancher Print finanziert sich mittels zweier Zauberwörter in der Verlagsszene (Druckkostenzuschuss und Abnahmegarantie) aus dem Marketingbudget seiner Verfasser und wird als Investition in die Marktbearbeitung abgeschrieben. Wobei dieses buchhalterische Wort "Abschreibung" bei der Talentmanagement-Schreiberei noch eine zweite Bedeutung hat. Abgeschrieben wird nicht wenig – von anderen Autoren.

Talentmanagement ist sprachübergreifend

Mit Sicherheit werden künftig Monat für Monat, Woche für Woche, Tag für Tag weitere gedruckte oder digitale Werke zum Kern und an den Rändern von Talentmanagement folgen – wie natürlich auch diese Kolumne. Im angloamerikanischen Raum sind ebenfalls zahlreiche Publikationen rund diesen Hype entstanden und in den aufnahmebereiten Markt gedrückt worden. In weiteren Ländern ebenfalls. Auf Suaheli – Zentralafrika ist im Kommen – heißt Talentmanagement übrigens ebenfalls Talentmanagement. Nur Locals sagen gelegentlich noch "maji ya matunda" dazu.

Das Besondere im Allgemeinen

Viele dieser Schriften und ihre Pendants im weltweiten Netz versuchen durch Schlagworte wie "modern", "strategic", "ultimativ", mithilfe attraktiver Untertitel oder mittels Furcht einflößender Begriffe wie „Talentkrieg“ auf sich aufmerksam zu machen. Weitere Informationen und Meinungen, besonders von Dienstleistern im uferlosen Talentmanagement-Markt, fokussieren auf spezifische Facetten wie Personalbeschaffung, Personalentwicklung oder aktuelle Innovationsfelder wie das Web 2.0 und soziale Netzwerke. Oder sie versuchen sich in Komplexitätsreduktion und versprechen einfach nur "Simplicity", wie es Effron und Ort zum Beispiel versuchen.

Da ist für jeden etwas dabei. Zum Lesen und zum Schreiben. Warum haben Sie eigentlich noch keinen Talentmanagement-Blog?

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talentmanagement gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.