KMU setzen New Work tiefgreifender um als Großunternehmen
New Work als Alltag in deutschen Unternehmen – das ist eine steile These, die zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf einem Fachkongress mit Beteiligung der Bundespolitik und der Wirtschaft aufstellte (FAZ, 2021). Doch diese aktuell recht populäre Grundannahme ist rein spekulativ. Was ist tatsächlich dran an der Alltagsdurchdringung von New Work und wie sieht sie genau aus? Dazu liefert das New-Work-Barometer 2021 anhand einer aktuellen Datenanalyse Aufschluss. Bereits zum zweiten Mal führte die SRH Berlin University of Applied Sciences zusammen mit dem Personalmagazin und Commax Consulting eine Befragung zum Verständnis und Status quo von New Work durch (zu den zentralen Ergebnissen des New-Work-Barometers 2021 gelangen Sie hier). Vor allem der Vergleich von KMU und Großbetrieben ergibt ein deutlich differenzierteres Bild.
Verständnis von New Work hängt nicht von Unternehmensgröße ab
Im New-Work-Barometer wurden den Teilnehmenden zunächst vier verschiedene Definitionen von New Work vorgelegt und sie sollten einschätzen, inwieweit diese ihrem Verständnis entsprechen. KMU und Großunternehmen unterscheiden sich hierbei kaum: In beiden Gruppen landete das Verständnis auf den ersten Platz, dass es sich bei New Work um Maßnahmen handelt, die auf das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden abzielen; also dem Erleben von Selbstbestimmung, Einfluss, Bedeutsamkeit und Kompetenz. Auf dem zweiten Platz folgte in beiden Gruppen das Verständnis der New Work Charta und auf dem letzten Platz das ursprüngliche New-Work-Verständnis von Frithjof Bergmann.
Der kleine Unterschied: KMU haben häufiger Homeoffice im Sinn
Bei all dieser Ähnlichkeit existiert aber ein signifikanter Unterschied: Das Verständnis, dass es sich bei New Work um Maßnahmen handelt, die die Arbeitszeit- und Arbeitsortautonomie fördern, landet zwar sowohl bei KMU als auch bei Großbetrieben auf dem dritten Platz. Doch die KMU stimmen diesem Verständnis signifikant stärker zu (M = 5,26) als die Großbetriebe (M = 4,92). Sie scheinen also New Work stärker mit Homeoffice und Remote Work zu assoziieren als Großbetriebe.
Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie gilt als Maßnahme schlechthin
In der Infografik (s. oben) sind die Zustimmungswerte bezüglich der 34 Maßnahmen des New-Work-Barometers dargestellt. Die Teilnehmenden wurden gebeten, auf einer siebenstufigen Skala zu bewerten, wie stark diese für sie New Work repräsentieren. Auch hier sind die Einschätzungen in KMU und Großbetrieben weitgehend identisch. Die Teilnehmenden aus beiden Gruppen sehen vor allem Empowerment-orientierte Führung sowie Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie als klassische New-Work-Maßnahmen. Als wenig repräsentativ für New Work werden gewählte Führungskräfte, Hackathons, Barcamp und das betriebliche Vorschlagswesen angesehen. Lediglich bei der Einschätzung von Objectives and Key Results (OKR) bestehen kleine Unterschiede: KMU sehen die Maßnahme als etwas stärker repräsentativ für New Work an als die Großbetriebe.
Der Alltag sieht anders aus
Während das Verständnis von New Work in KMU und Großbetrieben kaum voneinander abweicht, sieht es im Alltag – also bezüglich der tatsächlich eingesetzten Maßnahmen – anders aus. Die Teilnehmenden sollten zu jeder der 34 New-Work-Maßnahmen Auskunft darüber geben, ob sie diese einsetzen oder nicht. Der Unterschied zwischen den Gruppen fällt gering aus. In KMU werden durchschnittlich 7,54 Maßnahmen eingesetzt. In Großbetrieben sind es gerade einmal 1,5 Maßnahmen mehr (M = 9,04). Der Unterschied ist signifikant, aber von geringer Stärke. Spannend ist die Analyse, welche Maßnahmen eher KMU und welche eher Großunternehmen einsetzen. In Tabelle 1 werden die Maßnahmen aufgeführt, die mehr als fünf Prozent Unterschied aufweisen.
Tabelle 1: Einsatz von New-Work-Maßnahmen – KMU und Großbetriebe im Vergleich
Bei einer knappen Mehrheit von 16 Maßnahmen gibt es keine Unterschiede zwischen KMU und Großbetrieben. Das sind vor allem Maßnahmen wie Soziokratie oder Holokratie, die Unternehmen überhaupt sehr selten einsetzen. 15 Maßnahmen werden häufiger in Großbetrieben praktiziert. Groß fällt der Unterschied bei der agilen Projektarbeit aus: Diese wird in 58,2 Prozent der Großbetriebe eingesetzt, aber nur in 39,7 Prozent der KMU. Auch beim betrieblichen Vorschlagswesen zeigen sich die KMU zurückhaltender (KMU = 31,9 Prozent versus GB = 46,8 Prozent).
Drei Maßnahmen werden häufiger in KMU eingesetzt. Eine demokratische Organisationsverfassung gönnen sich 11,8 Prozent der KMU, aber nur 2,5 Prozent der Großunternehmen. Ein großer Unterschied fällt auch bei den flachen Hierarchien auf. 39,2 Prozent der KMU verflachen ihre Hierarchien, aber nur 26,6 Prozent der Großbetriebe. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass in KMU häufiger Maßnahmen eingesetzt werden, die eine stärkere Demokratisierung von Unternehmensstrukturen umfassen. Die Machtverhältnisse werden durch flache Hierarchien und eine demokratische Organisationsverfassung zugunsten der Mitarbeitenden verändert.
Große Unternehmen: Business as usual – nur hübscher
Ähnliches ist bei den Großunternehmen nicht zu finden. Die Mitarbeitenden dürfen häufiger Vorschläge machen, Design Thinking praktizieren oder an Sinnstiftungs- und Achtsamkeitskursen teilnehmen. Doch diese Methoden und Tools fordern die bestehenden Unternehmensstrukturen nicht heraus. Die Herrschaftspraktiken und die Verteilung von Ressourcen bleiben damit unangetastet. Frithjof Bergmann sprach diesbezüglich einmal von "New Work im Minirock", denn es darf weiterregiert werden – nun eben im hübschen Open-Space-Büro mit hippen Kreativitätsmethoden.
KMU: Macht- und Kompetenzerleben im Vordergrund
Ähnliches erkennt man auch bei der Zielsetzung von New Work. Die Teilnehmenden wurden gefragt, welche Dimensionen des psychologischen Empowerments durch die New-Work-Maßnahmen gefördert werden. Bei den Dimensionen Bedeutsamkeit und Selbstbestimmung bestehen keine Unterschiede zwischen KMU und Großbetrieben. Doch fördern KMU eher das Macht- und Kompetenzerleben ihrer Mitarbeitenden (siehe Abbildung 2). Dieses Ergebnis passt gut zu den flachen Hierarchien und den Mosaikkarrieren, die KMU häufiger praktizieren.
Abbildung 2: Förderung der vier Facetten von psychologischem Empowerment durch New Work (in Prozent der Unternehmen)
KMU halten ihre New-Work-Agenda für erfolgreicher
Die Teilnehmenden sollten zudem einschätzen, wie erfolgreich die New-Work-Maßnahmen in ihren Unternehmen sind (Skala: 1 = gar nicht erfolgreich, bis 7 = voll und ganz erfolgreich). KMU schätzten den Erfolg leicht höher ein als Großbetriebe (KMU = 4,87 versus GB = 4,60). Weiterhin wurden die Teilnehmenden gefragt, wie viel Prozent der Beschäftigten in ihrer Organisation ungefähr von den New-Work-Maßnahmen betroffen sind. Hier unterscheiden sich die Ergebnisse stark und signifikant: 69,7 Prozent der Mitarbeitenden sind in KMU betroffen und nur 56,7 Prozent in Großbetrieben. In KMU scheint es einfacher zu sein, viele Menschen mit den New-Work-Maßnahmen zu erreichen. Vermutlich sind dafür schnellere Entscheidungsprozesse verantwortlich.
Wie flächendeckende Umsetzung und Erfolg zusammenhängen
Je mehr Menschen von New Work betroffen sind, desto höher fällt auch die Erfolgseinschätzung aus (r = .38). Es könnte für den Erfolg von New Work günstig sein, wenn New Work breit und vielfältig in den Unternehmen eingesetzt wird. Da eine solche Korrelation aber keine Kausalaussagen und Richtungsaussagen zulässt, ist auch die umgekehrte Annahme denkbar: Wenn Unternehmen erfolgreich sind, können sie sich eine flächendeckende Umsetzung von New Work leisten.
Fazit: New-Work-Maßnahmen in KMU und Großbetrieben
Setzt man den Begriff New Work mit Homeoffice gleich, hat sich der Alltag tatsächlich in Windeseile zu mehr New Work entwickelt. Die Unterschiede stecken aber im Gesamtbild der eingesetzten Maßnahmen, die sich je nach Unternehmensgröße unterscheiden. Großbetriebe setzen im Schnitt häufiger New-Work-Methoden ein – sie verfügen über die nötige Größe und den Umsatz dies zu finanzieren.
In KMU findet man dagegen häufiger Initiativen, die die bestehenden Machtverhältnisse in Frage stellen. Ein Grund dafür könnte sein, dass Partizipation und Selbstorganisation in kleinen sozialen Systemen leichter umgesetzt werden können. Die partizipative Koordination funktioniert reibungsloser als in großen Organisationen, wo mehr Interessen berücksichtigt und koordiniert werden müssen. Hinzu kommt: In KMU werden nicht nur prozentual mehr Menschen durch New Work erreicht, sondern auch häufiger deren Kompetenz und Machterleben gefördert. Beide Aspekte hängen möglicherweise zusammen: Mächtige und kompetente Mitarbeitende können in steilen Hierarchien für die Machthabenden aber auch für den Status quo gefährlich werden. In flachen Hierarchien und stärker demokratisch ausgerichteten Systemen ist dies nicht der Fall. Hier können Mitarbeitende ihr Empowerment-Erleben besser entfalten.
Die Stichprobe: Die Datenerhebung wurde im April und Mai 2021 durchgeführt. 469 Unternehmensvertreterinnen und -vertreter nahmen an der Befragung teil. Für die vorliegende Analyse wurden die Beratungsunternehmen ausgeschlossen, was die Stichprobe auf 362 Unternehmen reduzierte. Bei den Beratungen handelt sich häufig um Einzelunternehmen und Kleinstunternehmen, die nicht repräsentativ für KMU sind. Als KMU wurden Unternehmen bis zu einer Größe bis 1.000 Mitarbeitenden behandelt.
Zu den zentralen Ergebnissen des New-Work-Barometers 2021 gelangen Sie hier.
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