Vom Praktikant zum CEO in nur einem Monat: Dieses Kunststück gelang Moritz Kothe, Geschäftsführer beim HR-Softwareanbieter Tellent. Zugegeben, die Story ist stark verkürzt. Kothe übernahm vor rund sieben Monaten die Geschäftsleitung bei dem Tech-Unternehmen und entschied sich für einen ungewöhnlichen Weg in den neuen Job. Als CEO-Praktikant verschaffte er sich zunächst einen Monat lang einen Überblick über das Business, ehe er die Verantwortung dafür übernahm.
Eine gemeinsame Marke werden
Inzwischen ist die Handschrift des 45-Jährigen bereits erkennbar – macht sich jedoch am stärksten intern für die rund 260 Mitarbeitenden bemerkbar. Denn Kothe hat eine grundlegende Veränderung beim Talentmanagement-Anbieter angestoßen. Tellent, das in Deutschland unter als Recruitee und Kiwi HR agiert, besteht offiziell aus den drei Einzellösungen Recruitee (Recruiting), Kiwi HR (HR-Kernprozesse wie Zeiterfassung, Abwesenheitsmanagement und Digitale Personalakte) und Javelo (Leistungsbeurteilung) und tritt nun unter der gemeinsamen Marke Tellent auf. Als Markenversprechen nennt Kothe: "Hire-Manage-Grow", also die Prozesse vom Einstellen, über das Managen bis zum Entwickeln von Mitarbeitenden.
Die drei Einzellösungen bekommen nicht nur eine gemeinsame Marke, sie sollen künftig auch besser integriert werden. Dazu baut Kothe die Entwicklungsabteilungen um. Während bislang drei separate Entwicklerteams an den drei Einzellösungen arbeiteten, gibt es inzwischen nur noch ein Team, das sich um das Gesamtprodukt kümmert. Kothe beruft sich dabei auf Conway’s Law, wonach die Arbeitsergebnisse eines Systems durch die Kommunikationsstrukturen der sie umsetzenden Organisation vorbestimmt sind. Einfacher ausgedrückt: Wer ein integriertes Produkt anbieten möchte, darf nicht bei der Entwicklung auf Strukturen setzen, die das Gegenteil bewirken könnten. Die Strukturen sind neu, doch bis sich das Mindset der Mitarbeitenden verändert, vergehen erfahrungsgemäß Jahre. Natürlich sei weiterhin eine Loyalität zu den Einzellösungen spürbar, räumt Kothe ein. "Wenn jemand bisher Recruitee entwickelt hat, fühlt er oder sie sich natürlich diesem Teil von Tellent weiterhin am stärksten verbunden", sagt der CEO. Das sei allerdings kein Problem. Wichtiger sei, dass alle Mitarbeitenden das Wertversprechen des Unternehmens im Blick hätten.
"Ich bin überzeugt, dass wir schnell wachsen und dabei Geld verdienen können"
Im Geschäftsjahr 2024 liegt der Umsatz des Unternehmens nach eigenen Angaben bei knapp unter 50 Millionen Euro. Im kommenden Jahr 2025 strebt Kothe ein Wachstum von 50 Prozent in Deutschland an. Über die Kernmärkte Deutschland, Frankreich und die Niederlande will Tellent mehr als 30 Prozent wachsen. Das ist eine Zielmarke, die üblicherweise nur Startups schaffen. Um das glaubhaft im Markt zu kommunizieren, muss sich die Firma transparenter bei den Zahlen machen.
Tellent sei profitabel, genaue Zahlen nennt er aber nicht. Das Unternehmen ist mehrheitlich im Besitz des Private-Equity-Fonds PSG, der nicht allein Wachstum finanzieren will, sondern Rendite erwartet. "Ich bin überzeugt, dass wir schnell wachsen und dabei Geld verdienen können", sagt Kothe. In den nächsten zwölf Monaten will er rund 60 zusätzliche Mitarbeitende einstellen und damit seinen Vertrieb insbesondere in Deutschland stärken. Seine Software entwickelt das Unternehmen an drei Standorten in Polen.
Die Konkurrenz ist vielfältig
Die Ausgangslage für seinen ambitionierten Wachstumskurs sieht Kothe günstig. Tellent adressiere im Kern Unternehmen von 20 bis 250 Mitarbeitenden. Damit kommt er auf ein Marktpotenzial von rund 170.000 Firmen in den genannten Ländern. Das entspräche einem Marktvolumen von 1,5 Milliarden Euro, rechnet Kothe vor. Als Hauptwettbewerber nennt er Papier und Stift oder Excel. Das ist richtig, aber verkürzt. Richtig, weil viele der potenziellen Kunden Erstdigitalisierer sind. Hier muss Kothe also keine bestehende Software ablösen. Und verkürzt, weil diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, ihre Prozesse zu digitalisieren, sicherlich auch andere Anbieter im Blick haben. Heißt, am Ende muss er sich mit Anbietern wie Personio, HR-Works, Hibob oder Softgarden messen. Während einige der genannten auf einen Suite-Ansatz setzen, also alle HR-Kernprozesse anbieten, wählt Kothe einen anderen Weg. "Viele Kunden möchten noch keine All-in-One-Lösungen kaufen", beobachtet er.
Mit Schlichtheit überzeugen und Kunden entwickeln
Der Kundenkontakt beginne meistens mit einem konkreten Problem. "Sie finden keine Mitarbeitenden oder brauchen eine Zeiterfassung", so Kothe. Außerdem hätten viele schon mit anderen Anbietern gesprochen und festgestellt, dass deren Lösungen zu komplex für die eigenen Bedürfnisse seien. Tellent könne hingegen mit Schlichtheit punkten. Wenn dann beispielsweise das Recruiting-Problem gelöst sei, könne man gemeinsame die nächsten Schritte, Mitarbeiterdatenverwaltung oder Mitarbeiterentwicklung in den Blick nehmen. Dahinter steckt Kalkül.
Der CEO möchte seine Kunden entwickeln, heißt, ihnen weitere Module verkaufen. Das muss er auch, denn noch zeigen sich länderspezifische Unterschiede in der Nutzung. Während in den Niederlanden und Deutschland vor allem die Recruiting-Lösung Recruitee im Einsatz ist, ist das Performance-Modul Javelo bislang nur in Frankreich verfügbar. Das soll sich im Laufe des kommenden Jahres 2025 ändern. Etwa im selben Zeitraum sollen auch die bisherigen Einzelmarken verschwinden. Dann wäre Tellent nur noch Tellent. Noch profitiert es von der Markenbekanntheit seiner Bestandteile. Seinen Marktanteil schätzt Tellent auf 14 Prozent in den Niederlanden und rund zwei Prozent in Deutschland. Das bietet noch viel Luft nach oben.
Zur Serie: Im "Marktgespräch HR Tech" spricht die Haufe Online Redaktion in regelmäßigen Abständen mit Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen etablierter Softwarehäuser sowie aufstrebender Startups und beleuchtet dabei die Entwicklungen und Trends im Markt für HR-Software.