Was bei der internationalen Rekrutierung immer noch schief läuft
Haufe Online Redaktion: Herr Pyak, Sie sind als Personalberater vor allem für ausländische Fachkräfte tätig. Warum läuft das Recruiting offensichtlich immer noch nicht?
Chris Pyak: Hier besteht eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Unternehmen verstehen zwar, dass sie viele Fachkräfte nur aus dem Ausland rekrutieren können. Aber sie ändern ihr Verhalten nicht, sodass sie sie auch kriegen. Sie führen immer noch ihre Recruiting-Prozesse wie in den vergangenen 50 Jahren durch. Die dauern aber zum Beispiel viel zu lang. Es sollten maximal fünf Tage nach Eingang der Bewerbungsunterlagen vergehen, bis sie zum Vorstellungsgespräch einladen. Das sind Bewerber aus den USA oder Großbritannien gewöhnt.
Haufe Online Redaktion: Aber nur die längeren Fristen können allein ja nicht das Problem sein…
Pyak: Das Hauptproblem sehe ich darin, dass Personaler versuchen, Kandidaten mit internationalem Hintergrund in Standardverfahren reinzupressen, die wir noch aus dem Industriezeitalter kennen.
Haufe Online Redaktion: Wie sieht das in der Praxis aus?
Pyak: Ich kenne zum Beispiel den Fall, dass eine deutsche Personalerin eine afrikanische Bewerberin abgelehnt hat, weil sie deren ausländischen Studiengang nicht beurteilen konnte. Die Bewerberin hatte in Afrika einen Bachelor-Abschluss und in Cambridge den Mastertitel erworben. Das zeigt doch, welche Hilflosigkeit in den Personalabteilungen herrscht. Mal abgesehen davon, dass man als Personaler Cambridge kennen sollte, hat der Studienabschluss nicht unbedingt etwas mit den Anforderungen im Beruf zu tun.
Haufe Online Redaktion: Die meisten kennen aber wohl Cambridge und würden deswegen niemanden ablehnen.
Pyak: Das kann sein, aber es gibt auch andere Beispiele, die zeigen, wie schnell Personaler internationale Bewerber aussortieren. So kenne ich einen Personalleiter, der von Anfang an alle Bewerber ablehnt, die einen ausländischen Abschluss vorweisen. Er getraut sich nämlich nicht, diese zu bewerten. Ein anderes krasses Beispiel: Die europaweite Personalleiterin eines chinesischen Konzerns sagte mir, dass sie nur weiße Gesichter einstellen. Oder: In einem Krankenhauskonzern wurden Krankenschwestern aus Ungarn eingestellt. Diese hatten Startschwierigkeiten, weil sie sich allein gelassen fühlten und über die schlechten Pflegebedingungen erschrocken waren. Viele haben innerhalb von sechs Monaten wieder gekündigt. Die Lösung des Konzerns war, dass sie nun aus den Philippinen rekrutieren, weil diese Arbeitskräfte allein schon aufgrund der Distanz nicht so schnell ins Heimatland zurückgehen werden, wie man mir erklärte. Ein weiteres Beispiel für die Schieflage im internationalen Recruiting: Eine HR-Leiterin eines Immobilienkonzerns, die ich kenne, sortiert Bewerbungen einfach nur anhand der Porträtfotos.
Haufe Online Redaktion: Das sind aber doch Einzelfälle, die schon aufgrund des AGG kaum mehr auftreten sollten.
Pyak: Die meisten Entscheider diskriminieren sicherlich nicht bewusst ausländische Bewerber. Aber es gibt auch andere Beispiele, die zeigen, dass deutsche Personaler die internationalen Bewerber verschrecken, indem sie sie aufgrund von zweitrangigen Kriterien aussortieren. So ist hier zum Beispiel ein Quereinstieg kaum möglich – weil die Personaler hier auf die formalen Kriterien zu viel Wert legen, statt zu sehen, welche Anforderungen der Bewerber für die Position tatsächlich ausfüllen muss.
Haufe Online Redaktion: Das heißt, die Anforderungsprofile werden nicht richtig erstellt?
Pyak: Ja, ich denke, dass Personaler hier in einem ersten Schritt neu ansetzen müssen: Sie müssen die Linienmanager stärker in die Verantwortung nehmen und mit ihnen detailliert klären, welche Ergebnisse der Kandidaten in dieser Position erreichen muss, um erfolgreich zu sein. Dafür kann man sich zum Beispiel ansehen, wer die Besten in bestimmten Positionen sind und was sie ausmacht. Dann lassen sich die konkreten Ziele definieren und die entsprechenden Kriterien messen. Wenn sie diese Kriterien überprüfen und dann noch den ausländischen Bewerbern genügend Wertschätzung entgegen bringen, werden sie auch erfolgreich rekrutieren.
Chris Pyak ist Geschäftsführer der Personalberatung Immigrant Spirit GmbH.
Das Interview führte Kristina Enderle da Silva, Redaktion Personal.
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Gute Kandidaten wären in den oben genannten B-trieben sowieso nicht glücklich geworden. A-Player suchen A-Player. Kein Klischee.
- Hans Steup, Berlin
vielen Dank für Ihren Kommentar und den Hinweis auf Druckers Zitat! Die Lücke zwischen "sollte gang und gäbe sein" und "wird wirklich umgesetzt" scheint nach wie vor weit - mehr Aufmerksamkeit auf dieses Problem zu lenken, war durchaus Anliegen dieses Interviews....
Viele Grüße
Kristina Enderle da Silva, Redaktion Personal