Es sind turbulente Zeiten. Als Weltgemeinschaft, als Gesellschaft und als Organisation stehen wir immer öfter vor einer existenziellen Frage: Halten wir zusammen oder agieren wir gegeneinander? Die Wahlkämpfe dieses Jahres und die Art, wie sie verlaufen, sind dafür ein Gradmesser. Sie zeigen: Es ist Druck im Kessel.
Dabei ist Zusammenhalt so wichtig: um gemeinsame Ziele zu erreichen; um Leistung zu vervielfachen und vereint stark zu sein; um einander zu unterstützen und zu helfen. Das gilt auch für Organisationen und die Arbeitswelt.
Führungskräfte können verbinden oder spalten
Auch in Unternehmen ist es nicht einfacher geworden, Zusammenhalt zu sichern. Hybride Arbeitsmodelle reduzieren unsere "Face Time", in der wir uns analog treffen und auch vertraulich austauschen. Gräben zwischen Alt und Jung tun sich auf. Politische und weltanschauliche Differenzen dringen auch ins Berufsleben ein.
Ob Gemeinschaft entsteht und Bestand hat, dafür tragen alle die Verantwortung. Aber wie so oft kommt Führungskräften eine besondere Bedeutung zu. Sie prägen die Kultur, sie machen meist die Regeln, sie dienen als Vorbild. Wie also können Führungskräfte Gemeinschaft stiften und sichern? Und was sollten sie tunlichst unterlassen, um Teams und Belegschaften nicht zu spalten und Gruppen gegeneinander aufzubringen?
Ich sehe hier vier Handlungsfelder: Kommunikation, Narrative, Zeremonien und Artefakte. Sie zu beackern lohnt. Denn Forschung zeigt: starke Gemeinschaften leisten mehr, Zugehörigkeit (belonging) wirkt positiv auf Gesundheit und Produktivität von Menschen ein und die Förderung von sozialer Identität in Gruppen (social identity leadership) stärkt die Einsatzbereitschaft von Menschen und reduziert Arbeitsstress sowie Fehlzeiten.
Was also können Führungskräfte tun?
Handlungsfeld 1: Kommunikation, die Gemeinschaft festigt
Hier kommt es auf eine Sprache an, die verbindet, andere einbezieht und das Wir in den Vordergrund stellt. Praktisch geht es um Sätze wie: "Unser Ziel ist es …", "Wie blickt Ihr darauf …?", "Das wird nur gelingen, wenn wir es gemeinsam wollen …". Tunlichst zu vermeiden sind alle Aussagen, die Vorbehalte gegenüber Teilgruppen befestigen: "Wahrscheinlich wird Abteilung XYZ wieder querschießen …", "Das ist mal wieder typisch für die Leichtmatrosen aus dem Verkauf …", "die Jüngeren unter uns werden das wohl nicht nachvollziehen können ..."
Auch entsteht Gemeinschaft in intensiven Gesprächen – gerade zu schwierigen, kritischen Themen. Hier geht es darum, Differenzen ans Tageslicht zu holen, und zwar mit dem Ziel, sie gemeinsam so zu bearbeiten, dass sie nicht mehr den Zusammenhalt gefährden und ein gemeinsames Agieren ermöglichen: "Okay! Let’s agree to disagree. Dennoch sollte uns das nicht daran hindern, jetzt wie folgt vorzugehen …" Gemeinschaft braucht auch die Wertschätzung für die (abweichende) Sicht und den Beitrag eines jeden einzelnen.
Nicht zuletzt können auch besondere Begrifflichkeiten, die nur innerhalb einer Gruppe verwendet werden, Zusammenhalt stiften. Wenn zum Beispiel ein leitender Ministerialbeamte von seinem Ministerium nur als "unsere Firma" spricht und seine Mitarbeitenden das scherzhaft übernehmen, ist ein Codewort gesetzt, das humorvoll Gruppenmitglieder miteinander verbindet.
Handlungsfeld 2: Narrative, die Sinn stiften
Wichtig ist auch, dass sich Gemeinschaften beständig versichern, wer sie sind, was sie zusammenhält, warum man sich zusammengetan hat. Das kann und sollte immer wieder thematisiert werden, vor allem wenn Zusammenhalt bröckelt oder Gruppenmitglieder querschießen.
Besonders mächtig sind dabei Erzählungen, die allen bekannt sind, die sich verfestigt haben, die nur anzitiert werden müssen, um ihre Wirkung zu entfalten. Das klingt dann so: "Ich möchte noch mal daran erinnern, warum unsere Einheit damals geschaffen wurde …". Oder so: "Wir standen vielfach vor ähnlichen Herausforderungen, und immer wieder hat uns geholfen, dass wir …". "Erinnert Ihr Euch noch, wie wir damals mutig entschieden haben, dass … und wie sich das immer wieder als richtig erwiesen hat?"
Handlungsfeld 3: Zeremonien, die Vertrautheit schaffen
Wichtig ist nicht nur, Gemeinschaft im Sprechen herzustellen oder als wünschenswerten Zustand immer mal wieder zu reflektieren. Wichtig ist, Gemeinschaft zu leben, erfahrbar zu machen, ja geradezu zu zelebrieren. Rituale und Zeremonien sind hierfür besonders wichtig. Das kann ein Team-Ritual sein, das man mehr oder weniger exklusiv pflegt ("Die Kollegen vom Team IIc klatschen sich jeden Morgen zur Begrüßung ab"). Das können wiederkehrende Feiern sein oder auch nur das ritualisierte Geburtstagsständchen im Team. Das kann aber auch das "Wie geht’s und heute?"-Ritual sein, mit dem Gruppen ihre Standard-Meetings einleiten.
Handlungsfeld 4: Artefakte, die Identität ausdrücken
Nicht zu vergessen sind dann noch Dinge, die die Gemeinschaft symbolisieren, als Erkennungszeichen fungieren und idealerweise mit Stolz verwendet werden. Das kann das T-Shirt mit Firmenlogo oder das Notizbuch für alle mit einem geheimnisvollen Erkennungsspruch aus der Teamhistorie sein. Das kann aber auch die Ausstattung der Arbeitsorte sein, die besondere Merkmale aufweist ("In unserer Unit gibt’s keinen Standort ohne Popcorn-Maschine").
Zusammenhalt stärken, um Leistung zu vervielfachen
Wenn Führungskräfte auf diesen Ebenen bewusst agieren, können sie Gemeinschaften schaffen, die nicht so schnell auseinanderfallen und gegen Spaltungsversuche gewappnet sind. Diese Fähigkeit wird zunehmend über Erfolg oder Misserfolg im Unternehmensalltag entscheiden. Deshalb meine Empfehlung an alle Führungskräfte (in Anlehnung an J.F. Kennedy): "Frag nicht, was Deine Leute für den Teamerfolg tun, sondern was Du für den Teamzusammenhalt tust."
Randolf Jessl ist Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.