Führung auf Knopfdruck: Mach es wie der Wasserspender


Wie verändert KI die Menschenführung?

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Wie verändert KI die Menschenführung?

Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist in aller Munde. Gemeint sind damit Technologien, die Informationen verarbeiten, Muster in großen Datenmengen erkennen, selbständig lernen, Schlüsse ziehen und Entscheidungen ermöglichen oder treffen. Es sind Anwendungen, die zunehmend autonom agieren können.

Was aber passiert, wenn KI in die Prozesse von Führung und Zusammenarbeit Einzug hält? Die Leadership-Professoren Niels Van Quaquebeke (Kühne Logistics Universität, Hamburg) und Fabiola H. Gerpott (WHU Otto Beisheim School of Management, Düsseldorf) haben die einschlägige Forschung gesichtet und geben in einem lesenswerten Essay Antworten (The Now, New, and Next of Digital Leadership: How Artificial Intelligence Will Take Over and Change Leadership as We Know It? Journal of Leadership & Organizational Studies, 2023, Vol. 30/3).

KI kann Führung unterstützen oder ersetzen

Ihre These lautet: KI beginnt bereits, Führung zu unterstützen. Mittelfristig hat sie sogar das Potenzial, Führung durch Menschen komplett zu ersetzen. Mit dieser Entwicklung sollte man sich nach Meinung der beiden Wissenschaftler nüchtern auseinandersetzen. Genau das möchte ich hier auf Basis ihres Essays tun.

Blicken wir daher zuerst auf die Chancen, die sich ergeben, wenn KI das Führungsverhalten von Menschen unterstützt. Mit Hilfe von einschlägigen KI-Tools, von denen Chat GPT derzeit das Bekannteste sein dürfte, können Menschen, die führen,

  • Zweifelsfragen rund um das Führungshandeln mit ihrem Tool "diskutieren" und auf Basis des vorhandenen Wissens klären
  • informierte und bessere Entscheidungen treffen
  • mehr und komplexere Herausforderungen bewältigen, als das ohne technische Unterstützung möglich wäre
  • rund um die Uhr dank Feedback-Tools Rückmeldung zu ihrem eigenen Verhalten oder der Stimmung in zu führenden Gruppen erhalten.

Hinzukommt die Erwartung, dass durch die Unterstützung emotionsloser, hoffentlich weitgehend vorurteilsbefreiter und objektiv agierender Technologie das Führungshandeln weniger von Launen, individuellen Vorlieben und Gefühlen bestimmt wird. Auch wird laut Forschung maschinell erstelltes Feedback unaufgeregter und besser von den Beurteilten verarbeitet, als wenn ein Mensch kritisiert oder lobt.

Neben Chancen birgt der Einsatz von KI auch Risiken

Doch dem stehen gewichtige Risiken entgegen. Denn Führung, die durch Maschinen bestimmt wird,

  • muss ohne die emotionale Bindungen zwischen Menschen auskommen und verliert dadurch an Wirkung
  • läuft Gefahr, in komplexen Gemengelagen ethischen Ansprüchen, die der situativen Abwägung bedürfen, nicht zu genügen
  • ist limitiert darin, Kreativität und Begeisterung bei anderen zu entfachen
  • wird auch mittelfristig so etwas wie Empathie weder lernen, noch zeigen können
  • wirft die Frage auf, wer letztlich für das Führungshandeln Verantwortung trägt (die Maschine oder die Führungsperson?).

Kurzum: Führung durch Maschinen wird emotionsloser und lässt weder individuelles Profil noch Charakter erkennen. Sie wirkt technokratisch – und ist es auch. Sie dreht damit zurück, was durch Initiativen zur Humanisierung der Arbeit, zu New Work und demütiger Führung ("humble leadership") geschaffen wurde. Der Alleskönner, Alleinentscheider und Allmächtige in der Führungsrolle droht wiederaufzuerstehen. Der Wert von Vielfalt, Authentizität und Menschlichkeit in der Führung wird demgegenüber wieder an Bedeutung verlieren.

Aus diesem Grunde kann ich mir jedenfalls auch mittel- und langfristig KI nur als Unterstützungstool für Menschen in Führungsrollen vorstellen. Und ich komme – auch aufgrund meiner eigenen Befassung mit Fragen rund um verteilte Führung – zu einem anderen Schluss als die Autoren dieses spannenden Essays.

Meine Vision: KI als Führungscoach für Führende und Geführte

Gerpott und Quaquebeke sehen die neue Herausforderung menschlicher Führung darin, jene Maschinen zu führen, die dann die Menschen führen. Dass diese Führung von Maschinen durch Menschen nötig ist, scheint für mich außer Frage. Ich würde daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass wir trotz der unbestreitbaren Vorteile von KI-basierter Führung den Menschen aus der Menschenführung entlassen sollten.
Meine Vision beim Einsatz von KI in der Führung kreist eher um den Wert, den zum Beispiel Wasserspender in Teams stiften. Die stehen dezent in der Ecke, können von allen leicht bedient werden, verabreichen gesunde, kostengünstige Nahrung und erfrischen und beleben das Denken und Handeln.

KI in der Führung wäre für mich daher eine echte Bereicherung, wenn sie in jedem Großraumbüro und Meetingraum als stiller Robot in der Ecke stünde. Das böte jedem die Chance, den Robot in Zweifelsfragen rund um Führung und Zusammenarbeit zu konsultieren. Die Maschine würde in Teamkonflikten, strategischen Weichenstellungen, Entwicklungsfragen oder Problemlagen aller Art eine Auskunft, einen Rat oder eine Entscheidung generieren. Und zwar allen, die danach suchen. Gleich ob Führende oder Geführte. Sie würde Führung und Zusammenarbeit bereichern, auf ein gemeinsames Fundament stellen und dennoch den Wert menschlicher Beziehungen und Eigenheiten nicht infrage stellen. So wird für mich ein Schuh draus.

Und der Wasserspender stünde direkt neben dem gemeinsamen Führungs-Coaching-Robot.



Randolf Jessl ist Inhaber der  Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.